Für das BAG verletzt ein Kopftuchverbot die Religionsfreiheit. Gleichwohl wollte das Gericht nicht abschließend über die Wirksamkeit des Verbots entscheiden und legte die Frage dem EuGH vor. Zu Recht, wie Michael Fuhlrott findet.
Fragen mit Religionsbezug betreffen die innere Einstellung und sensible – da höchstpersönliche – Fragen individueller Glaubensausübung des Arbeitnehmers. Sie bergen ein hohes Potential für Konflikte mit den womöglich weltlicheren Ansichten des Arbeitgebers oder auch bloß nur dessen Wunsch, sich in derart persönlichen Fragen absolut neutral verhalten zu wollen.
Insbesondere das Tragen eines islamischen Kopftuchs als sichtbares Zeichen des eigenen Bekenntnisses löst kontroverse Debatten aus. Ob das Tragen des Tuches während der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber verboten werden darf, sollte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag entscheiden (Beschl. v. 30.1.2019, Az. 10 AZR 299/18). Das Gericht betonte zwar die Bedeutung der grundgesetzlich geschützten Religions- und Glaubensfreiheit, die einem pauschalen Kopftuchverbot entgegenstehe. Allerdings sah sich das deutsche Gericht aufgrund der insoweit die unternehmerische Freiheit stärker betonenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an einer abschließenden Entscheidung gehindert und legte dem EuGH das Verfahren im Wege der Vorabentscheidung vor.
Ausgangspunkt der Befassung der höchsten deutschen Arbeitsrichter mit dem Kopftuchverbot war der Fall einer Verkaufsberaterin und Kassiererin, die in einer mittelfränkischen Filiale einer bundesweit tätigen Drogeriemarktkette beschäftigt war. Nach Rückkehr aus der Elternzeit erschien die Arbeitnehmerin mit einem Kopftuch zur Arbeit. Die örtliche Filialleiterin untersagte dies unter Berufung auf die arbeitgeberseitige Kleiderordnung. Diese schrieb ein "gepflegtes, professionelles Erscheinungsbild" vor und verbat bei Tätigkeiten mit Kundenkontakt "insbesondere Trainings- und Jogginganzüge sowie Kopfbedeckungen aller Art".
Direktionsrecht versus Religionsfreiheit
In der Folge setzte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht mehr ein. Zudem wies er darauf hin, dass die Verpflichtung bestehe, auf auffällige religiöse Symbole aller Art zu verzichten. Man sei im Verkauf bestrebt, dass sich Kunden in ihrer religiösen Überzeugung nicht verletzt sehen und deswegen fernbleiben. Alle Mitarbeiter müssten in diesem Sinne gleichbehandelt werden. Insbesondere solle das Tragen religiöser Symbole vermieden werden, um das Betriebsklima nicht zu stören. Die Arbeitnehmerin berief sich dagegen auf die ihr zustehende Religionsfreiheit. Das Tragen eines Kopftuches sei Ausfluss ihrer religiösen Überzeugung.
Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht Nürnberg (Urt. v. 28.3.2017, Az. 8 Ca 6967/14) wie auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg (Urt. v. 27.3.2018, Az. 7 Sa 304/17) als Berufungsinstanz gaben der Kassiererin Recht: Zwar stehe dem Arbeitgeber das arbeitgeberseitige Direktionsrecht gem. § 106 Gewerbeordnung (GewO) zu, wonach der Arbeitgeber den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmen und damit auch eine Kleiderordnung erlassen dürfe. Allerdings sei hierbei die Religionsfreiheit des Arbeitnehmers zu achten, die grundgesetzlich in Art. 4 Grundgesetz geschützt sei.
Der Wunsch des Arbeitgebers nach "Neutralität" im Betrieb sei allein kein ausreichender Grund, ein Kopftuch oder andere religiöse Zeichen zu verbieten. Vielmehr müsse der Arbeitgeber hierfür konkrete Störungen der betrieblichen Ordnung durch das Tragen eines Kopftuches darlegen. Auch ein Verlust von Kunden, die sich an einem Kopftuch störten, sei rein spekulativ. Außerdem berücksichtige diese Argumentation nicht, dass es womöglich andere Kunden gäbe, die gerade wegen einer kopftuchtragenden Arbeitnehmerin ihre Einkäufe im fraglichen Markt besorgten.
EuGH und die unternehmerische Betätigungsfreiheit
Das BAG wollte diese Entscheidungen nicht mittragen und sah sich an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Der Senat setzte damit den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung verschiedene Fragen vor. So müsse der EuGH etwa die Frage beantworten, ob eine allgemeine arbeitgeberseitige Anordnung in der Privatwirtschaft, die auch das Tragen auffälliger religiöser Zeichen verbiete, aufgrund der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) geschützten unternehmerischen Freiheit diskriminierungsrechtlich stets gerechtfertigt sei. Hierbei gab das BAG zu bedenken, dass maßgeblich auch die Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden müsse, die nicht nur nach deutschem Verfassungsrecht, sondern auch von der GRC und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschützt werde. Die endgültige Klärung der Frage, ob Kopftuchverbote damit aufgrund innerbetrieblicher Neutralitätsvorgaben gerechtfertigt sein können, wird damit noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Auch wenn die heutige Entscheidung die für die Praxis relevanten Fragen damit weiterhin unbeantwortet lässt, ist die Vorlage an den EuGH richtig. So hatte auch erst jüngst das Arbeitsgericht Hamburg (Beschl. v. 22.11.2018, Az. 8 Ca 123/18) in dem Fall einer mit einem Kopftuchverbot durch ihren Arbeitgeber belegten Kindergärtnerin das arbeitsgerichtliche Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Klärung des Verhältnisses zwischen Religionsfreiheit und unternehmerischer Freiheit ersucht.
Insoweit hat der EuGH nunmehr Gelegenheit, dem BAG handhabbare Vorgaben mit auf den Weg zu geben. Da der EuGH die unternehmerische Betätigungsfreiheit vergleichsweise hoch gewichtet, spricht einiges dafür, dass sich die nationale Rechtsprechung hier verändern müssen wird: Neutralitätsvorgaben im Betrieb dürften damit womöglich künftig ausreichen, um Kopftücher oder sonstige Zeichen religiöser Bekundung zu untersagen.
Letztlich geht es aber mit dem Fall nicht "nur" um die Frage des Kopftuchverbots am Arbeitsplatz, sondern auch um das Verhältnis der deutschen Grundrechte, insbesondere der Religionsfreiheit, zum Unionsrecht. Dass sich der EuGH von nationalen Regelungen – selbst wenn diese verfassungsrechtliche Natur oder Tradition sind – nur wenig beeindrucken lässt, hat er in verschiedenen Urteilen zum Kirchenarbeitsrecht erst jüngst deutlich gemacht. So entschied er 2018, dass sich auch kirchliche Arbeitgeber der Prüfung staatlicher Gerichte unterziehen müssen, wenn es um die Frage der Religionszugehörigkeit als berufliche Anforderung bei der Besetzung von Stellen (EuGH, Urt. v. 17.04.2018, Az. C-414/16) geht oder ob ein Verstoß gegen kirchliche Vorgaben wie das Sakrament der Ehe die Kündigung eines Arbeitnehmers der Kirche rechtfertigen kann (EuGH, Urt. v. 11.09.2018, Az. C-68/17). Gut möglich, dass die anstehende Entscheidung aus Luxemburg also erneut für Wirbel nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch im Verfassungsrecht sorgen wird.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
BAG zur Wirksamkeit des Kopftuchverbots: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33551 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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