In Spanien geht die Behörde für Datenschutz gegen das Internetunternehmen vor, weil unliebsame Berichte über etliche Personen noch Jahre nach Veröffentlichung über die Suchmaschine gefunden werden können. Auch wenn die Erfolgsaussichten zweifelhaft sind, hat die europäische Debatte über den Umgang mit den Spuren im Netz erst begonnen. Von Thomas Weimann und Daniel Nagel.
Dr. Hugo Guidotti Russo ist Spezialist für Schönheitschirurgie, Direktor einer Privatklinik in Madrid und hat nach eigenen Angaben in über 25 Jahren mehr als 6.000 Patienten erfolgreich operiert. Tatsächlich ist die Karriere des Mediziners nicht ganz so makellos: 1991 hatte ihn eine Patientin nach einer Brust-OP auf Schadenersatz in Höhe von umgerechnet drei Millionen Euro verklagt und eine sechsjährige Gefängnisstrafe sowie ein ebenso langes Berufsverbot gefordert.
Ein Vorfall, den abgesehen von der Forderungshöhe wohl schon viele Chirurgen erlebt haben. Das besondere hier war allerdings, dass El País, eine der bedeutendsten spanischen Zeitungen, am 28. Oktober 1991 die tragische Geschichte der jungen Frau unter dem sonoren Titel "El riesgo de querer ser esbelta" ("Das Risiko, anmutig sein zu wollen") in einer Weise nachzeichnete, die Russo nicht gefallen konnte.
Im späteren Prozess war dem Chirurgen kein Fehler nachzuweisen. Auch hierüber wurde in El País berichtet, allerdings nur sehr knapp.
Auf Ablehnung der Löschung folgte Sammelverfahren
Mehr als 20 Jahre später gibt es nun ein Nachspiel – aber auf einer anderen Ebene: Wer bei Google eine Suchanfrage startet, findet die mittlerweile digitalisierte Zeitungsgeschichte immer noch an prominenter Stelle – anders als die Berichterstattung über den Ausgang des Prozesses.
Russos Löschungsbegehren wurde vom amerikanischen Suchmachinengiganten zunächst abgelehnt. Dies führte im Nachgang eines Streits von Google mit der spanischen Datenschutzbehörde über eine entsprechende Anordnung schließlich gemeinsam mit zahlreichen weiteren Fällen zu einem Sammelverfahren gegen das Unternehmen in Spanien.
Der Fall Russo selbst wurde zum Sinnbild der Forderung der spanischen Datenschutzbehörde gegenüber Google auf Löschung von Links zu Informationen, die veraltet oder unzutreffend sind.
Keine unmittlebare Verursachung durch Google
Die Diskussion um Betroffenenrechte vor allem in Zusammenhang mit dem Suchmaschinenkonzern wirbelt nicht nur in Spanien eine Menge Staub auf: In Italien wurden kürzlich medienwirksam Mitarbeiter von Google wegen eines Videos verurteilt, das die Misshandlung eines behinderten Turiner Schülers durch Klassenkameraden zeigt. Dabei hatte Google das Video binnen 24 Stunden nach Kenntnis entfernen lassen und damit der eigentlichen rechtlichen Verpflichtung entsprochen.
Giuseppe Vaciago, ein Anwalt der Angeklagten, kritisiert das Urteil folglich scharf: "Google wurde unter dem Vorwand einer angeblich unzureichenden Aufklärung der Nutzer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, obwohl das Gericht selbst statuiert, dass Google zuvor keine Kenntnis des Videos hatte, und obwohl nach italienischem Recht eine verletzte Aufklärung strafrechtlich nicht fassbar ist".
Ähnlich liegt der Fall in Spanien: Eine unmittelbare Verursachung durch Google kann nicht angenommen werden. Hier besteht sogar noch die Besonderheit, dass allenfalls El País, nicht aber Google eine tatsächliche Löschung des Artikels und eine damit verbundene Richtigstellung bewirken kann.
Darauf stützt sich die Argumentation des Beklagtenanwalts und Datenschutzrechtlers Javier Aparicio, der die Problematik des Verfahrens aber noch auf einer ganz anderen Ebene sieht: "Die Forderung nach einem 'Recht auf digitales Vergessen' mag poetisch klingen, ist aber rechtspolitisch nicht zu begründen und widerspricht demokratischen Grundwerten".
Nachbesserungsbedarf sieht schließlich auch die auf europäischer Ebene gewichtige Article- 29-Working-Party Ein entsprechendes Recht müsse erst klarer definiert werden, bevor dessen Nutzen abgeschätzt werden kann.
Experten befürchten Zensur
Diese Einschätzung verdient Zustimmung. Denn was außer einem zusätzlichen Löschungsrecht soll ein "Recht auf digitales Vergessen" tatsächlich sein? Löschung können Betroffene ohnehin bereits jetzt in vielen Fällen beanspruchen.
Javier Aparicio befürchtet eine zensurnahe Beschneidung der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit: "Die Idee stammt wohl aus den USA, wurde dort aber bereits vom Supreme Court zugunsten der Pressefreiheit verworfen. Wenn man dies vor dem Hintergrund des differierenden Charakters der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit in Spanien sieht, [wo wie in Deutschland ohnehin keine schrankenlose Gewährleistung gegeben ist, Anm. d. Autoren], böte ein 'Recht auf digitales Vergessen' ein Einfallstor zur Beschneidung dieser Grundrechte".
Der führende Informationsethiker Rafael Capurro äußert sich ebenfalls kritisch: "Mit einem solchen Recht könnte ein Anspruch auf das Löschen digitaler Spuren des Gesagten gemeint sein. Ein komplettes Löschen ist aber letztlich selbstwidersprüchlich, denn durch diese Handlung wird zugleich bestätigt, dass etwas gesagt wurde und diese Tat kann man nicht mehr rückgängig machen".
Weiterhin Störerhaftung maßgeblich
Auch wenn auf europäischer Ebene der Terminus "Recht auf digitales Vergessen" gerne weiterhin verwendet wird, ist damit wohl die Möglichkeit gemeint, nach Widerruf einer einmal erteilten Zustimmung zur Verarbeitung personenbezogener Daten eine tatsächliche Löschung zu erreichen.
Dann stellt sich aber die Frage, was konkret künftig von Google verlangt werden kann. Schon aus tatsächlichen Gründen wird es bei der bisherigen Praxis der so genannten Störerhaftung bleiben müssen: Sofern die Inhalte nicht von Google selbst erzeugt wurden, haftet das Unternehmen erst, wenn trotz Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten keine Löschung erfolgt.
Dabei ist auch zu bedenken, dass ein auf europäischer Ebene geschaffenes Recht außerhalb Europas kaum durchsetzbar sein wird und auch praktisch eine umfassende Kontrolle einzelner Inhalte im Internet schlicht nicht mehr möglich ist.
Anthony House, Googles Privacy Manager, beschreibt das so: "Forscher der Universität Kalifornien haben geschätzt, dass im Jahr 2003 fünf Exabytes an Daten produziert wurden. Was aber sind fünf Exabytes? Die gesammelten Werke von Shakespeare sind in circa fünf Megabytes fassbar, ein mit Büchern befüllter Lastwagen entspricht etwa einem Gigabyte. Eine Milliarde dieser Lastwagen entspricht einem Exabyte. Im Jahr 2010 kam man bereits auf eine Datenmenge von neu geschaffenen fünf Exabytes an jedem vierten Tag - noch vor Ablauf dieser Dekade werden wir diese Menge an nur einem Tag produzieren".
Im Prozess in Spanien wäre in jedem Fall El País die bessere Beklagte gewesen; eine Klage gegen Google scheint aber wohl die interessantere und öffentlichkeitswirksamere Alternative zu sein.
Der Autor Dr. Thomas Weimann ist Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner bei BRP Renaud und Partner am Standort Stuttgart.
Der Autor Daniel Nagel ist Rechtsanwalt bei BRP Renaud und Partner am Standort Stuttgart.
Beide Autoren beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit IT-Recht, Datenschutzrecht, AGB-Gestaltung und internationalem Recht und sind Verfasser diverser Veröffentlichungen auf diesen Gebieten.
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Thomas Weimann und Daniel Nagel, Klagen gegen Google: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3220 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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