Der Held der "Unberührbaren", Eliot Ness, endete als beruflich verkrachter Alkoholiker. Mit dem rechtsstaatlich heiklen Strafprozess gegen den Mafiafürsten von Chicago hatte er allerdings wenig zu tun. Das sind nur zwei von unzähligen spannenden Details aus Jonathan Eigs lesenswerter Biografie "Get Capone". Eine Rezension von Martin Rath.
Dank zahlreicher Kinofilme und TV-Produktionen kann sich bis heute kein Mann aus den USA der 1920er-Jahre größeren Nachruhms erfreuen als Alphonse "Scarface" Capone, der 1899 als Sohn italienischer Einwanderer in Brooklyn, New York, geboren wurde und 1947 in Palm Beach, Florida verstarb – im Zustand geistiger Umnachtung, verursacht durch eine Syphilis, die lange Jahre unbehandelt geblieben war.
Zu den bekanntesten Verfilmungen dürfte "The Untouchables" von Brian De Palma gehören, mit Robert De Niro in der Rolle des Mafia-Bosses und einem jungen Kevin Costner als heldenhaftem Chefermittler Eliot Ness.
Um es kurz zu sagen: Dieser Film ist, wie viele andere Werke rund um Al Capone, recht grober Unfug.
Das zu zeigen ist aber nur ein Verdienst der neuen Biografie "Get Capone" von Jonathan Eig, der die Geschichte des wohl berühmtesten Mafiosos aller Zeiten einerseits mit nachgerade wissenschaftlicher Detailtreue, andererseits mit hinreißender erzählerischer Spannung entwickelt. Und dabei erliegt er nie der Gefahr jener Plattheit, an der US-amerikanische Sachbuchliteratur so oft krankt.
Erfolgsgeschichte eines Berufsverbrechers
Capones kriminelle Karriere ist vor allem auf das Alkoholverbot zurückzuführen, das mit dem 18. Zusatzartikel zur US-Verfassung am 17. Januar 1920 im Kraft trat – pünktlich zu Al Capones 21. Geburtstag. Capone war zu dieser Zeit im Türstehermilieu Chicagos tätig, beschäftigt und gefördert von der örtlichen Mafia-Größe Johnny Torrio. Es war, folgt man Eig, das kriminelle Expertenwissen im Management von Glücksspiel und Prostitution, das nun für den Vertrieb von Brauereiprodukten gebraucht wurde – stand die Branche doch sonst vor dem ökonomischen Aus.
Die Prohibition sorgte bei anhaltender Nachfrage nach Bier und Branntwein für ungeheure Extraprofite durch Schwarzhandel. Eine Wagenladung illegal produzierten Alkohols konnte nun einen Nettoprofit von 250.000 US-Dollar einbringen, zu einer Zeit, in der ein Polizist in Chicago rund 1.600 Dollar nach Hause brachte – und zwar pro Jahr.
Schier unbegrenzt waren damit die Mittel der Mafia, um Politiker, Polizisten und Richter zu bestechen. Chicago war selbst für US-Maßstäbe außergewöhnlich korruptionsanfällig. Die Stadt war als industrielles Zentrum zwischen 1850 und 1920 von beschaulichen 30.000 auf 2,7 Millionen Einwohnern angewachsen, die staatlichen Institutionen wuchsen nicht gleichermaßen nach.
So galt die Justiz als Sündenpfuhl. Eig erzählt vom Fall eines Richters, der in seinem Dienstzimmer zwei Prostituierte und eine Menge Alkohol vorfand – seine 15-minütige Sitzungspause machte dann eine zweijährige Ermittlung zunichte. Ähnlich stand es um die Politik. Capone förderte führende Kommunalpolitiker, finanziell oder auch durch gewalttätige Eingriffe in den Wahlkampf.
Einen Teil des "beruflichen" Erfolgs von Capone führt Eig darauf zurück, dass dieser nicht nur bei den allfälligen Tötungsdelikten außerordentlich diskret vorging, so dass er nie wegen eines schweren Gewaltverbrechens verurteilt wurde. Er verschleierte auch mit großer Vorsicht die kriminelle Herkunft jenes Geldes, das er so verschwenderisch ausgab.
Die Spur des Geldes
Neben dem Reiz des Verbrechens zog auch der verschwenderische Lebensstil die Aufmerksamkeit von Journalisten – insbesondere Journalistinnen – auf sich, mit denen Capone recht offen sprach. Spätestens nach dem brutalen "Valentine’s Day"-Massaker im Jahr 1929, mit dem er – Eig zufolge – vermutlich nichts zu tun hatte, war Al Capone zu einer international bekannten Medienfigur geworden.
So viel Aufmerksamkeit provozierte Gegenreaktionen, nicht zuletzt jene von Herbert C. Hoover, US-Präsident von 1929 bis 1933. Hoover, ein stark moralisch motivierter Politiker, förderte die Verfolgung Capones durch die Bundesbehörden nach Kräften. Unbedingt wollte er unter Beweis stellen, dass die Prohibitionsgesetze – so unbeliebt sie auch waren – als positives Recht Gültigkeit beanspruchen durften. Womit nicht zuletzt eine Reform der Bundesjustizbehörden vorangetrieben werden sollte.
Gegenspieler von Alphonse Capone und seinen Anwälte wurden George E.Q. Johnson, ein etwas biederer, vor allem medienscheuer Bundesstaatsanwalt, und Beamte der Bundessteuerverwaltung. Der berühmte Eliot Ness verfolgte derweil bloß Schwarzbrenner, stets erpicht, damit in die Presse zu kommen.
Capones illegale Unternehmen, strukturiert wie ein Franchisesystem, erzielten nach Schätzungen der Steuerbehörden in den späten 1920er-Jahren rund 50 Millionen Dollar im Alkoholgeschäft, 25 Millionen mit illegalen Wetten und jeweils 10 Millionen mit Prostitution und Narkotika. Welche Kosten, insbesondere Bestechungsgelder anfielen, war kaum abzuschätzen. Capone zuzurechnen war ein Geschäft mit rund 95 Millionen US-Dollar Umsatz – nach heutigem Wert 1,2 Milliarden Dollar.
Eine Einkommensteuererklärung hat Capone dazu verständlicherweise nie abgegeben.
Dass auch Einkünfte aus illegalen Geschäften gegenüber dem Finanzamt zu erklären waren, entschied der U.S. Supreme Court jedoch 1927 – der Schwarzbrenner Manley Sullivan hatte sich vergeblich darauf berufen, diese Rechtspflicht verstoße gegen das Selbstbezichtigungsverbot des "nemo tenetur se ipsum accusare".
Bundesstaatsanwalt Johnson konnte schließlich mit Hilfe der – nach dem Valentinstag 1929 kräftig aufgestockten - Ermittlungsbehörden Anklage wegen Steuerhinterziehung gegen Capone erheben.
Capone vor Gericht
Das Strafverfahren gegen Alphonse Capone entwickelte sich zu einem wahren Justizthriller von skandalösem Ausmaß – die Verfilmungen verirren sich spätestens hier ins Reich der Märchen, obwohl die Wahrheit nicht spannender sein könnte.
Kurz gefasst: Johnson, der sich als moralgeleiteter höchst integrer Staatsanwalt zeigte, befürchtete, dass die länger zurückliegenden Steuerdelikte womöglich verjährt und im übrigen im Beweis etwas brüchig sein könnten. Er vereinbarte darum mit Capones Anwälten einen "Deal", demzufolge der Angeklagte rund zwei Jahre ins Gefängnis gegangen wäre.
Was nun folgte, war außergewöhnlich: Der zuständige Bundesrichter verweigerte dem Deal seine Zustimmung und erzwang damit – ungeachtet der von der Staatsanwaltschaft befürchteten Risiken – einen ergebnisoffenen Prozess. Aufgrund von Gerüchten, die Geschworenen seien von Capones Seite bestochen worden, kam es zu deren Austausch – über Al Capone saßen nun Juroren zu Gericht, die aus dem ländlichen Umland Chicagos stammten: ältere, konservative Männer, die bereits Erfahrungen als Geschworene aus früheren Prozessen mitbrachten.
Eine Woche nach dem Schuldspruch folgte am 24. Oktober 1931 das Strafmaß: Elf Jahre, abzusitzen in Bundesgefängnissen. Capone starb nach Verbüßung seiner Haft. In seinem Stadium der Syphilis konnte das neu entwickelte Penicillin nichts mehr ausrichten.
Kriminalgeschichte(n) und Medien
Eliot Ness, der mit Capone – von der Begleitung eines Gefangenentransports abgesehen – wenig zu tun gehabt hatte, verkaufte seine Heldengeschichte an einen windigen Publizisten. Ness trank zu viel, er brauchte das Geld. Weiter aufgebauscht wurde die Geschichte bis zu der Form, in der sie heute meist erzählt wird.
Jonathan Eig ist es jetzt gelungen, eine andere Geschichte zu erzählen – ohne sich lange mit dem Widerlegen von Legenden aufzuhalten. Seine faktenreiche Darstellung, in der Justiz- und Rechtsgeschichte, Aspekte von Waffentechnik und die Anfänge moderner Kriminaltechnik, politische Korruption und moralisch-integres Bürgertum ineinander greifen, hat gleichwohl Krimi-Qualität – vergleichbar vielleicht mit der herausragenden HBO-Serie "The Wire" über das organisierte Verbrechen in der Stadt Baltimore von heute.
Während das grandiose TV-Drama "The Wire" eine ordentliche deutsche Ausstrahlung wohl nie erleben wird, genügen für die spannende Lektüre von Eigs "Get Capone" ein Lesesessel und durchschnittliche Englischkenntnisse.
Jonathan Eig: "Get Capone". The Secret Plot That Captured America’s Most Wanted Gangster, New York u.a. (Simon & Schuster), 468 Seiten, rund 22 Euro.
Eine amüsante Buchbesprechung: getcapone.com
Der Autor Martin Rath ist freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Jonathan Eig / Get Capone: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1734 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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