Eine juristische Ausbildung hat sich vielleicht für keinen Zweiten so gelohnt wie für Jabbar Collins. Begonnen hat er sie im Gefängnis, um seine eigene Unschuld zu beweisen. Über 16 Jahre später war er erfolgreich, und erhielt nun eine Entschädigung von 13 Millionen US-Dollar. Seine Geschichte ist auch eine von gewissenlosen Ermittlern und manipulierbaren Zeugen.
Mit der Geschichte von Jabbar Collins lässt sich beides beweisen: Dass das amerikanische Rechtssystem kaputt ist – und dass es funktioniert. Ein wenig liest sie sich wie eine zynische Variante des American Dream: Der steinige Aufstieg von ganz unten nach ganz oben, vom Schulabbrecher und Knastinsassen zum Multimillionär und Priester.
Im Februar 1994 betritt der Rabbi Abraham Pollack sein Apartmentgebäude an der Graham Avenue 126 im nordwestlichen Brooklyn, um ausstehende Miete zu kassieren. Der Vater von neun Kindern ist dort gut gelitten: Später werden seine Mieter ihn als Mann beschreiben, der immer fair mit ihnen umging und bei verspäteter Zahlung ein Auge zudrückte. Besonders zu Dank verpflichtet ist ihm Paul Avery, ein ehemaliger Obdachloser, den Pollack im Gegenzug für seine Hilfe bei Hausarbeiten im Keller wohnen lässt. Er ist es auch, der Pollack als erster zur Hilfe eilt, nachdem er Schüsse im Hausflur hört. Viel ausrichten kann Avery nicht: Pollack wurde sechs Mal in Bauch, Rücken und Beine getroffen, er erliegt seinen Verletzungen. Auch Avery wird zwei Mal angeschossen, dann flüchtet der Täter, der es offenbar auf die Mieteinnahmen abgesehen hatte.
Im Zuge der Ermittlungen verdichtet sich der Verdacht: Jabbar Collins ist bereits wegen eines versuchten Raubes vorbestraft und der Hausmeister will ihn kurz vor der Tat im Eingang des Gebäudes gesehen haben.
Besonders schwer belasten Collins die Aussagen dreier Zeugen: Adrian Diaz, Angel Santos und Edwin Oliva. Diaz gibt an, Collins dabei beobachtet zu haben, wie er das Gebäude kurz nach der Tat verließ und eine Pistole in seine Hose steckte; Santos erklärt, er habe die Polizei gerufen und Collins gleichzeitig die Straße herab rennen gesehen. Oliva, ein alter Bekannter von Collins, räumt letzte Zweifel aus, indem er von einem früheren Gespräch erzählt, in dem Collins geplant haben soll, den Rabbi unter vorgehaltener Waffe auszurauben. Der Schuldspruch wird damit zur Zwangsläufigkeit. Am 13. März 1995 wird Collins zu lebenslänglicher Haft verurteilt, mit einer ersten Prüfung auf vorzeitige Entlassung nach 35 Jahren.
Staatsanwaltschaft hatte Zeugen bestochen und bedroht
Was das Gericht seinerzeit nicht weiß: Jeder der drei Zeugen hat sein eigenes Motiv, zu lügen. Oliva war einige Wochen zuvor wegen einer anderen Raubtat verhaftet worden, und Diaz hatte seine Bewährungsauflagen aus einer früheren Verurteilung verletzt. Beiden Männern bot die Staatsanwaltschaft ihr Entgegenkommen an, wenn sie gegen Collins aussagten. "Solche Deals sind zwar zulässig, aber nur, wenn sie dem Gericht mitgeteilt werden, was nie geschehen ist", sagt Joel B. Rudin, ein New Yorker Anwalt, der das Mandat von Collins viele Jahre später übernehmen sollte.
"Im Gegenteil: Die Staatsanwaltschaft hat ausdrücklich bestritten, dass es irgendeine Form von Deal mit den Zeugen gegeben habe." Ebenso wenig erwähnte sie, wie die dritte, belastende Aussage zu Stande kam: Oliva, der seit Jahren schwer drogenabhängig war, wurde vom Ermittlungsleiter Michael Vecchione in Haft genommen und bedroht: Mit rechtlichen Konsequenzen – und mit einem Tisch, den Vecchione über Olivas Kopf zertrümmern wollte, wenn er nicht im Sinne der Anklage aussagte.
Doch nichts davon ist seinerzeit bekannt. Die Details der Ermittlungspraxis, die von Gerichten später als "fehlgeleitet", "schändlich" und als "Tragödie" bezeichnet werden wird, kommen erst Jahre später ans Licht. Dass es überhaupt dazu kommt, ist ein kleines Justizwunder, das Collins niemand anderem zu verdanken hat als sich selbst. Den Entschluss, gegen die Verurteilung zu kämpfen, hat er nach einem Zitat des Wall Street Journal unmittelbar nach seiner Verurteilung getroffen. "Ich habe eine grauenhafte Zukunft vor mir", habe er sich gesagt, "und die einzige Möglichkeit, freizukommen, ist, Anwalt in eigener Sache zu werden."
Constantin Baron van Lijnden, Amerikaner 16 Jahre unschuldig im Gefängnis: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13080 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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