Seit Beginn des Ukraine-Krieges haben die EU und einige Staaten Sanktionen gegen Russland verhängt. Welche Arten von Sanktionen gibt es und gegen wen richten sie sich? Wie ist der Rechtsweg? Kilian Wegner gibt im Interview einen Überblick.
Mit fortschreitender Eskalation des Krieges werden die Sanktionen der Europäischen Union (EU) und des Vereinigten Königreichs gegen Russland stetig erweitert und sind mittlerweile kaum mehr überschaubar. Allerdings lassen sie sich grob in drei Gruppen unterteilen: Erstens Individualsanktionen, die sich gegen das Vermögen bestimmter Menschen und Organisationen richten.
Zweitens gibt es sektorspezifische Beschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs. Dazu zählen insbesondere das Verbot bestimmter Finanzdienstleistungen an russische Bürgerinnen und Bürger, das Importverbot für einige russische Rohstoffe und das Exportverbot für strategisch bedeutsame Industriegüter sowie die Sperre für russische Logistikunternehmen) und des Reiseverkehrs (Visavergabe etc.).
An dritter Stelle stehen Sanktionen gegen bestimmte russische Finanzinstitute.
LTO: Was sollen die Sanktionen gegen Russland bewirken?
Prof. Dr. Kilian Wegner: Die Sanktionen – offiziell spricht man von "restriktiven Maßnahmen" –verfolgen das Ziel, der russischen Regierung die Finanzierung ihres Angriffskrieges gegen die Ukraine zu erschweren. Zudem sollen der gesellschaftlichen Elite in Russland spürbare wirtschaftliche Kosten auferlegt werden, um so innenpolitischen Druck auf die russische Regierung auszuüben.
Gegen wen richten sich die Sanktionen?
Hier muss man unterscheiden: Es gibt sog. Individualsanktionen, die sich gezielt gegen einzelne Menschen oder Organisationen richten, deren Vermögen einfrieren und es verbieten, mit diesen Sanktionierten wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Es handelt sich dabei um hochstehende Personen und Organisationen, die aus Sicht der EU mit ihrem Verhalten den Angriffskrieg politisch oder wirtschaftlich unterstützen oder davon profitieren. Das sind zum Beispiel Mitglieder der russischen Regierung, des Militärapparats und des Parlaments sowie regierungsnahe Unternehmer und Medienleute.
Daneben gibt es aber auch sektorbezogene Einschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, die potenziell alle russischen Bürgerinnen und Bürger treffen können. Beispielsweise dürfen EU-Finanzinstitute von russischen Bürgerinnen und Bürgern, die keine* EU- oder EWR-Aufenthaltserlaubnis haben, keine Einlagen von mehr als 100.000 Euro annehmen.
Was bedeutet "einfrieren" genau? Bekommt man für "eingefrorene" Anlagen trotzdem Zinsen?
Der Begriff "Einfrieren" kann unterschiedliche Bedeutungen haben – je nachdem, um welchen Gegenstand es geht. Bei Geldern soll die Bewegung und Verwendung des Geldes in jeder denkbaren Hinsicht verhindert werden. Es darf nicht überwiesen und nichts abgehoben werden. Finanzinstitute dürfen ihren sanktionierten Kundinnen und Kunden Zinsen und sonstige Erträge gutschreiben, diese müssen aber ebenfalls sofort eingefroren werden.
Bei wirtschaftlichen Ressourcen (etwa Booten oder Immobilien) hat "Einfrieren" eine andere Bedeutung. Das Ziel ist es, die wirtschaftliche Verwertung der Ressource durch Vermieten, Verpachten etc. zu verhindern. Die private Nutzung einer Yacht oder einer Immobilie durch den Sanktionierten oder seine Freunde und Verwandte ist aber erlaubt.
Warum dürfen russische Privatpersonen sanktioniert werden, auch wenn sie nichts mit dem Angriff auf die Ukraine zu tun haben?
Auch hier muss differenziert werden: Individualsanktionen dürfen nur gegen Personen verhängt werden, die zumindest mittelbar den Krieg fördern oder von ihm profitieren.
Bei den Personen, die unter sektorbezogenen Sanktionen leiden, weil sie eine bestimmte Ware oder Dienstleistung aus Europa nicht mehr beziehen können, gibt es einen solchen Zusammenhang nicht. In militärischer Sprache würde man hier von einem Kollateralschaden des völkerrechtlich an sich grundsätzlich zulässigen Sanktionsregimes sprechen. Es liegt aber auf der Hand, dass die menschenrechtliche Dimension solcher Sanktionen wenig ausgeleuchtet ist – ein Problem, das etwa bei den Sanktionen gegen Staaten wie Kuba oder den Iran wohlgemerkt die wenigsten interessiert hat.
Rechtsweg zu europäischen Gerichten
Wie ist der Rechtsweg, wenn man sich gegen Sanktionen wehren will?
Wenn eine natürliche oder juristische Person namentlich Adressatin von Sanktionen wird, kann sie dagegen vor den europäischen Gerichten klagen. Insbesondere gegen die Aufnahme auf die Individualsanktionsliste kann beim Gericht der EU Nichtigkeitsklage erhoben werden. In zweiter Instanz kann der Europäische Gerichtshof (EuGH) eingeschaltet werden.
Keine Rechtsschutzmöglichkeiten hat allerdings, wer nur reflexhaft von einer sektorbezogenen Sanktion betroffen ist, weil er oder sie eine bestimmte Ware oder Dienstleistung nicht mehr erwerben oder anbieten kann.
Gibt es Präzedenzfälle, in denen Sanktionierte den Rechtsweg beschritten haben?
Es gibt diverse Präzedenzfälle, auch im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen. So hat etwa der Unternehmer Arkadi Rotenberg, ein langjähriger Bekannter von Wladimir Putin, im Jahr 2016 ein Urteil erstritten, mit dem die gegen ihn verhängten Sanktionen zum Teil für rechtswidrig erklärt wurden. Grund dafür war, dass der Rat der EU für einen bestimmten Zeitraum nicht nachweisen konnte, dass Rotenberg den vom EU-Recht geforderten Zusammenhang zum Okkupationsgeschehen in der Ostukraine aufwies.
Auch die Verhältnismäßigkeit von Sanktionen kann in Frage gestellt werden, wie zuletzt beispielsweise ein Urteil des EuGH zu Sanktionen gegen das Unternehmen Rosneft gezeigt hat. Allerdings belässt das Gericht dem Rat hier einen erheblichen Einschätzungsspielraum.
Individualsanktionen vs. Eigentumsfreiheit
Wie lassen sich Sanktionen mit der Eigentumsfreiheit in Einklang bringen, vor allem vor dem Hintergrund der Prüfung der Verhältnismäßigkeit?
Sanktionen, die gezielt das Eigentum von Individualpersonen oder bestimmten Organisationen beeinträchtigen, dürfen nur gegen Personen oder Organisationen verhängt werden, die selbst am russischen Völkerrechtsbruch mitwirken oder davon jedenfalls in herausgehobener Weise profitieren. Dies rechtfertigt aus meiner Sicht in der Theorie die vorübergehende Störung der Eigentümerposition, die mit einer Sanktionslistung verbunden ist.
In der Praxis muss aber natürlich sichergestellt sein, dass ein solcher Zusammenhang auch wirklich besteht. Nach meinem Eindruck ist das EU-Sanktionssystem in dieser Hinsicht seit seiner Einführung im sogenannten "Krieg gegen den Terror" in den letzten Jahren rechtsstaatlicher geworden. Raum für Verbesserung gibt es aber natürlich immer.
In England darf Herr Abramovich jetzt nicht einmal mehr eine Putzfrau beschäftigen. Gibt es eine derartige Sanktion auch für Putin-Unterstützer in Deutschland?
Nein. Dienstleistungen, die dem privaten Nutzen dienen und nicht zur Generierung von Einnahmen genutzt werden können, dürfen weiter an Sanktionierte erbracht werden. Dazu zählen auch die Kosten für eine Reinigungskraft. Wenn es allerdings um die Bezahlung geht, darf die Bank des Sanktionierten eine Überweisung an solche Dienstleister nur mit Genehmigung der Bundesbank ausführen. Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt sich diese Genehmigung von der Bank vorzeigen.
Prof. Dr. Kilian Wegner forscht zum Wirtschaftsstrafrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und ist Schriftleiter der "Geldwäsche und Recht". Die Fragen sind schriftlich gestellt und beantwortet worden.
*Hier stand versehentlich bis zum 7. Mai 2022 "eine" statt "keine".
Ukraine-Krieg: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48351 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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