Obwohl Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg hartnäckig angibt, seine Doktorarbeit selbst verfasst zu haben, sind Ghostwriter in aller Munde. Vor Gericht ziehen sie dagegen eher selten. Das OLG Düsseldorf aber findet in einem aktuellen Urteil deutliche Worte zum akademischen Ghostwriting. Roland Schimmel über Erlaubtes, Verbotenes und Pikantes bei der besonderen Fremdautorschaft.
Ausgangspunkt des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf war ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch. Ein Ghostwriter verlangte von einem Mitbewerber, er möge es unterlassen, sich als "einer der Marktführer" im wissenschaftlichen Ghostwriting zu bezeichnen.
Die Richter des Senats betrachteten das als irreführende Spitzengruppenbehauptung (§§ 3 Abs. 1, 2, 5 UWG) und untersagten damit die Bezeichnung. Die Düsseldorfer Richter begründeten ihre Entscheidung auch damit, dass die Tätigkeit des Antragsgegners in rechtlich missbilligten Dienstleistungen bestehe (Urt. v. 8.2.2011, Az. I-20 U 116/10).
Mit dieser Überlegung gelangt man in einem kurzen Schritt von den wettbewerbsrechtli-chen Detailproblemen zu der Frage, die die meisten Nichtjuristen und Nicht-Urheberrechtler stellen: "Dürfen die das denn überhaupt?"
Die Antwort: Im Wesentlichen dürfen sie. Das Schreiben von Texten für andere ist weder urheberrechtlich noch nach allgemeinen zivilrechtlichen Normen verboten, geschweige denn strafbar. Ausnahmsweise greifen aber eben doch die Nichtigkeitsvorschriften des BGB, die auf gesetzes- oder sittenwidrige Vertragsinhalte abstellen.
Gespaltenes Sittenwidrigkeitsurteil
Als einigermaßen unproblematisch erweist sich eine Vielzahl alltäglicher Ghostwriting-Situationen. Viele Politikerreden, etliche B-Promi-Autobiographien und manche Anwaltsschriftsätze haben andere Leute verfasst als die, die mit ihrem Namen dafür einstehen. Oft ist das auch besser so. Und das Publikum läßt es sich gefallen. Urheberrechtlich wird diese Art von Ghostwriting praktisch durchgängig als zulässig angesehen. Angesichts der mäßig originellen Leistungen, die in diesen Literaturgattungen zu erwarten sind, kann man das wohl hinnehmen.
Spätestens bei Prüfungsarbeiten wird die Sache aber heikel. Auch wenn es die einzelne Prüfungsordnung nicht noch einmal ausdrücklich in der Präambel festhält: Prüfungen sind per se höchstpersönliche Leistungen. Fremdautorschaft verstößt hier im Einzelfall gegen das Gesetz, wohl immer aber gegen die guten Sitten.
Letzteres hat das OLG Düsseldorf deutlich festgehalten. Das Gericht versagte dem Antragsgegner auch die Berufung auf die branchenübliche Erklärung, seine Arbeit sei nur eine Vorlage und dürfe selbstverständlich nicht als Prüfungsarbeit eingereicht werden. Diese Erklärung sei erkennbar nicht ernst gemeint, so die Rheinländer in aller Deutlichkeit.
So klar danach das Sittenwidrigkeitsverdikt über Ghostwriter-Werkverträge scheinen mag, so nachdenklich stimmt die Lektüre eines jüngeren Urteils des OLG Frankfurt am Main (v. 01.09.2009, Az. 11 U 51/08). Die Richter des 11. Senats bejahten die Wirksamkeit einer Ghostwritingvereinbarung entgegen allen Sittenwidrigkeitsbedenken - des Ghostwriters (!). Delikat war der zugrunde liegende Sachverhalt auch deshalb, weil dem Auftraggeber auch aufgrund des unstreitig nicht von ihm verfassten wissenschaftlichen Fachzeitschriftenbeitrags eine Honorarprofessur verliehen wurde.
Der Ghostwriter war im selben Unternehmen angestellt, in dem der Auftraggeber eine leitende Funktion hatte und er hatte den Aufsatz im Dienst schreiben müssen. Nach Ansicht des Gerichts ist in einem solchen Fall das Ghostwriting unbedenklich. Beruhigend dabei ist, dass das Urteil fast durchgängig kritisch aufgenommen worden ist. Gleichwohl wäre eine höchstrichterliche Klärung sehr wünschenswert.
Scheue Rehe
Damit ist allerdings nicht ohne weiteres zu rechnen. Vor Gericht kommen Streitigkeiten zwischen Ghostwritern und ihren Auftraggebern nämlich etwa so oft wie Nachbesserungsansprüche aus Verträgen über Auftragsmord.
Das liegt nicht an der Schüchternheit der Ghostwriter – man sehe sich nur deren Werbung an: Eine einfache Suchmaschinenanfrage genügt. Und sie sind auch durchaus streitlustig: Die Parteien des vom OLG Düsseldorf entschiedenen Konflikts hatten sich schon verschiedentlich vor Gericht getroffen.
Die scheuen Rehe sind vielmehr die Auftraggeber. Diese sind oft schon bei der Auftragserteilung in Not, zeitlich oder intellektuell oder beides. Und aufgrund der Zahlungsmodalitäten geraten sie fast immer in die Klägerrolle mit erhöhtem Kostenrisiko.
Zudem haben sie fast immer etwas zu verlieren. Nicht nur der durch Täuschung erlangte Abschluss oder akademische Titel kann abhanden kommen. Im noch etwas schlimmeren Fall zerstört die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens den guten Ruf und die individuelle Glaubwürdigkeit.
Die Folgen: Einmal durch (nicht nur) das BGB und zurück
In letzter Zeit erweist sich der Vorwurf akademischen Fehlverhaltens als einigermaßen klebrig; man sehe sich nur einmal die Wikipedia-Einträge der Professoren Schwintowski und Wirth an, vom Lemma zu Karl-Theodor zu Guttenberg Junior ganz zu schweigen. Auch der Eintrag zu Helene Hegemann besteht fast nur noch aus Plagiatsdiskussionen. Das Internet vergisst nicht so schnell…
Mit etwas Glück sieht das interessierte Publikum aber nächsthin einen Prozess gegen einen Ghostwriter mit allen juristischen Finessen: Wann ist ein Werkvertrag wirksam, was ein Werkmangel bei delikaten Vertragsinhalten? Welche Einschränkungen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ergeben sich, wenn beide Vertragsparteien die Sittenwidrigkeit kennen müssen? Wie bemisst sich der Schaden bei spürbarer Karrierebeeinträchtigung wegen Titelentziehung seitens der verleihenden Universität?
Und nicht zuletzt die wertende Schadenszurechnung mit Blick auf den Schutzzweck der Norm, unerwartete Kausalverläufe, ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten und der Treuwidrigkeitseinwand des Ghostwriters bieten genug Rechtsprobleme für drei Instanzen oder eine mittelschwere Examensklausur.
Berufsperspektive Ghostwriter?
Wer nun mit dem Gedanken spielt, selbst als Anbieter in dieses lukrative Geschäftsfeld einzusteigen, möge kurz innehalten. Einen Ausbildungsberuf "Ghostwriter" gibt es - noch - nicht. Und ob Reichtum winkt, ist auch nicht sicher.
Wenn nach den Feststellungen des OLG Düsseldorf mit einer Doktorarbeit zwischen € 10.000,- und € 20.000,- zu verdienen sind, stellt sich fast von selbst die Frage, wieviel Zeitaufwand dafür überhaupt wirtschaftlich sinnvoll möglich ist. Die verschärft sich noch ein wenig, sobald man sieht, daß eine juristische Prüfungshausarbeit je Textseite ca. 20,- bis 30 Euro kostet, je nach Eilbedürftigkeit. Wer hier als Auftraggeber also perfekte Texte erwartet, sollte an die Grenzen des Machbaren denken. Good luck anyway!
Auch mit den rechtlich harmlosen Politikerbiographien ist es so eine Sache. Der Ich-Erzähler-Ghostwriter in Robert Harris´ Ghost (deutsch München 2007, verfilmt von Roman Polanski 2010) erhält zwar $ 250.000 für die Überarbeitung eines schon vorhandenen Manuskripts binnen vier Wochen. Aber erstens ist das Fiktion und zweitens: Kann sich noch jemand erinnern, wie die Geschichte endet? Genau: tödlich. Also vielleicht doch etwas Anständiges studieren…
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Rechtsanwalt und lehrt an der Fachhochschule Frank¬furt am Main Wirtschaftsprivatrecht.
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Roland Schimmel, Ghostwriting: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2758 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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