Die Auslagerung von Gesetzgebungsarbeiten an große Kanzleien war einer der rechtlichen Aufreger 2009: Aufgaben des Parlaments erledigen Anwälte - gegen dickes Honorar. Das wirkte irritierend, auch in den Medien. Mittlerweile taucht das Thema zwar in der juristischen Fachdebatte auf, aber kaum noch in der öffentlichen Wahrnehmung. Warum eigentlich? Von Prof. Dr. Roland Schimmel.
Anfangs schlugen die Wogen hoch. Nicht nur am Stammtisch fragte sich der Steuerbürger, ob einem Gesetzgeber noch zu trauen sei, der juristischen Sachverstand extern einkaufen muss. Besonders unschön wirkte die Vorstellung, dass gleichzeitig die für die Gesetzgebung eingestellten Ministerialbeamten Däumchen drehten. Privatisierungsskeptiker entgegneten ironisch, nach den Privatisierungen der Eisenbahn in England und erster Gefängnisse in Deutschland sei es nur konsequent, nun auch Gesetze von Leuten schreiben zu lassen, die das gut und günstig erledigten, demnächst vermutlich von indischen oder chinesischen Juristen.
Die anwaltlichen Kollegen nahmen kopfschüttelnd hin, dass die Aufträge nur an die großen Kanzleien gingen, bei denen eine Arbeitsstunde zu einem Betrag abgerechnet wird, von dem ein selbständiger Berufsanfänger einen halben Monat leben muss.
Hinzu kam, dass in einem Fall noch der fertig ausgearbeitete Gesetzesentwurf auf dem Briefpapier der beauftragten Anwaltssozietät vorgelegt wurde. Was ein Triumph der Corporate Communication hätte werden können, erwies sich als PR-Bumerang. Wer nach einem Symbol für die Unfähigkeit des Gesetzgebers - vielleicht auch für die Gefahren des Lobbyismus - gesucht hatte, war fündig geworden. Glücklicherweise ist es aber gelungen, vor der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt das Wasserzeichen der Anwaltskanzlei zu entfernen.
Geheimnistuerei und befremdliche Behauptungen
Der Eindruck unanständiger Mauschelei mag sich verschärft haben, als die geflossenen Honorare nur eher zögerlich offengelegt wurden. Die Zahlen kann man in Anhang 2 zur Bundestags-Drucksache 16/14133 nachlesen – die zugrundeliegende kleine Anfrage hatte übrigens die Linke gestellt. Nach wie vor ist ein Teil der Honorare geheim und nur für Bundestagsabgeordnete einsehbar.
Befremdlich wirkte die Behauptung, die Mandate rechneten sich wegen des enormen Aufwands nicht. Warum sonst sollten Anwälte solche Aufträge übernehmen? Vielleicht, weil dadurch das Anwaltsbüro attraktiver für Kunden aus Industrie oder Banken wird. Das ist auch nicht viel tröstlicher. Jedenfalls stünde es dem Anwalt frei, das Mandat pro bono zu besorgen, wenn es sich sowieso nicht lohnt. Eine schönere Werbung als solches Engagement für das Gemeinwesen wäre doch kaum möglich - oder?
Bis zu diesem Punkt sah es fast nach einem Fall für die Krisenkommunikationsspezialisten aus.
Bei nüchterner Betrachtung ...
Die Aufregung legte sich ein wenig, als einige ernstzunehmende Argumente auf den Tisch kamen. Auch stellte sich heraus, dass das Gesamtvergabevolumen nicht einmal zehn Millionen Euro betragen hatte – verteilt auf zwanzig Jahre. Ministerien aller politischen Couleur hatten die Aufträge erteilt, so dass sich die Sache zur politischen Polarisierung nicht so recht eignete.
Zudem bedienen sich auch die Gerichte und die Verwaltung Sachverständiger, ohne dass das jemand im Grundsätzlichen beanstandete.
Ernsthafte Zweifel an der Qualität der geleisteten Arbeit sind bezeichnenderweise nicht angemeldet worden. Zumindest beim Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz lag die Eilbedürftigkeit – vielleicht wirklich über das Wochenende - auf der Hand. Hier könnte eine einschlägig qualifizierte Anwaltssozietät der Ministerialbürokratie immerhin auf kurze Sicht überlegen sein. Und vermutlich ist deren kurzzeitige Beauftragung im Ergebnis billiger als das dauerhafte Vorhalten teuren, aber selten gebrauchten Sachverstands in einem Ministerium. Außerdem würde ein Anwaltsbüro, das gesetzgeberfremde Interessen verfolgt, wohl den letzten Auftrag aus dem Ministerium bekommen haben. Das hofft man jedenfalls.
So gesehen könnte man das Thema zu den Akten legen. Und in der Tat ist es mittlerweile auf dem besten Weg, akademisch kleingearbeitet und dann vergessen zu werden. Im September 2010 fand an der Humboldt-Uni Berlin eine Tagung über Gesetzgebungs-Outsourcing statt. Die Presse berichtete (zum Beispiel Jahn, FAZ v. 29.9.2010, S. 21), der Tagungssammelband erscheint demnächst. Dass die Hälfte der Referenten Anwälte aus den beteiligten großen Büros waren, scheint niemanden ernstlich gestört zu haben. Eine Reihe von Fachzeitschriftenbeiträgen erörtert das Problem mit unterschiedlicher Perspektive, teils recht kritisch (Battis, ZRP 2009, 201 f.; Giesberts / Ostermann / Viehmann, DRiZ 2010, 42 f.; Krüper, JZ 2010, 655 ff.; Filges, BRAK-Mitt. 2010, 239 ff.; Kloepfer, NJW 2011, 131 ff.).
Lohnt sich die Aufregung?
Vermutlich nicht, denn Kosten auf die Allgemeinheit umzulegen ist das Alltäglichste von der Welt. Wenn ein Staat am Rand des Bankrotts entlangtaumelt oder eine Bank die Folgen katastrophaler Managemententscheidungen aus eigener Kraft nicht auffangen kann, zahlen letztendlich alle. Warum also nicht auch dann, wenn der Gesetzgeber mit einer Finanzkrise konfrontiert ist und für die nötigen Gesetze keinen eigenen Sachverstand vorhält? Schließlich muß es schnell gehen - und die Honorare sind letztendlich Peanuts.
So lange der Gesetzgeber sich nicht selbst das Outsourcing verbietet, wäre mit der Erfüllung der im Nachhinein allenthalben erhobenen Forderung nach Transparenz schon viel erreicht. Warum ist dann das Ausbleiben einer öffentlichen Debatte so bedauerlich? Weil ein paar Fragen offenbleiben, die anwaltliche Standesvertreter und leitende Ministerialbeamte in eigener Sache nicht beantworten können:
- Gehören die wenigen einschlägigen Regelungen tatsächlich in die Geschäftsordnungen oberster Bundesorgane oder ins Standesrecht der Rechtsanwälte?
- Ist der Bundesrechnungshof das einzige geeignete Kontrollgremium?
- Sind Schnelligkeit des Gesetzgebungsverfahrens und Kostenoptimierung Merkmale guter Gesetzgebung?
- Ist die Grenze zum unerwünschten Lobbyismus wirklich so trennscharf zu ziehen?
Auch wenn die Empörung mittlerweile verflogen ist, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die Vorstellung, dass die Rechtswissenschaftler der Zukunft die Motive des Gesetzgebers aus den Akten eines Anwaltsbüros rekonstruieren werden müssen, ist von der Idee eines demokratischen und also transparenten Gesetzgebungsverfahrens recht weit entfernt.
Aber vielleicht wird es genau so kommen: Der nach einem historischen Argument suchende Jurist ruft in der Anwaltskanzlei an, die damals das Gesetzgebungsverfahren betreut hat. Eine freundliche Bibliothekarin vergibt einen Termin zur Akteneinsicht. In der Bibliothek liegt die Akte schon bereit. Der Forscher bekommt einen Kaffee, auf Wunsch mit Milch und Zucker. Auf Kosten der Sozietät, selbstverständlich.
So geht das. Die Hunde bellen. Die Karawane zieht weiter.
Der Autor Roland Schimmel ist Rechtsanwalt und Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main.
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Roland Schimmel, Gesetzgebungs-Outsourcing: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2424 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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