Nach der "Feuerprobe" der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Bundesregierung erkannt, dass ein ausgewogenes Insolvenzrecht Arbeitsplätze sichern und ökonomische Kraft erhalten kann. Entsprechend hat sie seine Reform zum wichtigsten Vorhaben im Wirtschaftsrecht erhoben, solange der Eindruck der Krise noch frisch ist. Was taugen die aktuellen Pläne? Von Franz Zilkens.
Schwarz-Gelb hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt und sieht drei Reformstufen im Insolvenzrecht vor. Auf der ersten Stufe soll der dringendste Reformbedarf angegangen werden, wozu die Regierung unter anderem die Verbesserung der Chancen für Unternehmenssanierungen und die Stärkung der Gläubigerautonomie zählt.
Die zweite Stufe der Insolvenzrechtsreform beinhaltet eine Überarbeitung des Verbraucherinsolvenzrechts und eine Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte der Weg zur Restschuldbefreiung dabei von sechs auf drei Jahre begrenzt werden. Die dritte Stufe wiederum soll hoch streitige und komplexe Fragen wie Kriterien für die Auswahl des Insolvenzverwalters und die Behandlung von Konzerninsolvenzen thematisieren.
Deutliche Entschärfungen des alten Diskussionsentwurfs
Für die erste Stufe liegt seit September 2010 ein Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vor, der in weiten Teilen auf heftige Kritik aus der Fachwelt gestoßen war. Er enthielt eine Vorschrift, die den Finanzämtern weitgehende Aufrechnungsmöglichkeiten eröffnet und ihnen zu Lasten der übrigen Gläubiger Vorteile in einem geschätzten Umfang von 1,5 Milliarden Euro verschafft hätte.
Als dieses Menetekel verschwunden war, störte sich plötzlich niemand mehr an der neuen und im Vergleich dazu moderaten Privilegierung der Finanzämter über das Haushaltsbegleitgesetz 2011, in dem Umsatzsteuerforderungen aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren gänzlich systemwidrig von Insolvenzforderungen zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden; man hatte ja das noch größere Übel der Aufrechnung glücklicherweise verhindert. Die systemwidrige und sanierungsfeindliche Privilegierung aber wird bleiben.
Vor wenigen Tagen nun ist der Diskussionsentwurf deutlich entschärft in einem Regierungsentwurf gemündet, der am 24. Februar 2011 von der Bundesregierung verabschiedet wurde. Dieser Entwurf ist zwar um weitere offensichtliche Privilegien für die öffentliche Hand bereinigt, enthält aber eine versteckte Privilegierung einzelner Gläubiger und ist deshalb nicht uneingeschränkt zu begrüßen.
Frühzeitige Anträge erhöhen die Sanierungsschancen
Fast jede Insolvenzrechtsreform zielt darauf ab, die Beteiligten und insbesondere die betroffenen Geschäftsführer und Vorstände zu früheren Insolvenzanträgen zu motivieren, damit die Sanierung des Unternehmensträgers möglich bleibt. In der Praxis werden seit jeher Insolvenzanträge oft erst dann gestellt, wenn die letzte verfügbare Liquidität aufgebraucht ist und die Organe sich lange im Bereich der Strafbarkeit befinden. Dann ist an eine Betriebsfortführung – geschweige denn eine Sanierung des Unternehmensträgers – oft nicht mehr zu denken.
Das ESUG möchte dieses Ziel mit drei großen Regelungskomplexen erreichen: Die Gläubigerautonomie soll gestärkt werden, der Schuldner soll dem eigentlichen Insolvenzverfahren ein so genanntes Schutzschirmverfahren vorschalten können und das Insolvenzplanverfahren soll von Friktionen befreit werden. Darüber hinaus will der Gesetzentwurf die Spezialisierung der Insolvenzrichter stärken und dafür die Insolvenzgerichte auf höchstens ein Insolvenzgericht je Landgerichtsbezirk beschränken. Die weiteren Inhalte sollen hier nicht weiter behandelt werden.
Abhängigkeit des Insolvenzverwalters von bestimmten Gläubigern
Nach Eingang des Insolvenzantrages soll das Gericht ab einer bestimmten Unternehmensgröße einen vorläufigen Gläubigerausschuss einberufen, der die Person des vorläufigen – und damit auch des endgültigen – Insolvenzverwalters bindend "vorschlagen" kann. Diese Stärkung der Gläubigerautonomie erscheint auf den ersten Blick sinnvoll, da die Gläubiger durch die Gesamtvollstreckung einen Teil ihrer Forderungen verlieren und insofern eine größere Mitbestimmung nur billig ist. Neben einer Vielzahl von anderen Gründen ist diese Regelung aber vor allem deshalb abzulehnen, weil sie zu Lasten der übrigen Gläubiger zu einer klaren Abhängigkeit des Insolvenzverwalters von den ihn bestellenden Gläubigern führt.
Aus strukturellen Gründen haben primär die institutionellen Gläubiger wie Banken, Sozialversicherungsträger und Finanzämter ein Interesse an der Verwalterauswahl. Gerade diesen Gläubigern kommt es darauf an, dass der bestellte Insolvenzverwalter ihre Sicherheitenverträge und mögliche Anfechtungsansprüche nur oberflächlich und wohlwollend überprüft. Diese "Unsorgfältigkeit" des Verwalters wird zur unausgesprochenen Geschäftsgrundlage, wenn die institutionellen Gläubiger "ihren" Insolvenzverwalter bestellen. Selbst wenn die Erwartungshaltung offensichtlich ist, muss der Richter sich dem Wunsch der Gläubiger beugen.
Der abhängige Insolvenzverwalter kann sich der Erwartung nicht widersetzen, weil er von denselben Gläubigern wieder bestellt werden möchte oder muss. Diese Problematik wird noch weiter zu vertiefen sein. Die sehr weitgehende Änderung der Bestellungspraxis sollte noch einmal gründlich überdacht und der dafür vorgesehenen dritten Stufe der Insolvenzrechtsreform vorbehalten bleiben.
Schutzschirmverfahren kann Schuldner Angst vor Kontrollverlust nehmen
Vorsichtig zu begrüßen ist hingegen das neue so genannte Schutzschirmverfahren: Bei drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann der Schuldner drei Monate lang unter der Aufsicht eines von ihm bestimmten vorläufigen Sachwalters ohne Vollstreckungsdruck einen Sanierungsplan ausarbeiten, der anschließend als Insolvenzplan im Insolvenzverfahren umgesetzt werden kann. In der dreimonatigen Schutzschirmphase setzt das Gericht weder einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein noch entzieht es dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen.
Das Schutzschirmverfahren könnte effektiv zu einer neuen Insolvenzkultur und früheren Insolvenzanträgen beitragen. Die Bundesregierung hält die Angst der beteiligten Schuldner vor dem Kontrollverlust durch ein Insolvenzverfahren für den wesentlichen Grund für späte Insolvenzanträge. Genau diese Angst muss der Schuldner nicht mehr haben, wenn er unter Aufsicht eines erfahrenen Sanierungsexperten ohne Vollstreckungsdruck einen Insolvenzplan entwirft. Erst die Praxis wird allerdings zeigen, ob dieses Verfahren tatsächlich angenommen wird.
Planverfahren bleibt weiter praxisfern
Die Praxis wird ebenfalls zeigen müssen, ob die sehr moderaten Nachbesserungen beim Insolvenzplanverfahren die bisher kleine Zahl von Planverfahren nennenswert steigern können. Der Regierungsentwurf will Rechtsmittel gegen den Insolvenzplan in geringem Maße einschränken, die Umwandlung von Forderungen gegen den Insolvenzschuldner in Gesellschaftsanteile ermöglichen und die Durchführung des Insolvenzplans vor der Vollstreckung von Altforderungen schützen. Außerdem soll der Insolvenzplan vollständig durch einen Richter beaufsichtigt werden.
Die wesentlichen Gründe für die Praxisferne des Planverfahrens werden jedoch nicht beseitigt: Die bestehenden Regelungen sind unpräzise, unvollständig und zwingen den Insolvenzverwalter zu einer langen und risikoreichen Betriebsfortführung. Der Insolvenzverwalter wird in der Regel drei Monate nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Gläubigerversammlung mit der Erarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt. Für Erstellung, Beschlussfassung und Inkrafttreten können weitere drei bis fünf Monate verstreichen. In dieser Zeit muss der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb auf eigenes Risiko unter erheblichem Einsatz eigener personeller Ressourcen fortführen. Nur selten wird ein Insolvenzplan von einem Schuldner vorgelegt.
Im Vergleich dazu ist eine übertragende Sanierung meist die erheblich schnellere, einfachere und risikoärmere Lösung. Nur wenn sich keine Übernahmegesellschaft findet, fasst der Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan ins Auge. In diesen Fällen ist der Geschäftsbetrieb aber regelmäßig so unattraktiv, dass schon eine monatelange Betriebsfortführung nicht möglich ist.
Im Wesentlichen andere, aber nicht „bessere“ Insolvenzkultur
Schließlich beschränkt der Gesetzentwurf die Zahl der Insolvenzgerichte auf höchstens ein Insolvenzgericht je Landgerichtsbezirk. Damit möchte es die Spezialisierung der Richter in den komplexen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhängen des Insolvenzverfahrens stärken und die Qualität der Verfahrensbearbeitung insgesamt verbessern. Auch diese Änderung ist zu begrüßen; die Ortsnähe des Insolvenzgerichts scheint gegenüber der notwendigen fachlichen Spezialisierung der Aufsicht führenden Richter das weniger bedeutsame Kriterium zu sein.
Nach der Presseerklärung zum Regierungsentwurf zielt das ESUG auf einen "Mentalitätswechsel für eine andere Insolvenzkultur". Soweit die Autonomie einzelner Gläubigergruppen zu Lasten der anderen Gläubiger gestärkt wird, führt dieser Mentalitätswechsel zwar zu einer anderen, nicht aber zu einer besseren Insolvenzkultur. Die Stärkung der Gläubigerautonomie wird keine früheren Insolvenzanträge und damit auch keine „weitere“ Verbesserung der Sanierung zur Folge haben. Nur das neue Schutzschirmverfahren verfolgt das im programmatischen Gesetzestitel verankerte Ziel. Alle übrigen Regelungen gehen daran vorbei.
Der Autor Dr. Franz Zilkens ist Rechtsanwalt bei AHW-Insolvenzverwaltung in Köln. Er beschäftigt sich im Schwerpunkt mit Insolvenzverwaltung und ist Verfasser verschiedener Veröffentlichungen im Insolvenz- und Wirtschaftsrecht.
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Gesetzentwurf zur erleichterten Unternehmens-Sanierung: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2740 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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