Gesundheitsminister Jens Spahn will das Infektionsschutzgesetz ändern. Behörden sollen Ärzte zwangsverpflichten können, der Bund könnte den Ländern Weisungen erteilen. Eine viel kritisierte Idee wurde gestrichen.
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist das zentrale Gesetz zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie. Fast alle Maßnahmen der Behörden stützen sich bisher auf dieses Gesetz. Es ist ein Bundesgesetz, das aber von den Ländern ausgeführt wird.
Minister Spahn hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am Montag im Kabinett und am Mittwoch im Bundestag beschlossen werden soll. Er umfasst 23 Seiten und liegt LTO vor.
Alle neuen Befugnisse setzen eine "epidemische Lage nationaler Tragweite" voraus. Diese National-Epidemie muss nach § 5 Abs. 1 IfsG-E von der Bundesregierung festgestellt werden. Erforderlich ist also ein Kollegial-Beschluss der Regierung; der Gesundheitsminister kann den Hebel nicht allein umstellen. Der nationale Epidemie-Fall kann ausgerufen werden, wenn eine "ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik" besteht. Möglich ist dies, wenn entweder die Weltgesundheitsorganisation WHO eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" festgestellt hat oder wenn sich die übertragbare Krankheit in mindestens zwei Bundesländern auszubreiten droht.
Zwangsverpflichtung von Medizinern
Im nationalen Epidemiefall kann nun das Bundesgesundheitsministerium gemäß § 5 Abs. 3 IfSG-E per Rechtsverordnung oder Anordnung von zahlreichen Befugnissen Gebrauch machen. Die wichtigsten dürften sein:
- Um die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, können Ärzte, Angehörige von Gesundheitsfachberufen und Medizinstudierende verpflichtet werden, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken.
- Um die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu gewährleisten, kann der Bund diese beschaffen oder beschlagnahmen, er kann die Preise festlegen und die Produktion anordnen.
- Der Bund kann Personen, die aus Risikogebieten einreisen, zu Auskünften über Reiseweg und Kontaktpersonen verpflichten und eine Untersuchung anordnen.
- Der Bund kann neben der Entschädigung für die Betroffenen von Quarantäne und Berufsverboten gemäß § 56 IfSG neue Entschädigungsansprüche einführen (soweit der Bund sie finanziert).
Die FAZ fasste Spahns Gesetzentwurf als "Entmachtung der Länder" zusammen. Das ist aber etwas übertrieben. Denn die neuen staatlichen Möglichkeiten gab es bisher noch gar nicht, sie wurden den Ländern also nicht weggenommen. Zudem bleiben die bisherigen Befugnisse der Länder bestehen, sie können gemäß § 28 ff IfSG weiterhin alle "notwendigen Schutzmaßnahmen" anordnen, also zum Beispiel Infizierte in Quarantäne stecken, Schulen und Restaurants schließen.
Bund könnte Ländern Weisungen erteilen
Allerdings soll die Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 6 IfSG-E den Ländern künftig "Einzelweisungen" zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes erteilen können. Der Bund könnte so etwa verhindern, dass einzelne Länder durch ihren Leichtsinn die Maßnahmen anderer Länder gefährden.
Der Bund könnte das Instrument aber auch nutzen, um in einer Einzelfrage alle Länder auf eine Linie zu bringen. Spahn nennt im Gesetzentwurf keine konkreten Beispiele.
Wegen dieser Weisungsmöglichkeit ist für das Gesetz - falls es am Mittwoch im Bundestag beschlossen wird - gem. Art. 84 Abs. 5 Grundgesetz (GG) auch die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Der Bundesrat hat für Freitag dieser Woche eine Sondersitzung anberaumt, um die vielen zu erwartenden Corona-Gesetze sofort behandeln zu können.
Sollte die Weisungsmöglichkeit noch kippen, hat Spahn vorgesorgt. Im Gesetzentwurf ist in § 5 Abs. 7 auch die Möglichkeit vorgesehen, dass das Bundesgesundheitsministerium den Ländern "Empfehlungen" gibt, "um ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen." Das Bundesministerium soll sich dabei auf die Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts (RKI) stützen, dem gemäß § 5 Abs. 8 IfSG-E auch die wissenschaftliche Koordination von Bund und Ländern zugewiesen wird.
Handyortung zurückgezogen
In den sozialen Netzwerken hat ein Punkt von Spahns Vorschlag für große Empörung gesorgt, der nichts mit dem Bund-Länder-Verhältnis zu tun hat. Gemäß § 5 Abs. 10 IfSG-E sollten mit Hilfe von Handyortung künftig Kontaktpersonen von Kranken identifiziert und lokalisiert werden. Die Gesundheitsbehörden hätten die Befugnis erhalten sollen, von Telekom-Dienstleistern die entsprechenden Verkehrsdaten herauszuverlangen.
Wie das konkret hätte funktionieren sollen, war aber noch unklar. Der Telefon-Provider weiß zwar, in welche Funkzelle sich ein Mobilfunknutzer einloggte. Da sich in einer Funkzelle aber Tausende Personen befinden und solche Funkzellen oft quadratkilometergroß sind, lassen sich so keine konkreten "Kontaktpersonen" identifizieren. GPS-Daten sind zwar viel genauer, werden aber nicht an den Telekom-Provider geschickt, sondern an App-Anbieter wie Google ("google.maps"). Es wurde sogar spekuliert, dass der Staat eigene Apps auf die Handys der Bevölkerung aufspielen darf, um sie so besser für die Ortung nutzen zu können. Im Gesetzentwurf war etwas kryptisch vom Einsatz "technischer Mittel" die Rede.
Nach heftiger Kritik zog Spahn am Sonntag-Nachmittag diesen Absatz zurück, berichtet das Handelsblatt. Das so genannte "Tracking" von Kontaktpersonen ist zwar nicht vom Tisch, soll aber mit mehr Ruhe diskutiert werden.
Was erstaunlicherweise in dem Gesetzentwurf fehlt, ist eine Klarstellung zur Rechtsgrundlage für Ausgangsbeschränkungen. Obwohl in den vergangenen Tagen mehrere Aufsätze veröffentlicht wurden, die bezweifeln, ob sich Ausgangssperren und Ausgangsbeschränkungen auf die Generalklausel § 28 Abs I Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes stützen lassen, geht der Gesetzentwurf darauf mit keinem Wort ein. Dabei wäre es naheliegend, die IfSG-Ergänzung zu einer Klarstellung zu nutzen, dass die Gesundheitsbehörden erforderlichenfalls auch Ausgangsbeschränkungen anordnen können.
Bayerisches Konkurrenzprojekt
Parallel zum Gesetzentwurf von Spahn plant Bayern ein eigenes Infektionsschutzgesetz (LT-Drucksache 18/6945). Im Fall eines "Gesundheitsnotstands" könnte der Staat dann die Personalkapazität und die Materialversorgung des Gesundheitssystem sicherstellen. Mediziner und andere Berufsträger könnten auch hier zwangsverpflichtet werden.
Ärztekammern, Rettungsdienste und Feuerwehren wären zur Auskunft über Personen mit passender Ausbildung verpflichtet. Zudem soll der Staat medizinische Materialien beschlagnahmen oder ihre Produktion anordnen können.
Es fällt erstens auf, dass es hier um Befugnisse geht, die das Land sich bereits vor einer Woche mit der Ausrufung des Katastrophenfalls beschaffen wollte. Offensichtlich ist man sich dieses Wegs nun nicht mehr sicher und will ergänzend auch den passenderen "Gesundheitsnotstand" ausrufen.
Zweitens ist bemerkenswert, dass das bayerische Gesetz ganz ähnliche Materien betrifft wie die von Jens Spahn geplante Ergänzung des Bundes-Infektionsschutzgesetzes. Da der Bund gem. Art. 74 Nr. 19 im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung agiert, kann Bayern hier nur dann Gesetze beschließen, wenn es keine abschließende Bundesregelung gibt.
Das bayerische Gesetz soll an diesem Mittwoch im Münchener Landtag beschlossen werden. Sollte es einige Tage früher in Kraft treten als die Ergänzung des Bundesgesetzes, würde aber Art. 31 GG gelten: Bundesrecht bricht Landesrecht.
Christian Rath, Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41003 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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