Auch höchste Amtsträger machen Fehler, man sollte sie deshalb nicht gleich ans Kreuz schlagen. Aber wenn das Versagen zum System wird und Korrekturen nicht erfolgen, ist es an der Zeit für Konsequenzen, meint Constantin Baron van Lijnden.
Generalbundesanwalt Harald Range führt ein Ermittlungsverfahren gegen das Portal Netzpolitik.org, das einer vernünftigen Grundlage entbehrt. Zugleich weigert er sich beständig, im Angesicht einer überwältigenden Indizienlage gegen die amerikanische National Security Agency vorzugehen.
Beides ist seinem Ermessen, aber nicht seinem Gutdünken überlassen: Das Legalitätsprinzip verpflichtet seine Behörde, bei Hinweisen auf Straftaten Ermittlungen einzuleiten, das Rechtsstaatsprinzip verbietet ihr, dies auch in Ermangelung tragfähiger Hinweise zu tun.
Das Vorgehen des Bundesanwalts ist unvertretbar
Versehen kommen vor – doch dies sind keine. Die Überwachung deutscher Bürger und Politiker durch die NSA ist seit Jahren durch einen stetig wachsenden Berg von Indizien bestens dokumentiert, Ranges Erklärungen der eigenen Tatenlosigkeit haben die Hürde zur Realsatire längst überschritten. Er hat auch nicht etwa – was er dürfte – unter Verweis auf übergeordnete Interessen der Bundesrepublik nach § 153d Strafprozessordnung von weiteren Ermittlungen abgesehen, sondern beteuert nach einem zwischenzeitlichen, halbherzigen, und viel zu schnell wieder eingestellten Verfahren wie bereits zuvor, dass es einen Anfangsverdacht auf strafwürdige amerikanische Spionagetätigkeiten schlicht nicht gebe.
Umgekehrt im Verfahren gegen Netzpolitik: Dass bloß "vertrauliche" (nicht: geheime oder streng geheime) Unterlagen "Staatsgeheimnisse" im Sinne des § 93 Strafgesetzbuch sein sollten, dass die Klärung dieser Frage ein externes Gutachten erfordere, dass dieses wiederum nur in einem förmlichen Ermittlungsverfahren erstellt werden könne, welches obendrein bereits gegen die Informanten selbst seit Wochen läuft, dass schließlich die Journalisten von Netzpolitik gehandelt hätten, "um" die Bundesrepublik Deutschland zu beanchteiligen – dies alles ist, juristisch gesprochen, so unvertretbar, dass es selbst als Schleier zur Kaschierung der dahinterstehenden Motivlage kaum mehr zu gebrauchen ist.
Demokratie erfordert Verantwortlichkeit für Amtsversagen
Sein Versagen in beiden Fällen dauert an. Ermittlungen gegen die NSA gibt es weiterhin (bzw. wieder) nicht, Ermittlungen gegen Netzpolitik sehr wohl, auch wenn letztere im Augenblick, wie es recht nichtssagend heißt, "ruhen" – womöglich auf Geheiß des weisungsbefugten Justizministers Maas, der in einem politisch ungewöhnlichen Akt seine eigenen, starken Zweifel an der Tragfähigkeit der von Range erhobenen Vorwürfe artikuliert hat.
"Generalbundesanwalt" ist der Name einer Behörde, der rund 200 Mitarbeiter angehören. Natürlich betreibt Range nicht jedes Verfahren, das dort läuft, in Eigenregie, ebenso wenig, wie ein Minister die Gesetze seines Ministeriums höchstpersönlich verfasst. Aber er steht ihr vor, er wird – gerade – in heiklen Fragen konsultiert, und er ist für ihr Vorgehen in letzter Instanz verantwortlich.
Range selbst ist gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 5 des Bundesbeamtengesetzes "politischer Beamter", was nicht mit "Politiker" zu verwechseln ist. Seine Nähe zum Regierungsapparat macht politische Erwägungen in seinem Vorgehen, abseits der gesetzlich normierten und hier nicht genutzten Ausnahmen, weder nötig noch überhaupt möglich.
Möglich macht sie jedoch etwas anderes: Seine jederzeitige, auch grundlose Versetzung in den einstweiligen Ruhestand durch den Bundespräsidenten. Dafür wäre es an der Zeit.
Constantin Baron van Lijnden, Konsequenzen der Landesverrats-Ermittlungen: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16467 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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