Diskriminierendes ausländisches Recht darf bei Ehescheidungen nicht angewendet werden. Auf den Schutz vor Diskriminierung können die Eheleute nicht verzichten, meint der Generalanwalt. Karin Susanne Delerue über eine Scheidung nach Scharia-Recht.
Wenn das ausländische Recht diskriminierend ist, dürfe es auch nicht angewendet werden. Eine Scheidung solle daher nicht anerkannt werden, wenn sie auf dem Scharia-Recht basiert, meint Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Henrik Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen (C-372/16 Sahyouni / Mamisch). Rechtlich gesprochen fallen also nach seiner Ansicht Privatscheidungen nicht in den Anwendungsbereich der Rom III-Verordnung (VO, EG Nr. 1259/2010).
Der Fall betrifft einen Mann und eine Frau, die gleichzeitig die syrische und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und derzeit in Deutschland leben. Zuvor lebten sie sowohl in Syrien als auch im Libanon und in Kuwait. In dieser Zeit hatte der Ehemann durch einen Bevollmächtigten 2013 vor dem Scharia Gericht die Scheidungsformel aussprechen lassen. Das Gericht stellte die Scheidung der Eheleute fest. Es handelte sich um eine „private“ Ehescheidung, da sie nicht auf einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung, sondern auf einer einseitigen Willenserklärung beruht, an die sich ein rein deklaratorischer Akt einer ausländischen Behörde anschließt.
Die Frau bestätigte in der Folge schriftlich, sie habe alle Leistungen erhalten, die ihr nach den religiösen Vorschriften aus dem Ehevertrag und aufgrund der auf einseitigen Wunsch ihres Ehegatten erfolgten Scheidung zustanden. Dem Antrag des Mannes auf Anerkennung der Ehescheidung gab das Oberlandesgericht (OLG) München statt. Er falle unter die Rom III-Verordnung (VO), daher sei syrisches Recht anwendbar. Die Ehefrau focht diese Entscheidung an.
In Europa alles im Einklang
Die Rom III-Verordnung ist zunächst einmal eine Rechtsvorschrift und damit unmittelbar geltendes Recht. Sie regelt, welches Recht auf die Ehescheidung anzuwenden ist, wenn der Sachverhalt Verbindungen zu verschiedenen Staaten aufweise (Art 1 Rom III-VO). Maßgeblich können dabei verschiedene Aspekte sein: der gewöhnliche Aufenthaltsort, der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort der Eheleute, ihre Staatsangehörigkeit oder das Recht des Staates des angerufenen Gerichts.
Nach Einschätzung des Generalanwaltes fallen jedoch nur konstitutive Entscheidungen durch Gerichte oder Behörden unter die VO. Nicht darunter fallen seines Erachtens –entgegen der Annahme des OLG München – einseitige Erklärungen, wenn diese zu einer Scheidung durch ein geistliches Gericht führen.
Diese Einschätzung begründet Saugmandsgaard Øe mit der Entstehungsgeschichte der VO und mit der Brüssel IIa-VO über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen. Die Regelungen dieser VO müssten nach dem Willen des Unionsgesetzgebers miteinander in Einklang stehen – was seiner Ansicht nach bei einseitigen Erklärungen nicht der Fall ist.
Syrisches Recht zumindest wegen Diskriminierung nicht anwendbar
Für den Fall, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Aspekt der Anwendbarkeit anders sehen sollte als er selbst, hält er trotzdem die Scheidung für nicht vollzogen. Saugmandsgaard Øe beruft sich dabei auf Art. 10 der VO. Danach ist immer das Recht des angerufenen Gerichts anzuwenden, wenn das ansonsten anwendbare Recht einen der Eheleute diskriminiert. Eine solche Diskriminierung definiert er abstrakt, weil das syrische Recht nach den Feststellungen des OLG München für den Mann andere Voraussetzungen für eine Scheidung normiert als für die Frau. Tatsächlich kann der Mann sich dort einseitig durch eine bestimmte Erklärung von der Ehe lösen, während die Frau eine Scheidung nur unter erschwerten Bedingungen erreichen kann.
Eine solche Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten sehe der Unionsgesetzgeber als so schwerwiegend an, dass sie ausnahmslos den absoluten Ausschluss des gesamten andernfalls anwendbaren Rechts zur Folge hat.
Wegen dieser absoluten Ausgestaltung des Art. 10 Rom-III-VO hält Saugmandsgaard Øe die Norm auch nicht für dispositiv: Die Ehefrau konnte also auch nicht wirksam, ob nun ausdrücklich oder konkludent, auf diesen Schutz verzichten.
Die Autorin Karin Susanne Delerue ist Rechtsanwältin bei Delerue & Sharma und Fachanwältin für Familienrecht. Sie ist ausgebildete Mediatorin (BIM), im Deutschen Anwaltverein Regionalbeauftragte für die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht für den Kammergerichtsbezirk, Mitglied im Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin und im Fachausschuss für Erb- und Familienrecht bei der Bundesrechtsanwaltskammer.
Generalanwalt zur Anerkennung privater Scheidungen: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24541 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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