In den vergangenen Jahren hat sich die Europäische Kommission weit in das Steuerrecht hineingewagt. Warum die nächsten Wochen für ihren Feldzug gegen aggressive Steuervergünstigungen der EU-Länder wichtig sind, erklärt Ulrich Soltész.
Der September könnte sich für die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission (DG COMP) als Schicksalsmonat erweisen. Zunächst werden am nächsten Dienstag und Mittwoch zahlreiche Steuerrechtler ihre Augen und Ohren auf das Gericht der EU in Luxemburg richten. Dort findet die mündliche Verhandlung in den verbundenen Rechtssachen T 778/16 - Irland / Kommission und T 892/16 - Apple Sales International, Apple Operations Europe / Kommission statt.
Im August 2016 hatte die Kommission bekanntlich festgestellt, dass Irland an Apple unrechtmäßige Steuervergünstigungen gewährt habe; Apple habe wesentlich weniger Steuern zahlen müssen als andere Unternehmen. Aus diesem Grund wurde die Rückforderung von "bis zu 13 Mrd. Euro" unzulässiger Steuervergünstigungen angeordnet. Diese Entscheidung, die bisherige Rückforderungssummen um ein Vielfaches übersteigt, war ein absoluter Rekord und sorgte für erhebliche Aufregung, vor allem in den USA. Die Rückforderungsentscheidung wurde von Apple und der Republik Irland angefochten. Jetzt wurde die mündliche Verhandlung anberaumt, die für zwei Tage terminiert wurde. Zwar ist mit einem Urteil realistischer Weise erst in mehreren Monaten zu rechnen. Die mündliche Verhandlung könnte aber bereits erste Indikationen über die Erfolgsaussichten der Klagen geben.
Wenig später, am 24. September 2019, wird das Gericht seine Urteile in der bereits länger anhängigen Verfahren T-755/15 - Luxemburg / Kommission und T-759/15 - Fiat Chrysler Finance Europe / Kommission, sowie T-760/15 - Niederlande / Kommission und T-636/16 - Starbucks und Starbucks Manufacturing Emea / Kommission erlassen. In beiden Fällen geht es auch um Steuervorteile, und zwar in Luxemburg und den Niederlanden, die nach Auffassung der Kommission EU-rechtswidrige Beihilfen enthielten und im Jahre 2015 untersagt wurden. Es handelt sich um die ersten Entscheidungen der Kommission zu "tax rulings" (Steuervorbescheide). Die Gerichtsverfahren haben daher Pilotcharakter und werden mit Spannung erwartet.
Vestagers Kampf gegen Steueroasen
In all diesen Fällen geht es nicht nur um extrem viel Geld, sondern auch um die künftige Politik der Kommission. Die amtierende Wettbewerbskommissarin Vestager, die dieses Amt voraussichtlich auch wieder in der neuen Kommission innehaben wird, hatte ihren Kampf gegen EU-beihilferechtswidrige Steuermaßnahmen zu einer Herzensangelegenheit gemacht. Dies ging so weit, dass sie irrtümlicherweise von der Presse (und auch von Donald Trump) als "Steuer"-Kommissarin bezeichnet wurde. Sie hat mehrfach klargestellt, dass sie diesen Kurs weiterverfolgen will.
Mit ihrem Kreuzzug gegen "Aggressive tax planning measures" (aggressive Steuerplanung) hat Vestager nicht nur eine hohe Popularität (und ihre erneute Nominierung als Wettbewerbskommissarin) erreicht. Sie hat auch für hohe Nervosität bei Unternehmen, Beratern und Mitgliedstaaten gesorgt. Denn die von der Kommission und den Unionsgerichten bei Fiskalbeihilfen angewandten Prüfungsmaßstäbe sind aus Sicht vieler Beobachter eine "Black Box", also nicht klar definiert bzw. öffentlich bekannt, und tragen nach Ansicht zahlreicher Kritiker zur Rechtsunsicherheit bei.
In den genannten Fällen steht also einiges auf dem Spiel. Sollten die Richter die Negativentscheidungen der Kommission in größerem Umfang aufheben, so wäre die Kommission in einem ganz zentralen Politikfeld entscheidend geschwächt.
Gegenwind aus Luxemburg?
Zur Erhöhung der Spannung trägt hier der Umstand bei, dass die Kommission derzeit in Beihilfefällen kräftigen Gegenwind von den Unionsgerichten verspürt. Sie hat jüngst eine Aufhebungswelle bei beihilferechtlichen Entscheidungen erlebt, die es vorher nie gegeben hat. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Kommission mehr als 20 wichtige Verfahren in Luxemburg verloren. Dies ist eine dramatische Zahl für eine Behörde, die sich jahrelang mit einer Erfolgsquote von 80 Prozent in diesem Bereich brüstete.
Speziell im Bereich der "Steuerbeihilfen" hatte die Kommission in allerjüngster Zeit einige Fälle vor den Gerichten verloren, wie z.B. die Fälle Ungarische Werbesteuer, Polnische Einzelhandelssteuer, Belgisches "Excess profit scheme", Deutsche Sanierungsklausel und das Steuerregime des FC Barcelona. Zwar haben die Gerichte in der letzten Zeit auch immer wieder die Kommission in wichtigen Beihilfesachen gestützt. Es dürfte aber kaum zu bestreiten sein, dass sich die gerichtliche Kontrolle in Luxemburg verschärft.
Der Kommission könnte also durchaus ein heißer Herbst bevorstehen. Zwar spricht derzeit einiges dafür, dass die Richter aus Luxemburg mit Augenmaß agieren und die Entscheidungen der Kommission zu "tax rulings" nicht in großem Stil kippen werden. Denn in den jüngsten Urteilen zu Steuerbeihilfen haben die Gerichte den grundsätzlichen Ansatz der Kommission nicht prinzipiell in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt. Aufhebungen erfolgten vor allem wegen technisch-handwerklicher Fehler im Einzelfall, nicht aber aus Grundsatzerwägungen. Vor allem wurden die Bedenken, auch aus der deutschen Steuerrechtsgemeinde, die der Kommission eine Kompetenzanmaßung vorgeworfen hatte, von der Rechtsprechung mittlerweile mehrfach zurückgewiesen. Diese Fundamentalkritik bezog sich vor allem auf den sog. "Drei-Stufen-Test" der Kommission, mit dem das Vorliegen einer Beihilfe festgestellt wird. Die Gerichte haben diesen "Drei-Stufen-Test" mittlerweile mehrfach abgesegnet.
Die Kommission hat also Grund zum Optimismus. Dennoch weiß sie am allerbesten, dass die EU-Gerichte gerne für Überraschungen gut sind. Es bleibt also spannend!
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit 22 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.
EuG entscheidet zu "Tax rulings": . In: Legal Tribune Online, 16.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37635 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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