In einer aktuellen Entscheidung hat der EuGH eine Vorschrift des - gerade erst wegen Verfassungswidrigkeit reformierten - deutschen Erbschaftsteuerrechts als gemeinschaftsrechtswidrig bezeichnet. Die Entscheidung zeigt, dass es lohnend sein kann, erb- und schenkungsteuerliche Vorgänge mit Berührung zum EU-Ausland auch unter Aspekten des Gemeinschaftsrechts zu prüfen.
Klägerin war eine deutsche Staatsangehörige, die seit mehr als 35 Jahren in den Niederlanden wohnt. Ihre Mutter, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist und seit mehr als 50 Jahren in den Niederlanden lebt, übertrug ihr 2007 im Wege der Schenkung ein bebautes Grundstück in Düsseldorf mit einem Steuerwert von 255.000 Euro.
Gemäß § 16 Abs. 2 Erbschaftsteuer- und Schekungsteuergesetz (ErbStG) ist der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage bei Schenkung einer in der Bundesrepublik Deutschland belegenen Immobilie niedriger, wenn Schenker und Schenkungsempfänger ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, als wenn einer von ihnen seinen Wohnsitz im Inland hätte. Der Unterschied ist beträchtlich: Bis 2009 betrug der Freibetrag für Kinder nur 1.100 Euro statt 205.000 Euro, seit 2009 gilt ein Freibetrag von 2.000 Euro statt 400.000 Euro!
Das Finanzamt setzte daraufhin ca. 28.000 € Schenkungsteuer fest. Dabei zog es von dem Steuerwert für das Grundstück einen Freibetrag von 1.100 Euro ab und erhob auf die so ermittelte Bemessungsgrundlage einen Steuersatz von 11 Prozent.
Die Klägerin verlangte indessen die Berücksichtigung des Freibetrags, der für Erwerbe von Kindern vorgesehen ist, wenn der Schenker oder der Erwerber zur Zeit der Ausführung der Schenkung seinen Wohnsitz im Inland hat (im Zeitpunkt der Schenkung 205.000 €). Bei Anwendung dieses Freibetrages ergibt sich eine Bemessungsgrundlage von lediglich 50 000 € mit der Folge, dass der Steuersatz nur 7 Prozent und die festgesetzte Steuer 3.500 € und nicht ca. 28.000 € beträgt.
Das Finanzgericht Düsseldorf legte den Fall wegen europarechtlicher Bedenken dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Die Entscheidung des EuGH
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verbietet Art. 56 Abs. 1 des EG-Vertrages (EG) ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Hierunter fällt auch die steuerliche Behandlung von Schenkungen unabhängig davon, ob es sich um Geldbeträge, um bewegliche oder um unbewegliche Sachen handelt. Hiervon ausgenommen sind nur solche Fälle, die rein innerstaatlichen Bezug haben. Schenkt eine Person mit Wohnsitz in den Niederlanden einer anderen Person mit Wohnsitz in demselben Staat ein in Deutschland belegenes Grundstück, ist das aber keine rein innerstaatliche Situation.
Zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Art. 56 Abs. 1 EG verboten sind, gehören nach der Rechtsprechung des EuGH auch solche Maßnahmen, die eine Wertminderung der Schenkung desjenigen bewirken, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der die Schenkung besteuert.
Diese Beschränkung des freien Kapitalverkehrs ist auch nicht nach den Bestimmungen des EG-Vertrags gerechtfertigt. Das Finanzamt und die Bundesregierung hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei einer Schenkung eines gebietsfremden Schenkers an einen ebenfalls gebietsfremden Schenkungsempfänger und bei einer Schenkung, an der ein Gebietsansässiger als Schenker oder Schenkungsempfänger beteiligt sei, um objektiv unterschiedliche Situationen handelt. Während nämlich der Schenkungsempfänger in der ersten Situation in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht unterliege, die gegenständlich auf Inlandsvermögen begrenzt sei, unterliege er in der zweiten Situation der unbeschränkten Steuerpflicht, die den gesamten Vermögensanfall erfasse,unabhängig davon, wo das Vermögen belegen sei. Eine solche Ungleichbehandlung stelle keine Diskriminierung im Sinne der Art. 56 EG und 58 EG dar. Denn es sei grundsätzlich Sache des Mitgliedstaats , in dem eine unbeschränkte Steuerpflicht bestehe, die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen umfassend zu würdigen.
Keine erlaubte Ungleichbehandlung
Diese Sichtweise lehnt der EuGH mit Urteil vom 22. April 2010, Az. C-510/08 ab: Denn nach Art. 58 Abs. 3 EG dürfen auch an sich erlaubte Ungleichbehandlungen der Mitgliedstaaten "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 56 darstellen".
Eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren streitige kann nur dann mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar sein, wenn die unterschiedliche Behandlung
• Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind oder
• durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Ferner ist die unterschiedliche Behandlung von Schenkungen nur gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit dieser Regelung verfolgten Ziels erforderlich ist.
Kein Unterschied in der objektiven Situation – auch nicht bei der Besteuerung
In Bezug auf die Höhe der Schenkungsteuer, die auf die Schenkung einer in Deutschland belegenen Immobilie erhoben wird, gibt es aber keinen objektiven Unterschied , der es rechtfertigen würde, die Situation von Personen, von denen keine im Inland wohnt, und die Situation, in der zumindest eine dieser Personen im Inland wohnt, ungleich zu behandeln. Folglich ist die Situation der Klägerin mit der jedes Schenkungsempfängers, der eine in Deutschland belegene Immobilie von einem in Deutschland ansässigen Familienangehörigen erhält, sowie mit der eines dort ansässigen Schenkungsempfängers, der diese Zuwendung von einem dort nicht ansässigen Familienangehörigen empfängt, vergleichbar:
"Wenn eine nationale Regelung für die Zwecke der Besteuerung einer im Wege der Schenkung erworbenen Immobilie, die in dem betreffenden Mitgliedstaat belegen ist, gebietsfremde Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Schenker erhalten haben, einerseits und gebietsfremde oder gebietsansässige Schenkungsempfänger, die eine solche Immobilie von einem gebietsansässigen Schenker erhalten haben, sowie gebietsansässige Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Schenker erhalten haben, andererseits auf die gleiche Stufe stellt, kann sie diese Schenkungsempfänger im Rahmen dieser Besteuerung hinsichtlich der Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für diese Immobilie nicht unterschiedlich behandeln, ohne gegen die Vorgaben des Unionsrechts zu verstoßen.
Indem der nationale Gesetzgeber Schenkungen an diese beiden Personengruppen - außer in Bezug auf die Höhe des Freibetrags, der dem Schenkungsempfänger gegebenenfalls zugutekommt - gleich behandelt, hat er anerkannt, dass zwischen ihnen im Hinblick auf die Modalitäten und die Voraussetzungen für die Erhebung der Schenkungsteuer kein Unterschied in der objektiven Situation besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte."
Und die Moral von der Geschicht’: Vergiss die Vereinbarkeit mit EU-Recht nicht
Das deutsche Erbschaftsteuerrecht enthält trotz seiner zwischenzeitlichen Reform und der "Reform der Reform" zum 01.01.2010 auch weiterhin viele Ungereimtheiten.
Es lohnt sich, diese nicht einfach - oft zähneknirschend - hinzunehmen, sondern anzuwendende Vorschriften einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Und diese muss sich nicht auf deren Vereinbarkeit mit der Verfassung beschränken. In Fällen mit Auslandsbezug kann vielmehr auch eine Prüfung auf ihre Konformität mit Gemeinschaftsrecht sinnvoll sein.
Der Autor Alexander Knauss ist Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Bonn. Er ist Verfasser zahlreicher Fachpublikationen u.a. zum Erbrecht.
Alexander Knauss, Erbschaftsteuer-Freibeträge für Grundstücksschenkungen: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/556 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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