Eigentlich waren sie sich ganz sympathisch, der Zahnarzt und seine potentielle Zahnarzthelferin. Über ihr Kopftuch stritten sie zuletzt jedoch bis vor Gericht. Knapp 1.500 Euro muss der Dentist der Muslima nun zahlen, weil er die Bewerberin wegen ihres Kopftuchs ablehnte. Bernhard Franke von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärt im LTO-Interview, wieso das Urteil "Signalwirkung" hat.
LTO: Vor dem Arbeitsgericht Berlin erstritt eine junge Frau eine Entschädigung, weil ein Zahnarzt ihre Bewerbung ablehnte, nachdem sie sich geweigert hatte, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen (Urt. v. 28.03.2012, Az. 55 Ca 2426/12). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes betonte, das Urteil sei das erste, das sich explizit auf eine Bewerberin mit Kopftuch in der Privatwirtschaft bezieht und eine Entschädigung ausspricht. Wieso ist es so wichtig, zwischen privaten und öffentlichen Arbeitsgebern zu differenzieren?
Franke: Die Rechtsprechung zu Arbeitsverhältnissen ist im öffentlichen Bereich etwas anders als in der Privatwirtschaft. Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen ist danach gerechtfertigt, weil dies der staatlichen Neutralitätspflicht entspricht.
Bei privaten Arbeitgebern war das immer schon anders. Das Bundesarbeitsgericht hat beispielsweise 2002 entschieden, dass die Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen des Tragens eines Kopftuchs unwirksam ist. Schon 1996 gab das Arbeitsgericht Hamburg einem Sikh Recht, der einen Turban tragen wollte anstelle einer Papiermütze der Imbisskette, für die er arbeitete.
LTO: Also doch nicht das erste Urteil zu religiös bedingter Kleidung?
Franke: Nicht ganz, das stimmt. Das Thema beschäftigt die Rechtsprechung schon länger. Aber es ist doch das erste Urteil nach dem Inkrafttreten des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG).
"Vielleicht scheuen Diskriminierte gerichtliche Auseinandersetzungen generell"
LTO: Das AGG gibt es nun bereits seit gut sechs Jahren. Wieso hat es so lange gedauert, bis einer Kopftuch tragenden Muslima gerichtlich eine Entschädigung zugesprochen wurde?
Franke: Das ist schwer zu sagen. Es könnte an Unkenntnis über die Ansprüche aus dem AGG liegen. Aber auch an Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung darüber, ob die Ablehnung wegen eines Kopftuchs eine verbotene Diskriminierung ist, da die Rechtsprechung die Kopftuchverbote für Lehrerinnen ja billigt.
Dazu kommen die kurzen Fristen, innerhalb derer Ansprüche geltend gemacht werden müssen, und nicht zuletzt Beweisprobleme. Eine Klägerin muss Indizien dafür vorbringen, dass ihr Kopftuch der Grund für die Ablehnung ihrer Bewerbung war. Schließlich könnten Diskriminierte generell gerichtliche Auseinandersetzungen scheuen - schon wegen der Kosten. Im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren muss der Kläger seine Anwaltskosten auch tragen, wenn er gewinnt.
"Das Beweisproblem: Keine Entschädigung ohne Indizien für eine Diskriminierung"
LTO: Sie sprechen Beweisprobleme an. Könnte das Urteil Arbeitgeber nicht auch dafür sensibilisieren, eine Diskriminierung in Zukunft einfach besser zu verdecken?
Franke: Das denke ich nicht. Das Urteil zeigt deutlich, dass Diskriminierung ein erhebliches Prozessrisiko für Arbeitgeber mit sich bringen kann, da letztlich die Arbeitsgerichte entscheiden, was als Indiz für eine Diskriminierung zu werten ist. Insoweit könnte es auch eine abschreckende Wirkung entfalten.
LTO: Halten Sie es für richtig, dass ein Kopftuchverbot im öffentlichen Bereich gerechtfertigt ist?
Franke: Das sehen wir durchaus kritisch. Die Gesetzgeber einiger Länder und die Gerichte sehen hier sehr generalisierend und ohne auf den Einzelfall abzustellen schon allein im Tragen eines Kopftuchs einen Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot. Da könnte wesentlich stärker darauf abgestellt werden, inwieweit Eltern oder Schüler das Kopftuch akzeptieren.
LTO: Wird das Urteil Auswirkungen auf die landesrechtlichen Kopftuchverbote haben?
Franke: Das sehe ich zunächst nicht, ich würde aber hier ein Umdenken sehr begrüßen.
"Das Kopftuch ist Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses"
LTO: Hätte es vorliegend überhaupt rechtliche Ansatzpunkte gegeben, den Fall anders zu beurteilen?
Franke: Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber natürlich auf Sicherheit und Hygiene verweisen. Der Zahnarzt konnte sich allerdings nicht mit Erfolg auf diese Gründe berufen. Das sind absolute Ausnahmen, die nur in sehr wenigen Fällen überhaupt denkbar sind. Etwa dort, wo es auf Sterilität und Keimfreiheit ankommt. Oder wenn jemand mit Maschinen umgehen muss und das Tragen eines Kopftuches dabei zu Verletzungen führen kann.
LTO: Teilweise wurde argumentiert, dass der Islam per se nicht zwingend das Tragen eines Kopftuches gebiete, der Zahnarzt die Frau also nicht aus religiösen Gründen abgelehnt habe. Was halten Sie davon?
Franke: Es kommt nicht darauf an, ob es innerhalb des Islams Auffassungen gibt, die das Tragen eines Kopftuchs nicht vorschreiben. Entscheidend ist, dass das Kopftuch für die Trägerin Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses ist und dass sich die Betroffene deshalb benachteiligt fühlt. Die Religionsfreiheit stellt es im Übrigen frei, wie man von den Pflichten, die eine Religion vorschreibt, Gebrauch macht.
"Entschädigung muss auch abschreckend wirken"
LTO: Das Gericht hat der Klägerin knapp 1.500 Euro zugesprochen. Halten Sie das für angemessen?
Franke: Die Summe bewegt sich innerhalb der Grenze der drei Monatsgehälter, die das AGG vorsieht. Bislang haben die Gerichte in der Regel Entschädigungssummen von ein bis zwei Monatsgehältern zugesprochen. Eine andere Frage ist, ob diese Höhe wirklich eine abschreckende Wirkung hat; denn dies fordern die EU-Richtlinien, auf denen das AGG beruht, ja auch.
LTO: Und diese abschreckende Wirkung sehen Sie im Fall des Zahnarztes nicht?
Franke: Durchaus. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Diskriminierungsverbots wegen der Religion. Unabhängig von diesem Einzelfall bleibt aber die Frage, ob die deutschen Gerichte bei der Bemessung der Entschädigungssummen die einschlägige Vorschrift des § 15 AGG im europarechtlichen Sinne auslegen und eine abschreckende Wirkung im Blick haben.
LTO: Von wie vielen Fällen sprechen wir denn? Beklagen bei Ihrer Stelle viele muslimische Frauen, dass sie wegen ihres Kopftuchs diskriminiert werden?
Franke: Wir haben seit 2006 ungefähr 430 Anfragen zum Merkmal Religion, davon sind immerhin 120 von Frauen, die sich auf das Tragen eines Kopftuchs beziehen, also etwa ein Viertel. Insgesamt machen Beschwerden, die die Religion betreffen etwa fünf Prozent.
LTO: Herr Franke, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Bernhard Franke ist Jurist und Leiter des Referats Beratung und Grundsatzangelegenheiten bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Die Fragen stellten Dr. Claudia Kornmeier und Jens Kahrmann.
Entschädigung nach Diskriminierung wegen Kopftuch: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7367 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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