Die SPD-Fraktion bewertet den Entwurf ihrer eigenen Bundesregierung zum dritten Geschlecht als diskriminierend. Auch zwölf Bundesländer wollen Änderungen. Hauptkritikpunkt: Die ärztliche Zwangsbegutachtung von intersexuellen Menschen.
Die SPD im Bundestag hält den Gesetzentwurf ihrer eigenen Koalition zur Regelung des dritten, künftig im Geburtenregister als "divers" bezeichneten Geschlechts in einem wesentlichen Punkt für diskriminierend. Stein des Anstoßes ist die im Gesetzentwurf geregelte Pflicht, dass Betroffene bei der Änderung des Personenstandes zur neuen Eintragung "divers" ihre Intersexualität durch ein ärztliches Gutachten belegen müssen.
"Dies ist diskriminierend", sagte die für die SPD-Fraktion zuständige Berichterstatterin im Innenausschuss, Elisabeth Kaiser, kurz vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am Donnerstag im Bundestag auf Nachfrage von LTO. Die geschlechtliche Identität ergebe sich eben nicht durch eine ärztliche Begutachtung. Sie basiere vielmehr auf der individuellen Selbstwahrnehmung einer Person, so die Abgeordnete.
Statt eines Arztbesuches, den viele Betroffene als entwürdigend empfänden, schlägt die SPD nunmehr die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Standesamt über die eigene geschlechtliche Identität vor. Denkbar sei auch eine Fristenregelung. "Dies halten wir für praktikabel, juristisch beständig, finanziell deutlich günstiger und vor allem angemessen", so Kaiser.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Oktober 2017 in einer spektakulären Entscheidung die Einführung einer weiteren Geschlechtskategorie im Personenstandsrecht neben "männlich" und "weiblich" bis zum Jahresende gefordert. Deutschlands höchstes Gericht hatte entschieden, dass die Angabe "Mann" und "Frau" als Angabe im Personenstand nicht ausreiche, der Gesetzgeber müsse vielmehr eine weitere Option zulassen – und zwar bis Ende 2018.
Regierungsentwurf sorgt für Ernüchterung
Nachdem die Karlsruher Entscheidung zunächst von nicht-binären Menschen – also Personen, die sich selbst nicht als Mann oder Frau beziehungsweise als Mädchen oder Junge wahrnehmen – als starkes Signal für die Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt und Selbstbestimmung gefeiert wurde, kehrte nach Vorlage des Gesetzentwurfs durch die Große Koalition schnell Ernüchterung ein.
Wie die SPD und Teile der Opposition streben nach LTO-Informationen auch zwölf Bundesländer eine Änderung nicht zuletzt bei der Attestpflicht an. Bis auf Bayern, Hessen, das Saarland und Sachsen-Anhalt, das sich enthielt, stimmten alle Länder im Familienausschuss des Bundesrates gegen die Notwendigkeit eines ärztlichen Attestes. Außerdem treten die Länder für eine Verbesserung der Rechtsstellung von transsexuellen Menschen ein.
Ebenso hatten Verfassungsjuristen und Familienrechtler kürzlich die von der Bundesregierung geforderte "Zwangsbegutachtung" auf einer Tagung kritisiert. Sie widerspreche dem geschlechtlichen Selbstbestimmungsrecht, andere europäische Länder würden bei der Geschlechtsänderung auf ein derartiges Gutachten verzichten.
Ein offenes Geheimnis ist, dass auch den SPD-geführten Ministerien in der Bundesregierung, namentlich dem Justiz- und Familienministerium, die Ressortabstimmung mit dem federführenden Bundesinnenministerium bei dem Gesetzentwurf zum dritten Geschlecht nicht leicht fiel. Abstimmungsschwierigkeiten zwischen dem Hause Seehofer und Barley dürften wohl auch der Grund sein, warum die längst fällige Überarbeitung des Transsexuellengesetzes bisher noch nicht stattgefunden hat. Justizministerin Barley hatte es zuletzt als "unzeitgemäß" bezeichnet.
Drittes Geschlecht im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31471 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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