Das Kind stirbt und die Eltern haben keinen Anspruch auf Zugang zum Facebook-Account: Das Urteil des KG Berlin hat Emotionen ausgelöst – und rechtliche Debatten. Bastian Biermann meint, die Entscheidung sei falsch.
Das in § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelte Fernmeldegeheimnis steht einem Übergang von Daten des Verstorbenen, welche auf Servern Dritter gespeichert sind, an dessen Erben grundsätzlich entgegen. Dies ist die Kernaussage eines Urteils des Kammergerichts (KG) Berlin (Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16.). Damit endete vorerst der noch in erster Instanz erfolgreiche Kampf einer Mutter um den Zugang zu dem Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter.
Das Urteil stieß auf breite Kritik. Nicht nur wegen des Schicksals der Klägerin und des Verständnisses für deren Wunsch, die Hintergründe über den Tod ihrer Tochter zu erfahren. Sondern auch, weil das KG eine Vererbbarkeit von Daten, welche sich auf Servern Dritter befinden, in Teilen unmöglich macht. Dies ist nicht nur für die Erben äußerst misslich. Es ist auch rechtlich unzutreffend.
Altes Erbrecht und digitales Zeitalter
Mit der zunehmenden Digitalisierung stellen Daten (im weitesten Sinne) einen immer größeren Bestandteil des Nachlasses dar: Seien es auf einem Server gespeicherte E-Mails, in einer Cloud abgelegte Dokumente, elektronische Medien oder in Online-Netzwerken gespeicherte Daten. Ein Erbe hat ein nachvollziehbares Interesse daran, auch auf den digitalen Bestanteil des Nachlasses zugreifen zu können. Wie bei jeder aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung rief auch der Umgang mit den Daten im Nachlass in der juristischen Literatur Diskussionen hervor: Können die Regelungen des deutschen Erbrechts den digitalen Nachlass interessengerecht erfassen oder muss der Gesetzgeber reagieren?
Im Wesentlichen stellen sich hierzu drei Fragen: Erstens, ob Vertragsverhältnisse des Erblassers zu Providern sowie die Rechte an den zugehörigen online gespeicherten Daten nach § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) überhaupt vererblich sind. Zweitens, ob die Rechtsnachfolge von Todes wegen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) der Provider ausgeschlossen werden kann. Und drittens, ob das in § 88 Abs. 3 TKG geregelte Fernmeldegeheimnis einem Zugriff der Erben auf die Daten des Erblassers entgegensteht.
Die Meinungen gehen hier im Detail auseinander. Überwiegend einig ist man sich aber im Hinblick auf die ersten beiden Fragestellungen: Für Daten greifen die gleichen erbrechtlichen Grundsätze wie für sonstige Nachlassgegenstände, sodass eine Vererblichkeit – auch hinsichtlich intimer Daten – nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die sich häufende Praxis von Providern, einen Rechtsübergang von Daten nach dem Ableben des Erblassers auf dessen Rechtsnachfolger in ihren AGB auszuschließen, wird überwiegend als Verstoß gegen § 307 BGB bewertet.
Der Erbe als "Anderer"
Ein praktisch höchst relevantes wie umstrittenes Problem bleibt der vom KG angenommene Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis. Kern der Debatte ist die Auslegung des Begriffs des „Anderen“ im § 88 Abs. 3 TKG. Das KG macht es sich unter dem Strich sehr einfach: Es nimmt eine rein naturalistische Betrachtung vor und kommt somit –wenig überraschend – zu dem Ergebnis, dass Erbe und Erblasser nun einmal personenverschieden sind. Daher sei der Erbe als Rechtsnachfolger des Erblassers als "Anderer" im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG anzusehen.
Eine Personenidentität zwischen dem Erblasser und dem Erben besteht jedoch im rechtlichen Sinne: Der dem deutschen Erbrecht zugrunde liegende Grundsatz der Universalsukzession nach§ 1922 Abs. 1 BGB sieht vor, dass der Erbe unverändert in sämtliche Rechtsbeziehungen des Erblassers einrückt. Der Erbe ist in rechtlicher Hinsicht genauso wie der Erblasser zu behandeln, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist. Das sichert die Kontinuität des Rechtsverkehrs und die Schaffung klarer Zuordnungsverhältnisse über den Tod hinaus.
Warum dies im Hinblick auf den digitalen Nachlass nicht gelten soll, wird seitens des KG nicht nachvollziehbar begründet. Das Argument der Notwendigkeit eines Schutzes der Kommunikationspartner des Erblassers greift jedenfalls nicht: Der Kommunikationspartner muss damit rechnen, dass im Falle eines Todes ein Erbe auftritt. Es ist Sache des Erblassers selbst, zu entscheiden, ob einzelne Nachlassgegenstände seinen Erben zugänglich sein sollen oder nicht.
Keine Ausnahme für Daten
Der Gesetzgeber geht grundsätzlich von der Vererbbarkeit des gesamten Vermögens aus. Ausnahmen davon sind explizit normiert. Eine solche Ausnahme für Daten im Nachlass gibt es nicht. Hieran ändert auch das Fernmeldegeheimnis nichts. Einen Schutz der Kommunikationspartner des Erblassers gibt es im Übrigen auch nicht beim herkömmlichen Briefverkehr, was bisher auch nie zur Diskussion stand.
Die Regelung des § 88 Abs. 3 TKG hat nicht zum Ziel, das Erbrecht einzuschränken. Die Rechtsnachfolger des Erblassers sind keine "Anderen" im Sinne in dieser Vorschrift, vor denen der Erblasser oder dessen Kommunikationspartner geschützt werden müssten. Es sind die Rechtsnachfolger des Erblassers, welche er selbst bestimmen kann. Wenn der Gesetzgeber eine ausnahmsweise Unvererblichkeit von Daten für erforderlich erachtet, so muss er dies explizit regeln. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis zu Gunsten der Universalsukzession hat das KG verkannt.
Die Entscheidung des Kammergerichts ist nicht rechtskräftig. Die Revision ist beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig (Az.: III ZR 183/17). Es bleibt zu hoffen, dass der BGH dem Erbrecht und insbesondere dem fundamentalten Grundsatz der Universalsukzession den Vorrang gegenüber dem (vermeintlichen) Datenschutz einräumt. Bis dahin gilt indes: Will der Erblasser, dass seine Erben Zugriff auf seinen Datenbestand haben, muss er ihnen diesen verschaffen. Dies macht nicht nur die derzeit unklare Rechtslage, sondern auch die gängige Praxis einiger Provider notwendig. Diese verweigern den Erben den Zugriff auf den bei ihnen gespeicherten Datenbestand unter Berufung auf die eigenen AGB.
Unverzichtbar: Vorsorge treffen
Es ist demnach unvermeidbar, sich zu Lebzeiten zu überlegen, ob und wem die eigenen Daten – sowohl im Falle des Eintritts einer Geschäftsunfähigkeit als auch im Falle des Todes – zur Verfügung stehen sollen. Zu empfehlen ist eine Auflistung und regelmäßige Aktualisierung des gesamten digitalen Vermögens, zu welchem ein Vorsorgebevollmächtigter oder die Erben Zugang haben sollen, einschließlich der hierfür erforderlichen Zugangsdaten. Diese Auflistung sollte – so sie in digitaler Form erstellt wird – mit einem Masterpasswort verschlüsselt werden, welches dem Vorsorgebevollmächtigten oder den Erben zu gegebener Zeit überlassen wird.
Für den Erbfall hat der Erblasser auch die Möglichkeit, einzelnen Erben bestimmte Daten vermächtnisweise zuzuwenden oder Testamentsvollstreckung anzuordnen und den Testamentsvollstrecker damit zu beauftragen, Daten zu löschen und bestimmte Vertragsbeziehung zu Providern zu beenden. Abzuraten ist jedenfalls von der Inanspruchnahme kommerzieller Dienstleister, welche die Zugangsdaten des Erblassers zu dessen Lebzeiten verwalten und die Abwicklung des digitalen Nachlasses anbieten. Hiergegen bestehen nicht nur datenschutzrechtliche Bedenken, sondern auch das Risiko der Insolvenz eines solchen Unternehmens. Sämtliche Daten wären dann Teil der Insolvenzmasse.
Bestrebungen seitens des Gesetzgebers, den Umgang mit dem digitalen Nachlass zu regeln, sind bislang nicht erkennbar. Möglich wäre beispielsweise die Etablierung eines postmortalen Datenschutzes, um dem Erblasser die Möglichkeit zu geben, bestimmte – beispielsweise intime –Daten durch testamentarische Regelung von dem Grundsatz der Universalsukzession auszunehmen und eine Löschung durch den Provider anzuordnen.
Der Autor Bastian Biermann ist Rechtsanwalt bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Mannheim. Er berät Mandanten insbesondere in der Vermögensnachfolgeplanung und erbrechtlichen Auseinandersetzungen.
TKG als Grenze des digitalen Erbes: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26793 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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