Fortuna Düsseldorf steigt in die Bundesliga auf, Hertha BSC Berlin muss den Gang in Liga 2 antreten. Was auf dem Fußballplatz bereits vergangenen Dienstag entschieden wurde, hat am Montag auch das DFB-Sportgericht in Frankfurt bestätigt. Obwohl Hertha in Berufung gehen will, wohl eher eine endgültige Entscheidung – auch wenn sie einen Aspekt nicht berücksichtigt, kommentiert Johannes Arnhold.
Das DFB-Sportgericht hat entschieden. Der Vorsitzende Richter Hans E. Lorenz verkündete am Montag in Frankfurt, dass der Einspruch der Berliner Hertha gegen die Wertung des Relegationsspiels vom vergangenen Dienstag abgelehnt wird. "Der Einspruch hatte keinen Erfolg, weil kein Einspruchsgrund nachzuweisen war", sagte Lorenz. Den Berlinern stehen jetzt noch weitere Rechtsmittel offen: Unmittelbar im Anschluss an das Urteil erklärten sie, vor dem DFB-Bundesgericht in Berufung zu gehen, nachdem das Gericht die Frist zu deren Einlegung und Begründung nach Angaben von express.de auf je 24 Stunden verkürzt hatte.
Mit dem Urteil entschieden die DFB-Richter einen sportrechtlich höchst komplexen Fall absolut vertretbar. Sie stärken jedenfalls die Haltung des DFB und des Ligabetriebes insgesamt – auch im Hinblick auf zukünftige Relegationsspiele. Einen Aspekt allerdings lässt das Sportgericht unberücksichtigt.
Wolfgang Stark und das Skandalspiel von Düsseldorf
Richtigerweise legt das Urteil zugrunde, dass das mittlerweile als "Skandalspiel von Düsseldorf" bezeichnete Duell nicht durch einen Spielabbruch beendet worden ist. Dann hätte man nämlich über eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Rechtsfolgen bei Spielabbrüchen (vgl. § 14 Nr. 4 Spielordnung des DFB (SpielO-DFB), § 18 Nr. 4 Rechts- und Verfahrensordnung des DFB (RuVO)) nachdenken müssen, was zu völlig anderen Ergebnissen hätte führen können.
Ein solcher – der auch durch Einflüsse von außen wie Zuschauerausschreitungen, massive Bedrohungen oder tätliche Angriffe begründet werden kann - liegt gemäß den Erläuterungen zu den DFB-Fußballregeln 2011/12 grundsätzlich im Ermessen des Schiedsrichters. Er setzt jedoch voraus, dass alle zumutbaren Mittel erschöpft sind, das Spiel fortzusetzen. Hat der Schiedsrichter hierüber einmal entschieden, ist sein Urteil als so genannte Tatsachenentscheidung nicht mehr anfechtbar.
Die Aufgabe des Schiedsrichters Wolfgang Stark bestand innerhalb der 21-minütigen Unterbrechung also darin, abzuwägen, ob eine Fortsetzung des Spiels unter regulären Bedingungen möglich war.
Tatsachenentscheidung: Kein Spielabbruch
Nach eigener Aussage nahm Stark, der zu den erfahrensten seiner Gilde in Deutschland zählt, dazu von der Kabine aus telefonisch Kontakt zur Einsatzleitung der Polizei auf. Nach etwa zehn Minuten erhielt er die Information, dass die Situation draußen absolut unter Kontrolle sei. Daraufhin entschied der Unparteiische, das Spiel wieder anzupfeifen, um es nach weiteren 93 Sekunden zu beenden.
Stark betonte insbesondere, dass er von niemandem gezwungen worden sei, das Spiel fortzusetzen. Es lag damit eine qualifizierte Tatsachenentscheidung vor. Sie ging zwar über die Feststellungen hinaus, die den tatsächlichen Ablauf des Fußballspiels betreffen wie zum Beispiel ein Tor oder Abseits , wurde aber dennoch in letzter Konsequenz vom Schiedsrichter selbst getroffen.
Anders wäre das zum Beispiel zu bewerten gewesen, wenn die Sicherheitskräfte die verbindliche Anweisung erteilt hätten, dass Stark das Spiel nur hätte fortsetzen sollen, um eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern.
Kein Einspruch wegen Todesangst der Herthaner?
So aber stützten die Berliner ihren Einspruch von Anfang an im Wesentlichen auf § 13 Nr. 2 SpielO-DFB i.V.m. § 17 Nr. 2 RuVO. Die Vorschriften normieren jeweils Regelbeispiele für Sachgründe bei Einsprüchen gegen die Spielwertung. Hertha zählte vor allem auf § 13 Nr. 2b SpielO-DFB i.V.m. § 17 Nr. 2b RuVO, wonach ein Einspruchbegründet ist, wenn die eigene Mannschaft durch einen während des Spiels eingetretenen Umstand geschwächt ist, der unabwendbar war und nicht mit dem Spiel und einer dabei erlittenen Verletzung im Zusammenhang steht.
In diesem Zusammenhang hatte das Sportgericht vor allem zu klären, was als Schwächung im Rahmen dieser Normen verstanden werden kann. Zumindest nummerisch waren die zehn Herthaner (Ben-Hatira war bereits zuvor vom Platz gestellt worden), die nach dem Wiederanpfiff den Platz betraten, nicht geschwächt. Auch eine sichtbare körperliche Beeinträchtigung konnte nicht festgestellt werden und wurde im Übrigen auch von den Zeugen im Verfahren nicht erwähnt. Richter Lorenz fasste bei der Urteilsverkündung laut express.de zusammen: "Es ist kein Berliner Spieler von den Düsseldorfer Fans angegriffen, verletzt oder ausgewechselt worden."
So musste das Sportgericht vor allem die von Hertha-Anwalt Christoph Schickardt zumindest im Vorfeld der Verhandlung kolportierte "Todesangst" der Spieler bewerten. Richtigerweise kamen die Richter dabei zu dem Ergebnis, dass diese nicht nachweislich zu einer Schwächung der Berliner Mannschaft geführt hat. "Der Nachweis der Schwächung von Berlinern Spieler ist nicht geführt. Man kommt aus dem Rhythmus raus, das gilt aber für beide Mannschaften. " Damit nahm das Sportgericht auch eindeutig Bezug auf die fehlenden Nachweise über das Vorliegen der behaupteten Angstzustände der Hertha-Spieler, die jedoch ohne medizinische Beurteilung im konkreten Moment wohl kaum zu erbringen gewesen wären.
Zudem würdigten die DFB-Richter auch die Unterbrechung des Spielflusses. Möglicherweise hätten die Berliner Spieler ohne diese in der verbleibenden Spielzeit ihren Fokus darauf hätten legen können, den für sie entscheidenden dritten Treffers zu erzielen. Insofern hätte man schon von einem Verlust der Chancengleichheit im Hinblick auf die letzten 93 Sekunden sprechen können. Die Argumentation des Sportgerichts hierzu überzeugt aber: "Die Nachteile der Unterbrechungen treffen beide gleichermaßen", so Lorenz nach Angaben des Kölner Express. "Zwei Unterbrechungen sind von Hertha BSC zu verantworten, eine von Fortuna Düsseldorf. "
Vertretbar, aber nicht zwingend: Von Beispielen und irregulären Spielverhältnissen
Unberücksichtigt ließ der Urteilsspruch allerdings, dass es sich bei den Regelbeispielen der DFB-Spielordnung und der DFB-Rechts- und Verfahrensordnung nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. Schon der Wortlaut von § 13 Nr. 2 SpielO-DFB i.V.m. § 17 Nr. 2 RuVO geht davon aus, dass "unter anderem" die danach aufgezählten Beispiele einen Einspruch begründen können.
In diesem Zusammenhang hätten vor allem die äußere Umstände der letzten eineinhalb Minuten stärker berücksichtigt werden müssen. Diese machten deutlich, dass zumindest vorübergehend irreguläre Spielverhältnisse geherrscht haben. Fehlende Eckfahnen, nicht eingehaltene Abstände im Innenraum oder auch teilweise herausgerissene Elfmeterpunkte entsprechen sicherlich nicht Spielordnung und Regelwerk des DFB.
Trotz der Komplexität des Falls ist es unwahrscheinlich, dass die Berliner in einer Berufungsinstanz Erfolg haben werden. Dafür mangelt es ihnen schlicht an weiteren Beweistatsachen.
Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Öffentliches Recht an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Erfurt. Er lehrt und forscht u.a. im Sport- und Medienrecht und ist Mitherausgeber der im Juli erscheinenden Vorschriftensammlung zum Sportrecht.
Johannes Arnhold, Auch vor dem Kadi vorläufig gesiegt: . In: Legal Tribune Online, 21.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6240 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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