Die von der FDP gesteuerte Ampel will den Bundesländern Lockdown-Maßnahmen verbieten. Der Bundesrat könnte das aber verhindern - wenn er will, analysiert Christian Rath.
Es wirkt befremdlich: Ausgerechnet jetzt, da die Pandemie-Kennzahlen in nie gekannte Höhen steigen, will die Bundespolitik den Ländern die Instrumente wegnehmen, mit denen die bisher letzte Welle der Pandemie gebrochen wurde. Es soll keine Shutdowns für Gastronomie, Kultur und Sport mehr geben, keine Schulschließungen, keine Ausgangsbeschränkungen und erst recht keine Ausgangssperren.
Bisher konnten die Bundesländer für ihre Corona-Verordnungen aus einem Katalog von 18 Maßnahmen auswählen, die seit November 2020 in § 28a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) stehen - von der Maskenpflicht über die Schließung der Gastronomie bis zur nächtlichen Ausgangssperre. Voraussetzung für die Nutzbarkeit der Instrumente ist laut Gesetz, dass der Bundestag gem. § 5 IfSG eine "epidemische Lage nationaler Tragweite" festgestellt hat.
Diese Feststellung musste alle drei Monate verlängert werden und läuft am 25. November aus. Wohl auf Druck der FDP will die Ampel die "epidemische Lage" nicht mehr neu feststellen. Auch sollen die Länder die bisher in § 28a Abs. 7 IfSG geregelte Möglichkeit verlieren, eine "epidemische Lage" auf Landesebene zu festzustellen. Die Bundesländer könnten künftig also keinen Shutdown mehr anordnen.
Vorgeschobene Argumente
Was politisch angesichts der vielerorts dramatischen Situation nur schwer zu erklären ist, wird von der kommenden Koalition vor allem juristisch begründet. Die Länder bräuchten Rechtssicherheit. Ein Fortbestand der epidemischen Lage nationaler Tragweite könnte vor Gericht scheitern, ebenso konkrete Maßnahmen wie Ausgangssperren, so die Befürchtungen.
Überzeugend ist das aber nicht. Wenn jetzt schon 300 von bundesweit 1.600 Intensivstationen ihren Betrieb einschränken müssen und die Inzidenzwerte weiter steigen, dann wäre es wohl kaum verfassungswidrig, wenn der Bundestag die "epidemische Lage nationaler Tragweite" erneut feststellt.
Außerdem löst diese Feststellung keinen Automatismus aus. Es wären immer noch die Bundesländer, die entscheiden, welche Maßnahmen sie vor Ort für notwendig halten. Ob ein Lockdown unverhältnismäßig ist oder nicht, bestimmt sich stets nach der konkreten Situation im jeweiligen Bundesland.
Auch die Tatsache, dass nun rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, garantiert offensichtlich nicht, dass das Gesundheitsystem stabil bleibt. Schließlich gibt es auch weniger Intensivbetten als voriges Jahr, weil viele Pfleger:innen ausgebrannt gekündigt haben. Außerdem nimmt die Zahl der ausreichend Geimpften in den kommmenden Wochen dramatisch ab: Millionen von Senior:innen wurden vor sechs Monaten geimpft und brauchen nun dringend den dritten Pieks als Booster-Impfung. Wie es aussieht, sind weder Behörden noch Ärzt:innen darauf ausreichend vorbereitet.
Ein kleinerer Instrumentenkasten
Doch die politische Diskussion scheint zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. SPD und Grüne tanzen längst nach der Pfeife der umworbenen FDP. Bereits Ende Oktober legten die drei Ampel-Fraktionen Eckpunkte zur Reform des IfSG vor. Jetzt haben sie Nägel mit Köpfen gemacht und am Montagabend einen ausformulierten Gesetzentwurf präsentiert.
Danach will die Ampel in § 28a Abs. 7 IfSG n. F. den Ländern einen neuen Instrumentenkasten mit weniger harten Maßnahmen zur Verfügung stellen, der bis Ende März 2022 gelten soll. Enthalten sind die Standardmaßnahmen Maskenpflicht, Abstandsgebot und Hygienekonzepte. Außerdem sollen die Länder Geschäfte, Restaurants und sonstige Einrichtungen zu 3G- oder zu 2G-Zugangskontrollen verpflichten können. Letzteres ist bemerkenswert: Wo erforderlich, könnten Ungeimpfte künftig flächendeckend aus Gaststätten, Kultur- und Sporteinrichtungen ausgesperrt werden - obwohl die FDP das eigentlich auch ablehnt.
Am Donnerstag wird der Gesetzentwurf im Bundestag zum ersten Mal diskutiert werden. Da es noch keine Fachausschüsse gibt, wird der Entwurf dann im neuen Hauptausschuss beraten, der ebenfalls am Donnerstag gebildet wird. Der Hauptausschuss führt am Montag, den 15. November, eine Sachverständigenanhörung durch. Am Donnerstag kommender Woche soll der Bundestag das Gesetz dann endgültig beschließen und am Tag darauf (19. November) würde der Bundesrat abstimmen.
Angekündigte Nachbesserungen
Dieser 44-seitige Gesetzentwurf, der LTO vorliegt, wird vorher aber auf jeden Fall noch nachgebessert. Am Dienstag früh haben sich die Gesundheitspolitikerinnen Sabine Dittmar (SPD), Maria Klein-Schmeink (Grüne) und Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) auf weitere Maßnahmen geeinigt, die noch in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollen.
Die wichtigste Ergänzung ist eine 3G-Pflicht für alle Beschäftigten. Das heißt, wer im Betrieb mit anderen zusammenarbeitet oder Kundenkontakt hat, muss eine Impfung, eine Genesung oder zwei Mal pro Woche einen negativen Test nachweisen. Die 3G-Pflicht soll bundesweit vorgeschrieben werden. Weder die Länder noch die Arbeitgeber haben dann ein Wahlrecht. Viele Details sind aber noch offen. Soll der Arbeitgeber den Impfstatus der Beschäftigten erfahren? Was droht, wenn 3G verweigert wird? Die Abgeordneten haben zunächst die Bundesregierung mit einem Entwurf beauftragt.
Für Menschen, die in der Pflege oder im Krankenhaus arbeiten, werden noch strengere Anforderungen gelten. Ungeimpfte müssen sich bald täglich testen lassen, Geimpfte und Genesene voraussichtlich zwei bis drei Mal pro Woche. So sollen besonders vulnerable Personen in den Heimen und Kliniken geschützt werden. Eine Impfpflicht für Pflegepersonal ist aber nicht vorgesehen - vor allem aus Sorge, dass dann zuviele Pflegekräfte kündigen würden.
Außerdem sollen künftig wieder kostenlose "Bürgertests" angeboten werden. Die Tests waren zwar schon bis zum 11. Oktober kostenfrei. Dann wollte die Politik jedoch den Druck auf die Ungeimpften erhöhen, was jedoch nicht gelang. Nun gilt das Manöver als Fehlschlag und soll rückgängig gemacht werden. Durch regelmäßiges Testen will die Ampel einen besseren Überblick über die Pandemie bekommen und mehr Infizierte entdecken.
Stellschrauben zugunsten der Länder
Wird den Ländern am Ende dieses Paket genügen? Oder wollen sie doch mehr Dispositionsfreiheit bei der Pandemiebekämpfung haben? Bei der Gesundheitsministerkonferenz am vergangenen Freitag in Lindau kritisierten die Landesminister:innen den Ansatz der Ampel. Sie bräuchten einen rechtlichen Rahmen, "der möglichst viele Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung der pandemischen Lage eröffnet und nicht unnötig einschränkt", hieß es da.
Die Länder haben ein starkes Druckmittel. Die IfSG-Novelle gilt als Zustimmungsgesetz, die Länderkammer hat also ein Vetorecht. So kann der Bundesrat zwar nicht das Auslaufen der bundesweiten "epidemischen Lage" blockieren, aber die Umgestaltung des § 28a Abs. 7 IfSG. Solange die Länder eine eigene epidemische Lage ausrufen können, haben sie den vollen Zugriff auf das Shutdown-Instrumentarium von § 28a Abs. 1 IfSG.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Wenn sich die Lage rapide zuspitzt, haben sie bis zum 24. November noch das alte Instrumentarium zur Hand. In Corona-Hotspots könnten sie also Kneipen schließen und Kontaktbeschränkungen anordnen. Sollte das erfolgreich sein, könnte das vielleicht sogar den Druck der Öffentlichkeit auf die kommende Koalition erhöhen. Es gibt angesichts der dramatischen Situation schließlich keinen zwingenden Grund, die "epidemische Lage" schnell als Status zu beenden.
Doch es könnte in den kommenden Tagen auch noch Änderungen im Gesetzentwurf geben, bei denen die Ampel weniger offensichtlich zurückrudert, aber doch den alten Spielraum der Länder wiederherstellt. Naheliegend wäre es zum Beispiel, in § 28a Abs. 7 IfSG die Möglichkeit der Länder beizubehalten, "die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung" von Covid-19 in einem Bundesland festzustellen. Damit wäre dann wieder der Zugriff auf die Instrumente des § 28a Abs 1 IfSG gesichert.
Oder der neue schmale Instrumentenkasten, den die Ampel den Ländern in § 28a Abs. 7 IfsG n. F. zugesteht, könnte flexibilisiert werden, indem vor der Aufzählung das Wort "insbesondere" eingefügt wird. So wäre die Aufzählung der Instrumente nicht abschließend, sondern würde nur wie eine Liste von Regelbeispielen wirken. Innen- und Gesundheitsministerium haben dies bereits nachdrücklich empfohlen.
Überlegenswert ist auch ein Rückgriff auf den alten § 28 Abs. 1 IfSG, der die Corona-Verordnungen der Länder von März bis November 2020 tragen musste. Danach können die Behörden die "notwendigen Schutzmaßnahmen" treffen. Präventive Versammlungsverbote und Schulschließungen sind sogar ausdrücklich erwähnt. Zwar hat die Ampel, um derartiges zu verhindern, im neuen § 28a Abs. 7 IfSG den Rückgriff auf § 28 Abs. 1 auf "individuelle" Schutzmaßnahmen und Schließungen "im Einzelfall" beschränkt. Doch auch das könnte ja bei Bedarf wieder gestrichen werden.
Schon die politische Klugheit sollte dafür sprechen, an einem der aufgezeigten Punkte den Ländern mehr Spielraum zu geben als derzeit geplant. Andernfalls könnte es sein, dass die Ampel-Mehrheit im Bundestag in einigen Wochen die "epidemische Lage nationaler Tragweite" neu beschließen muss, damit die Länder das Erforderliche tun können. Das aber wäre für die heute so vollmundigen Liberalen wirklich peinlich.
Corona-Gesetzentwurf: . In: Legal Tribune Online, 09.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46602 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag