Das grundsätzliche Recht auf Homeoffice ist da – im Wege einer Rechtsverordnung. An dem gewählten Weg und der Durchsetzbarkeit in der Praxis bleiben Zweifel. Die aktuelle Regelung erläutert Michael Fuhlrott.
Die aktuelle Abstimmungsrunde der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder zog sich fast elf Stunden hin und dauerte am Dienstag bis spät in den Abend. Zahlreiche der dort mühsam ausgehandelten weiteren Maßnahmen wie die Einführung einer verschärften Maskenpflicht oder Regelungen zu Schulen und Kindertagesstätten bedürfen zunächst einer Umsetzung in Landesrecht durch die jeweiligen Länderparlamente und Landesregierungen.
Auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes und des Arbeitsrechts hingegen kann der Bund weitgehend eigenständig handeln. Ihm steht nämlich für diese Bereiche eine eigene Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz (GG) zu, da es sich hierbei um Gegenstände der sog. konkurrierenden Gesetzgebung handelt und der Bund von seinem entsprechenden Recht der Ausübung durch verschiedene Bundesgesetze wie etwa dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) auch davon Gebrauch gemacht hat.
Speziell für epidemische Lagen von nationaler Tragweite wurde das ArbSchG zudem erst jüngst zum Jahresbeginn durch das "Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz" vom 22. Dezember 2020 geändert und um eine Verordnungsermächtigung ergänzt. Neben der weitreichenden Verschärfung des Arbeitsschutzes in der Fleischwirtschaft, wie etwa dem Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal, hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 3 ArbSchG dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) dadurch die Befugnis gegeben, "ohne Zustimmung des Bundesrates spezielle Rechtsverordnungen (…) für einen befristeten Zeitraum zu erlassen" und damit "vorzuschreiben, welche Maßnahmen der Arbeitgeber und die sonstigen verantwortlichen Personen zu treffen haben und wie sich die Beschäftigten zu verhalten haben, um ihre jeweiligen Pflichten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, zu erfüllen."
Zunächst noch erfolglos: Homeoffice-Antrag der Opposition
Unter Berufung auf diese Vorschrift brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch in der Vorwoche einen Antrag in den Bundestag ein (BT-Drs. 19/25798 v. 12.01.2021), mit dem diese unter Berufung auf die bislang erfolglosen Appelle an Arbeitgeber zur Ausweitung des Homeoffice die Schaffung einer entsprechenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtung durch eine befristete "Corona-Arbeitsschutzverordnung" verlangten. Ein großer Teil der Unternehmen handele schon verantwortungsvoll und habe die Präsenz der Bürobeschäftigten stark reduziert, heißt es im Antrag.
Allerdings gebe es immer noch zu viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die auf die Anwesenheitspflicht im Büro bestünden, obwohl die jeweilige Tätigkeit auch von zuhause geleistet werden könne. Unternehmen sollten danach bußgeldbewehrt dazu verpflichtet werden, ihre Beschäftigten die Tätigkeit aus dem Homeoffice zu ermöglichen, soweit es die betrieblichen Anforderungen in Hinblick auf die Tätigkeit zuließen – so die Forderung.
Gemeinsames Speisen nicht ausdrücklich verboten
Die aktuelle Abstimmungsrunde machte den Weg dafür frei: Durch eine im Arbeitsschutzrecht fußende Rechtsverordnung mit dem Namen "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung" (Corona-ArbSchV- E) wird ein Gebot der Ableistung der Tätigkeit im Homeoffice eingeführt. Der bereits vor der Sitzung am Abend des 18. Januar 2021 durch das BMAS vorgelegte Referentenentwurf liegt nunmehr in einer finalisierten Fassung des Arbeitsministeriums vor. Entgegen dem vormaligen Entwurf sieht dieser keine Staffelung mehr nach Inzidenzwerten am Betriebssitz vor, die zu verschiedenen intensiven Maßnahmen führen sollten. Entfallen ist auch die Pflicht zu wöchentlichen Corona-Tests, die der Entwurf noch vorsah.
Die finale Fassung umfasst daher nur noch vier Paragraphen, die sich in "Ziel und Anwendungsbereich" (§ 1), "Maßnahmen zur Kontaktreduktion im Betrieb" (§ 2), "Mund-Nasen-Schutz" (§ 3) und "Inkrafttreten, Außerkrafttreten" (§ 4) unterteilen. Eine Beschlussfassung ist bereits für den 20. Januar 2021 vorgesehen, das Inkrafttreten soll fünf Tage nach der Verkündung erfolgen und die Regelungen bis zum 15. März 2021 in Kraft bleiben.
Ansonsten: Viele der in der Corona-ArbSchV geregelten Vorgaben sind bereits aus dem sog. Sars-CoV2-Arbeitsschutzstandard bekannt: So sollen Kontakte im Betrieb reduziert werden (§ 2 Corona-ArbSchV), bei Verlassen des Arbeitsplatzes oder Nicht-Wahrung des Mindestabstands ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen, der vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist (§ 3 Corona-ArbSchV).
Ein ausdrückliches Verbot des gemeinsamen Verzehrens von Speisen in Kantinen oder Speiseräumen, das der erste Entwurf noch vorsah (§ 3 Corona-ArbSchV- E), findet sich in der finalen Fassung nicht mehr Entfallen sind auch die Regelungen zu Corona-Schnelltests, die nach dem vormaligen Entwurf durch Arbeitgeber in Betrieben von mehr als 50 vor Ort Beschäftigten wöchentlich angeboten werden sollten.
Zwingende Gründe sind zu erklären
Das eigentliche Herzstück der Verordnung ist aber weiterhin in § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchV geregelt. Hier stimmen erster Entwurf und zu verabschiedende Fassung überein. Diese Regelung sieht vor, "den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung (Homeoffice) auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen". Was "zwingende betriebsnotwendige Gründe" sein sollen, lässt der Entwurf hingegen offen.
Wird hiergegen verstoßen, sollen die Ämter für Arbeitsschutz die Tätigkeit im Betrieb gem. § 22 ArbSchG untersagen; Arbeitgeber haben sich zudem zu dem Vorliegen einer Homeoffice-Tätigkeit entgegenstehender zwingender betrieblicher Gründe auf Aufforderung bei einer Prüfung durch die Behörden zu erklären. In der Begründung findet sich zudem ein weiterer interessanter Hinweis: Ein subjektives Klagerecht von Beschäftigten solle, wie im Arbeitsschutzrecht üblich, nicht mit der Einführung der Homeoffice-Regelung verbunden sein. Der betroffene Arbeitnehmer solle sich an die Aufsichtsbehörden oder Unfallversicherungsträger wenden, führt die Begründung der Verordnung weiter aus.
Eine erste Bewertung: Heiligt der Zweck alle Mittel?
Dass es sinnvoll ist, die Präsenz im Betrieb zur Minimierung von Ansteckungen weitestgehend zu reduzieren, überzeugt. Juristisch formuliert: Die Rechtsverordnung verfolgt also ein rechtlich zulässiges Ziel und ist sicherlich auch geeignet, dies zu erreichen. Die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung wird man mit Blick auf die zeitliche Befristung, den Schutz des Lebens und der Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmer als hohes mit dem Arbeitgeberinteresse abzuwägendes Rechtsgut ebenfalls schwer zu Gunsten der Neu-Regelung in die Waagschale legen können.
Notwendige entsprechende Ausnahmetatbestände von dem Homeoffice-Gebot sind ebenfalls vorhanden und streiten für die Verhältnismäßigkeit der Regelung. Aber: Einem Arbeitgeber vorzuschreiben, wie dieser seine Betriebsabläufe zu gestalten hat, ist zugegebenermaßen ein weitgehender Eingriff in die betriebliche Organisationshoheit und die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter der Arbeitgeber.
Verordnung oder formelles Gesetz notwendig?
Ob ein solcher Eingriff im Wege einer Verordnung möglich ist, erscheint fraglich. Einiges streitet dafür, dass aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes und des wesentlichen Eingriffs hier ein Gesetz im formellen Sinne, sprich also nach Durchlaufen von Bundestag und Bundesrat notwendig wäre. Auch ein Blick in § 18 Abs. 2 ArbSchG, der denkbare Regelungsinhalte von Rechtsverordnungen nennt, sollte dabei nicht unterbleiben. Die Anordnung von Homeoffice findet sich dort nicht.
Zwar ist die Aufzählung der Regelungsinhalte nicht enumerativ, wie das Wort "insbesondere" zeigt, allerdings finden sich dort ansonsten eher weitaus weniger eingriffsintensive Regelungsgegenstände, wie etwa die Anordnung arbeitsmedizinischer Untersuchungen (§ 18 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG) oder die Bildung von Ausschüssen (§ 18 Abs. 2 Nr. 5 ArbSchG). Zwar können auch Maßnahmen zur Begrenzung der Zahl der Beschäftigten (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) getroffen werden – jedoch allesamt Regelungen, die sich "auf den Betrieb" beziehen.
Keine Veränderung für die Praxis
Ein Homeoffice-Gebot hat eine andere Dimension: Neben Fragen des vom Arbeitgeber zu erstattenden Aufwendungsersatzes für Kosten der Arbeitnehmer im Homeoffice über datenschutzrechtliche Fragen bis hin zu arbeitsschutzrechtlichen Aspekten einer Tätigkeit im Homeoffice und mitbestimmungsrechtlichen Aspekten. Und: Wenn bereits ein Gesetz auf Einführung eines Anspruchs von Homeoffice für nur 24 Tagen im Jahr nicht durchsetzbar ist, darf dann ein weitergehender Anspruch im Wege einer Rechtsverordnung umgesetzt werden?
Für Beschäftigte bedeutet die Neuregelung vermutlich ohnehin keine Veränderung: Wer trotz aller Apelle der Politik immer noch in den Betrieb muss, wird auch unter der neuen Verordnung mit den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen über die Möglichkeit der Arbeit im Homeoffice diskutieren müssen. Dass die Behörden Kapazitäten haben, Betriebe nunmehr engmaschig auf die Einhaltung der Regelungen zu kontrollieren, ist nicht anzunehmen. Bußgeldbewehrt sind die Regelungen ebenfalls nicht. Das Damokles-Schwert einer Betriebsuntersagung bei Verstößen gegen die Regelungen durch die Behörde besteht zwar theoretisch, dürfte aber nur in ganz extremen Fällen nach vorherigen Abhilfeverlangen zum Tragen kommen. Im Ergebnis durchsetzen ließe sich der Homeoffice-Anspruch daher nur über eine Meldung an die Arbeitsschutzbehörden oder eine Klage – und wer geht diese Wege in einem bestehenden Arbeitsverhältnis?
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
Rechtsverordnung aus dem BMAS: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44040 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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