Rund 2.300 deutsche Skiurlauber könnten sich anschließen, wenn es zu Ermittlungen gegen Behörden und Unternehmen in Tirol kommt. Denen wird vorgeworfen, dass sie aus wirtschaftlichem Interesse zu spät auf die Epidemie reagiert haben.
Mittlerweile haben sich rund 2.700 Tirol-Skiurlauber registriert, sagt Jurist Dr. Peter Kolba vom Verbraucherschutzverein (VSV) in Österreich. Davon seien rund 2.300 deutsche Urlauber, so Kolba gegenüber LTO. Sie alle eint, dass sie sich eine Sammelklage des VSV gegen die Tiroler Behörden und gegen private Skiliftbetreiber, Après-Ski-Bars und Hotels vorstellen können. Der Vorwurf: Die Behörden in Tirol hätten zu spät und nicht gut organisiert auf den Beginn der Coronavirus-Epidemie reagiert.
Der VSV hat am 24. März eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingereicht. Sie enthält eine chronologische Darstellung der Abläufe aus Sicht des Verbraucherschutzvereins. Der Vorwurf lautet auf fahrlässige und vorsätzliche Gemeingefährdung, vorsätzliche oder fahrlässige Verbreitung meldepflichtiger Krankheiten sowie Amtsmissbrauch.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck teilte LTO am Dienstagmittag mit, dass derzeit noch kein konkretes Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe die Polizei beauftragt, einen Bericht über die Vorkommnisse in Ischgl und Sölden anzufertigen. Insbesondere soll aufgeklärt werden, wer wann was wusste und mit wem kommuniziert habe, so der Sprecher. Die Nachforschungen stellten sich aber aufgrund der derzeitigen Beschränkungen in der Coronakrise als schwierig dar. Aus den bisherigen Angaben könne die Staatsanwaltschaft noch nicht den Verdacht konkreter Straftaten erkennen.
Private Beteiligung an möglichem Ermittlungsverfahren
Kolba vom VSV plant als nächsten Schritt, sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, die betroffenen Urlauber aus seinem Sammelaufruf an das Ermittlungsverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen. "Dadurch wird die Verjährung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche gehemmt, Akteneinsichtsrecht erlangt und hoffentlich auch der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt." Kolba setzt auf Zeugenaussagen der Betroffenen.
Er weist außerdem darauf hin, dass in Österreich ein "echtes Unternehmensstrafrecht" gelte. Die Vorwürfe könnten also auch direkt den Unternehmen und nicht nur Einzelpersonen vorgehalten werden. Kolba hat den Verdacht, dass aus wirtschaftlichen Interessen der Skiurlaubsbetrieb in Tirol nur zögerlich eingestellt wurde.
Die Recherchen deutscher Medien wie t-online.de und Der Spiegel sehen gerade Ischgl als Drehscheibe des Coronavirus in Europa. Hinter den Kulissen sei ein Machtkampf zwischen Lokalpolitikern und Ski-Unternehmern ausgebrochen, wie lange die Skisaison noch weiterlaufen sollte. Noch könne er nicht beweisen, wie eng da zusammengearbeitet wurde, sagt Kolba. Wer ihm zuhört, bekommt das Gefühl, dass er mit einer Sammelklage auch einen eigenen Kampf führen würde.
Schadensersatz-Sammelklage mit einem Prozessfinanzierer
Der VSV ruft Betroffene auf, sich über ein Internetformular der Klage anzuschließen. Sie sollen dabei angeben, welche Urlaubsorte sie besucht haben – Ischgl, Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden oder Zillertal? Wer sich registriert, soll auch angeben, welche Après-Ski-Lokale er besucht hat. In einem Kommentarfeld soll man seine Symptome beschreiben und seinen Schaden beziffern.
Nach einer Zwischenauswertung des VSV von Mittwoch sollen sich etwa 86 Prozent der deutschsprachigen Betroffenen in Ischgl aufgehalten haben. Nach Angaben von Kolba befinden sich zwei Drittel der insgesamt ca. 2.400 deutschsprachigen Betroffenen, die sich registriert haben, in häuslicher Quarantäne. "Da kann es schnell um Schadensersatz für den Verdienstausfall gehen", so Kolba. 47 Menschen würden im Krankenhaus behandelt, und nochmal 25 auf einer Intensivstation.
Den Anschluss an ein mögliches Ermittlungsverfahren übernimmt der VSV für alle, die vorher Mitglied im Verein geworden sind, 30 Euro kostet das im Jahr. Etwaige zivilrechtliche Sammelklagen auf Schadensersatz plant Kolba über einen noch zu findenden Prozessfinanzierer zu stemmen. Der soll das Prozessrisiko für die Verbraucher abfedern. Erfahrung hat der VSV bereits mit der Vorbereitung einer Sammelklage gegen VW. Der VSV ist in Österreich ein kleiner Konkurrent zum großen Verein für Konsumenteninformation (VKI), eine Art österreichische Version der deutschen Stiftung Warentest plus Verbraucherzentrale Bundesverband. Bei VKI war Kolba jahrzehntelang Leiter der Abteilung Recht, dann wollte er nach eigenen Angaben einen unabhängigeren Verbraucherschutzverein gründen. Der Corona-Virus-Fall-Tirol wird die nächste große Herausforderung für sein achtköpfiges Team.
Eins dürfte klar sein. Bis zu einer echten Sammelklage auf Schadensersatz ist es noch ein weiter Weg. "Jetzt müssen erstmal die Ermittlungen sinnvoll in Gang kommen", sagt Kolba.
Après-Ski und offene Pisten trotz Corona: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41178 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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