Bis zur geplanten Cannabis-Legalisierung in Deutschland werden Konsumenten durch die Strafandrohung im BtMG weiter kriminalisiert. Aktivist und Richter Andreas Müller fordert deshalb von der Ampel kurzfristig eine Gesetzesänderung.
LTO: US-Präsident Joe Biden möchte sein Wahlversprechen einlösen und den Besitz von Marihuana in den USA vollständig entkriminalisieren. Auch von der Cannabis-Community in Deutschland wurde Bidens Rede gefeiert. Zu Recht?
RiAG Andreas Müller: Ja, auch ich habe mich gefreut. Der US-Präsident hat schließlich die Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten, wie sie in den USA über Jahrzehnte praktiziert wurde, als das bezeichnet, was sie ist: Unrecht. Die Prohibition, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten seit Richard Nixon in den USA praktizierte wurde, ist aus Sicht Bidens falsch gewesen und die Betroffenen müssen begnadigt werden.
Deutschland sollte sich an den Worten des US-Präsidenten ein Beispiel nehmen und ebenfalls unverzüglich ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten beendet und laufende Verfahren eingestellt werden können.
"Nicht auf das Legalisierungsgesetz warten"
Die Ampel bekräftigt doch fortwährend ihre Absicht, eine legale, kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene zu schaffen. In Kürze soll es ein Eckpunktepapier geben, erste Details sind just heute bekanntgeworden. 2023 könnte ein Gesetz verabschiedet werden. Und dann endet auch die Kriminalisierung. Warum sind Sie so ungeduldig?
Bis das Cannabis-Kontrollgesetz der Ampel in Kraft tritt, kann es noch dauern. Darauf zu warten, wird dem Problem nicht gerecht: Millionen von Cannabis-Konsumenten werden tagtäglich durch die Strafandrohung im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) kriminalisiert und in ihren persönlichen Freiheitsrechten eingeschränkt.
Bis zu 500 Ermittlungsverfahren laufen jeden Tag, es kommt zu Verurteilungen mit teilweise hohen Strafen. Und das alles wegen Delikten, die die Mehrheit im Deutschen Bundestag eigentlich für falsch hält. Das ist absolut nicht nachvollziehbar. Diesen Zustand muss man nun schnell beenden. Dass die Ampel in der Lage ist, zügig unsinnige Strafvorschriften abzuschaffen, hat sie bei der Streichung von § 219a Strafgesetzbuch dem Werbeverbot für Abtreibungen, bereits unter Beweis gestellt.
"Besitz von bis zu 30 Gramm erlauben"
Medienberichten zufolge soll der Kauf und Besitz von 20 Gramm und der Eigenanbau von bis zu zwei Cannabis-Pflanzen künftig straffrei sein. Außerdem soll die Menge des berauschenden Wirkstoffs THC – auch für Heranwachsende - begrenzt werden. Was sollte aus Ihrer Sicht in einem, der eigentlichen Legalisierung vorgeschaltetem Gesetz stehen?
Ich appelliere, dem Vorschlag von LEAP (Law Enforcement Against Prohibition) Deutschland zu folgen. Danach sollte in einem neuen § 29b BtMG geregelt werden, dass Volljährigen der Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis erlaubt ist. Außerdem sollte der Anbau und der Besitz von bis zu drei weiblichen, blühenden Cannabispflanzen für den persönlichen oder gemeinschaftlichen Eigenbedarf straffrei sein.
Das Gesetz müsste einen strikten Jugendschutz vorsehen: Anbau und Aufbewahrung von Cannabis-Produkten dürfen nur so erfolgen, dass Kinder und Jugendliche nicht zum Konsum verleitet werden. Die erforderlichen Einzelheiten könnte das Bundesgesundheitsministerium in einer flankierenden Rechtsverordnung regeln. Der Zustimmung des Bundesrates braucht es für ein solches Gesetz nicht. Und die Ampel könnte auf Vorarbeiten der Opposition zurückgreifen: Die Linke hat im Sommer ein Entkriminalisierungsgesetz in den Bundestag eingebracht.
Die von ihnen angeregte BtMG-Änderung würde aber auch erst für die Zukunft gelten. Was ist mit den laufenden Verfahren?
Es geht erst einmal darum, keine weiteren Verurteilungen zu schaffen. § 206b Strafprozessordnung sieht darüber hinaus Einstellung laufender Verfahren vor, wenn sich die Rechtslage ändert. Ich rate daher den Verteidigern, die Verfahren in Cannabis-Strafsachen möglichst in die Länge zu ziehen, z.B. indem Rechtsmittel eingelegt werden - bis die Ampel handelt.
Und es kann natürlich auch sein, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzgeber zuvorkommt: Dort schlummern inzwischen etliche Richtervorlagen - nicht nur meine -, über die das Gericht noch dieses Jahr entscheiden will. Ich bin guter Dinge, dass Karlsruhe die Verfassungsmäßigkeit der strafrechtlichen Verfolgung von Cannabis-Konsumenten - anders als 2004 noch - prüfen wird und inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommt als 1994.
Realitätsferner BGH-Beschluss
Für Empörung hat vergangene Woche ein Beschluss des BGH gesorgt. Das Gericht hat Verurteilungen wegen Handels mit THC-armen Cannabidol, also CBD-Blüten, abgenickt, weil sie jedenfalls theoretisch bei besonderer Zubereitung auch eine berauschende Wirkung haben könnten. Sie haben getwittert, dass Ihnen der BGH eine schlaflose Nacht beschert hat. Warum?
Was der BGH entschieden hat, geht an der Realität völlig vorbei. Drei Jahre und neun Monate Haft wegen Handels mit einem Produkt, von dem sich kein Cannabis-Konsument ernsthaft eine berauschende Wirkung erhofft und auch niemals den Aufwand betreibt, diese zu erzielen. Absurd.
Das Gericht bezieht sich auf Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, wonach der Handel mit Cannabis-Produkten, deren Gehalt 0,2 Prozent THC nicht übersteigt, auch dann verboten ist, wenn ein Missbrauch zu Rauschzwecken "nicht ausgeschlossen" werden kann. Kein Mensch aber extrahiert THC aus Unmengen von CBD-Blüten, um ein bisschen Rausch zu erfahren!
Wenn ein Gesetz aber derart praxisferne Szenarien umfasst, ist es verfassungswidrig. Der BGH hat versäumt, dem BVerfG die nächste Richtervorlage nach Art.100 Abs.1 GG zu bescheren. Ich kann daher nur hoffen, dass die Verteidiger gegen die Entscheidung mit einer Verfassungsbeschwerde vorgehen.
Legalisierung und EU-Recht: "Ampel sollte Risiko eingehen"
Zurück zum Legalisierungsvorhaben der Ampel: Selbst Befürworter einer legalen Abgabe an Erwachsene warnen vor einer Kollision mit Europarecht und einer Niederlage Deutschlands vor dem EuGH. Sollte der Gesetzgeber nicht besser kleinere Brötchen backen und erst einmal auf europäischer Ebene nachverhandeln und sich vielleicht mit Modellprojekten – wie aktuell in den Niederlanden praktiziert – einer echten Legalisierung annähern?
Nein. Deutsches Verfassungsrecht geht hier aus meiner Sicht einem EU-Rahmenbeschluss vor. Und mit unserem Grundgesetz ist eine umfassende Legalisierung vereinbar. Im Übrigen rate ich hier auch einmal zu einer gewissen Risikobereitschaft: Anders als bei der Maut droht Deutschland selbst bei einem Scheitern vor dem EuGH kein dreistelliger Millionenschaden.
Aber gut, wenn es sein muss, dann sollte die Regierung eben nachverhandeln, um ihr Versprechen zu halten. Doch weder Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch Justizminister Marco Buschmann oder der Drogenbeauftragte der Bundesregierung haben diese Notwendigkeit bisher artikuliert. Ich gehe also davon aus, dass die Bundesregierung hier klüger ist als so mancher Bedenkenträger.
Und was die Entkriminalisierung per Gesetz anbelangt: In dem Rahmen, wie ich sie vorschlage, gibt es keinerlei Kollision mit Europarecht. Die Ampel muss handeln – und zwar sofort.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Entkriminalisierung von Cannabis: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49927 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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