Für Berufsfeuerwehrbeamte gibt es Ausgleich ihrer erhöhten Wochenarbeitszeiten - auch wenn sie diesen erst nachträglich schriftlich geltend machen, entschied das BVerwG. Robert Hotstegs zu den Urteilen und der Kehrtwende des Gerichts.
Die beiden am Donnerstag verhandelten und entschiedenen Revisionsverfahren gegen die Stadt Leipzig (Urt. v. 19.04.2018, Az. 2 C 36.17 und 2 C 40.17) finden ihren Ursprung in einem europarechtlichen Dilemma aller Feuerwehren und Rettungsdienste: Zu spät haben nämlich die Dienstherren und Träger erkannt, dass der europäische Arbeitsschutz der Arbeitszeitrichtlinie auch für die Retter gilt. Arbeitszeit- und Gesundheitsvorschriften sind danach auch auf den Wachen und Fahrzeugen einzuhalten.
Mit seinen Entscheidungen vom Donnerstag hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) anderslautende Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bautzen aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Die Urteile haben eine Bedeutung, die unter Umständen weit über die Leipziger Fälle hinausgeht.
Warum Feuerwehrbeamte überhaupt so lange arbeiten
Die Obergrenze der wöchentlichen Arbeitszeit beträgt seit Jahren 48 Stunden in einem Siebentageszeitraum. Während der typische Arbeitnehmer oder der typische Beamte diese Wochenarbeitszeit regelmäßig gar nicht erreicht und daher von einer Überschreitung nicht bedroht ist, stellte sich die Situation für Berufsfeuerwehrleute stets anders dar. Viele Feuerwehren arbeiten in einem 24-Stunden-Dienst. Das ermöglicht es etwa, Beamte zu langen Diensten heranzuziehen und gleichzeitig auch die Reibungsverluste eines Schichtwechsels gering zu halten.
Für den einzelnen Feuerwehrbeamten kann der 24-Stunden-Schichtdienst vorteilhaft sein. So erlaubt er den Beamten in vielen Fällen zum Beispiel, auch weiter entfernt vom Dienstort zu wohnen, schließlich fallen An- und Abfahrten von zu Hause zum Dienst und wieder zurück deutlich seltener an als bei einem Mitarbeitenden in anderen städtischen Ämtern, die regulär an fünf Tagen die Woche besetzt sind.
Weil sich also der Rhythmus von Dienst und Freizeit bereits grundlegend abweichend vom typischen Beamten organisiert und weil seit jeher unter den "Floriansjüngern" Kameradschaft und Zusammenhalt für die Wehr eine große Rolle spielt, stellte sich landauf landab die Frage, ob die Beamten bereit wären, regelmäßig auch mehr als 48 Stunden je Woche zu arbeiten. Viele waren es - bis zur europarechtlichen Obergrenze.
In der Folge wurden 52-Stunden-Wochen zur Regel und Beamte in Cottbus wie in Leipzig, in Düsseldorf wie in München, bei städtischen Feuerwehren wie auch bei den Feuerwehren der Bundeswehr sammelten zusätzliche Dienste und "Überstunden" an. Seit 2013 ist in vielen Dienststellen allerdings der juristische Streit über die Abgeltung dieser Dienste entbrannt.
Uneinheitliche Rechtslage in den Bundesländern
Im Mittelpunkt des Streits stehen bundesweit die gleichen Fragestellungen: War es europarechtskonform, dass die Feuerwehrbeamten um "freiwillige" Mehrarbeit ersucht wurden? Leisteten sie diesen Dienst und ihre Zustimmung auch tatsächlich freiwillig? Waren die Dienste pauschal abzugelten oder nach den beamtenrechtlichen Grundsätzen der Mehrarbeit? Und schließlich: Durften Ansprüche durch die Beamten auch rückwirkend geltend gemacht werden?
Die Ergebnisse der Rechtsprechung spiegeln den bundesdeutschen Föderalismus wider: Ja, viele Bundesländer haben nach Auffassung des BVerwG (Urt. v. 21.07.2017, Az. 2 C 31.16 und 2 C 44.16 ) grundsätzlich die europäischen Vorgaben umgesetzt. Sie durften im Rahmen von Individualvereinbarungen die wöchentliche Arbeitszeit erhöhen und das sogenannte "Opt-out" einführen.
Und ja, die Feuerwehrbeamten haben unter Umständen Ansprüche auf Abgeltung und europarechtlichen Schadensersatz. Aber – so das BVerwG noch 2017 – dieser müsse schriftlich und ausdrücklich geltend gemacht werden und er greife sodann nur für die Zukunft. Anders stellt sich dies nun nach den gestrigen Entscheidungen dar.
Denn das höchste Verwaltungsgericht lässt offensichtlich auch rückwirkende Ansprüche dem Grunde nach zu. Lediglich die erforderlichen Tatsachen und Berechnungen konnte es als Revisionsinstanz nicht selbst vornehmen und hat daher beide Verfahren an das OVG Bautzen zurückverwiesen.
Ist das Opt-out wirklich immer freiwillig?
Gerade dieser Aspekt der Rückwirkung - oder anders gesagt: der Nachforderung durch die Feuerwehrbeamten - ist es, der den Urteilen die besondere Bedeutung verleiht. Denn das Gericht tritt offenbar der weit verbreiteten Auffassung entgegen, der Dienstherr habe die über 48 Stunden hinaus geleisteten Dienste billiger einkaufen oder gar gratis ohne Ausgleich erhalten dürfen.
Konkret vor Ort in den Feuerwachen hat sich der Einstieg in das Opt-out gerade nicht als ehrenamtliche, rein freiwillige Leistung der Beamten dargestellt. Zweifel an der Freiwilligkeit waren schon immer geboten. So wurde häufig davor gewarnt, Vorgesetzte könnten damit drohen, dass diejenigen anders behandelt würden, die keine Opt-out-Erklärung abgeben. Dass ihnen Nebentätigkeitsgenehmigungen gestrichen oder nicht verlängert würden. Oder sie ungünstigere Dienstpläne bekämen oder ihnen Beförderungsperspektiven genommen würden.
Besonders kritisch wird es, wenn die Landesgesetzgeber teilweise in einer überraschenden Kühnheit wie etwa in NRW jegliche Zahlung für die mehr geleisteten Stunden in das einseitige Ermessen des Dienstherrn stellen. Da ist es schon verwunderlich, dass die Rechtsstreitigkeiten in den Wehren nicht deutlich häufiger ausgefochten und schließlich vor Gericht getragen worden sind.
Haften die Länder den Kommunen?
In den Fällen, die nun noch in den Instanzen anhängig sind, liegt es an den Richtern, die Gemengelage aus Europa- und Beamtenrecht, aus Gesetz und jeweiliger Individualvereinbarung, aus Freiwilligkeit und Bedrängen aufzuklären. Hier sind unter Umständen vielfältige Sachverhaltsermittlungen geboten.
Nicht durchgehen lassen sollte man dabei den Dienstherren zwei Argumente, die häufig anzutreffen sind: Sie berufen sich darauf, dass sie doch nicht für das europäische Arbeitszeitregime haftbar gemacht werden dürften und ebenso, dass ihnen nicht Versäumnisse des Landesgesetzgebers angelastet werden sollen.
Beide Argumente können aber bei näherem Hinsehen nicht überzeugen: Die Dienstherren tragen ihre eigene Verantwortung dabei, das geltende Recht aller Ebenen umzusetzen, also auch das europäische Arbeitsrecht. Und die Dienste von einer Dauer über die 48 Stunden hinaus nahmen sie ja auch nur zu gern in Anspruch. Dass die Beamten entsprechenden Freizeitausgleich oder Abgeltung der "Überstunden" fordern, ist eben die Kehrseite dieses Vorgehens.
Die Bundesländer ihrerseits stehen nicht in der Pflicht den einzelnen Beamten der Gemeinden gegenüber. Aber sie haben es offenbar ebenso versäumt, ihr eigenes Landesrecht kritisch in den Blick zu nehmen und Rechtssicherheit für Dienstherrn wie Feuerwehrbeamte zu schaffen. Hier ist Raum für politische, weniger für juristische Forderungen nach finanziellem Ausgleich.
Jede Minute Dienstzeit wird im Einsatz gebraucht
Nun muss man hoffen, dass die aktuellen Entscheidungen des BVerwG den Weg frei gemacht haben, auch rückwirkende Forderungen der Beamten zu prüfen. Haben St. Florians Helfer ihre wöchentliche Arbeitszeit erhöht, sind Freizeitausgleich oder Abgeltung nicht per se von der Hand zu weisen.
Die Schwierigkeit wird in der Umsetzung liegen: Freizeitausgleich verweigern die meisten Feuerwehren mit Hinweis darauf, dass schon jetzt jede Frau und jeder Mann und damit jede Minute Dienstzeit gebraucht werde. Die Alternative Abgeltung treibt hingegen den Kämmerern den sprichwörtlichen Schweiß auf die Stirn: Denn auch bei "nur" ein paar tausend Euro pro Retter summieren sich diese schnell auf Millionenbeträge in den Großstädten.
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Er ist Lehrbeauftragter der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW für das Fach Beamtenrecht und seit 2018 mitverantwortlich für die "Ombudsstelle Feuerwehr" der Berufsfeuerwehr Köln. Er vertritt Beamte der Feuerwehr Düsseldorf in ähnlichen Fällen wie denjenigen vor dem BVerwG am Donnerstag.
Robert Hotstegs, BVerwG zum Ausgleich für 52-Stunden-Woche: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28189 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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