Die neue Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB soll im Herbst 2014 starten. Mit diesem ersten Teil der Bankenunion will die EU Finanzkrisen künftig besser in den Griff kriegen. Eine Gruppe von Professoren sieht das völlig anders und hat Verfassungsbeschwerde eingereicht. Zu viel Europäisierung und zu viele Kompetenzen für die EZB, meint Markus C. Kerber im Interview.
LTO: Warum halten Sie die geplante gemeinsame Bankenaufsicht durch ein Gremium, das bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt ist, für verfassungswidrig?
Kerber: Im europäischen Recht gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die europäischen Organe dürfen also nur insoweit tätig werden, als sie von den EU-Verträgen dazu ermächtigt werden. Überschreiten sie ihre Befugnisse, spricht man von einem Ultra-Vires-Akt, einem ausbrechenden Rechtsakt.
Diese Lehre hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestützt auf das Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) im Lissabon-Urteil entwickelt. Damit soll verhindert werden, dass sich die europäischen Organe selbst ermächtigen und damit dem Verfassungsstaat Deutschland immer mehr Substanz entziehen.
"Die EZB könnte auch die Volksbank in Flensburg kontrollieren"
LTO: Und die geplante Bankenaufsicht …
Kerber: … ist ein solcher Ultra-Vires-Akt. Der Europäische Rat stützt die entsprechende Verordnung nämlich auf Art. 127 Abs. 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Diese Vorschrift erlaubt aber nur, der EZB die Bankenaufsicht für "besondere Aufgaben" zu übertragen. Zu einer totalen Übertragung ermächtigt der Wortlaut also gerade nicht. Genau die ist aber geplant.
LTO: Den Mitgliedstaaten geht es aber doch gar nicht darum, jede kleine Bank künftig durch das neue Gremium bei der EZB überwachen zu lassen. Es geht vielmehr um eine Kontrolle der wichtigsten, grenzüberschreitend tätigen Institute in Europa – das sind zunächst 120 Institute, darunter 21 deutsche. Die tägliche Aufsicht über die Geschäfte der kleinen Geldhäuser werden weiter die nationalen Behörden haben.
Kerber: Mit diesen 120 Instituten ist aber bereits ein großer Teil der Bankenbilanzsumme erfasst. Außerdem ist diese Beschränkung opportunitäts- und arbeitstechnischen Gründen geschuldet. Die EZB ist gar nicht in der Lage, die Volksbank in Flensburg zu kontrollieren. Grundsätzlich hat sie nach der Verordnung aber das Recht dazu und kann an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die entsprechende Weisung erteilen.
"Bankenrettung muss schnell gehen – mit dem EZB-Gremium unmöglich"
LTO: Sie stören sich auch daran, wie die Bankenaufsicht auf Ebene der EZB organisiert ist.
Kerber: Genau, auch die Reorganisation der EZB ist ein Ultra-Vires-Akt. Nach Art. 129 AEUV hat die EZB zwei Organe, die Entscheidungen treffen dürfen: den Rat der EZB und das Direktorium. Darüber hinaus kann sich die EZB nur Unterausschüsse ohne Entscheidungsbefugnisse geben.
Genau so ein Unterausschuss ist das neue Gremium, das unter der Führung der Französin Danièle Nouy die Banken beaufsichtigen soll. Dieses darf deshalb – rechtlich gesehen – keine selbständigen Entscheidungen treffen; es muss vielmehr seine Vorschläge dem EZB-Rat und dem Direktorium vorlegen, die dann positiv durch Nicht-Widerspruch entscheiden. Das ist eine Umgehung der Regelung im AEUV, weil faktisch natürlich das Aufsichtsgremium die Entscheidung trifft.
Außerdem ist dieser Weg nicht besonders effizient. Es wird endlos lange dauern, bis es zu einer Einigung über die Insolvenz einer Bank kommt. Dem Aufsichtsgremium unter Danièle Nouy gehören nämlich auch Vertreter der teilnehmenden Staaten an. Die aber werden alles tun, um eine Gefährdung des eigenen Bankplatzes zu verhindern. Dabei muss Bankenrettung schnell gehen, anders funktioniert das nicht.
Rechtlich ist diese Ineffizienz allerdings nur ein Argument, wenn man der Auffassung ist, dass die geplante Bankenaufsicht schon im Ansatz ungeeignet und damit unverhältnismäßig sei. Ich weiß nicht, ob das BVerfG soweit gehen wird. Es gesteht dem Gesetzgeber bekanntlich einen weiten Beurteilungsspielraum zu.
"EU hat sich für den pragmatischen Weg entschieden"
LTO: Wieso haben die Mitgliedstaaten die Aufsicht nicht direkt bei den EZB-Organen angesiedelt, die auch die Entscheidungen treffen dürfen?
Kerber: Die EZB ist für die Geldpolitik zuständig. Sie nimmt zum Beispiel mit der Festsetzung des Leitzinses Einfluss auf die Kreditpolitik der Banken und schafft damit auch Risiken für den Bankensektor. Dass sie gleichzeitig eine unabhängige Aufsicht über die Banken führt, ist unmöglich. Das ist ein klarer, unlösbarer Interessenkonflikt. In Deutschland sind Geldpolitik und Bankenaufsicht daher getrennt – die eine Aufgabe übernimmt die Bundesbank, die andere die BaFin. Die Bundesbank ist in puncto Aufsicht nur ein Hilfsorgan der BaFin.
Der juristisch alternativlose Weg wäre es gewesen, wenn sich die Bundesregierung für eine Vertragsänderung eingesetzt hätte, mit der eine von der EZB unabhängige europäische Bankenaufsicht geschaffen worden wäre.
Aber das wollte man nicht, weil es zu lange gedauert hätte und manche Mitgliedstaaten ihre Zustimmung zu einer Vertragsänderung mit Gegenforderungen verbunden hätten. Also hat man sich für den pragmatischen Weg entschieden.
"Wir werden auch gegen den Bankenabwicklungsmechanismus klagen"
LTO: Wenn man die Bankenaufsicht durch eine Vertragsänderung geregelt hätte und ein eigenes von der EZB getrenntes Institut geschaffen hätte, dann wären Sie also damit einverstanden gewesen?
Kerber: Das würde ich so nicht sagen. Ich bin sehr skeptisch, ob eine Europäisierung stets der allerbeste Weg ist. Meine Erfahrung zeigt eher, dass die Institutionen dadurch immer intransparenter werden. Wenn die deutsche Bankenaufsicht versagt, wird darüber sofort öffentlich diskutiert, weil der deutsche Steuerzahler betroffen ist.
Auf europäischer Ebene funktioniert das nicht. Versagt die europäische Bankenaufsicht, springt der europäische Bankenabwicklungsfonds ein oder der Rettungsschirm ESM – aus diesen Töpfen können Gelder entnommen werden, ohne dass ein Bürger das Gefühl hat, es geht um sein Geld. Das ist vergleichbar mit einer Anwaltskanzlei, in der die Telefonkosten auf alle verteilt werden. Am Ende führt das immer zu einer höheren Rechnung, weil sich keiner verantwortlich fühlt und auf die Kosten achtet.
LTO: Sie plädieren also dafür, die Bankenaufsicht auf nationaler Ebene zu halten?
Kerber: Man hätte sie langfristig normativ homogenisieren, also überall dieselben Kriterien einführen sollen. Die Bundesbank profitiert übrigens von der Bankenunion. Sie ist nämlich auch in dem neuen Aufsichtsgremium vertreten und kommt damit endlich ihrem Ziel näher, auch Bankenaufsicht zu sein.
LTO: Sie haben jetzt erst einmal eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Folgt auch noch ein Eilantrag, damit das neue Aufsichtsgremium seine Arbeit gar nicht erst aufnehmen kann?
Kerber: Das ist Option.
LTO: Werden Sie auch gegen die andere Säule der Bankenunion klagen – den gemeinsamen Bankenabwicklungsmechanismus?
Kerber: Ja, sobald diese Regelung in Kraft ist. Mit der aktuellen Klage haben wir so lange gewartet, weil wir eigentlich gegen die Bankenunion en bloc klagen wollten.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Markus C. Kerber ist außerplanmäßiger Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. 1998 gründete er Europolis, eine Initiative für europäische Ordnungspolitik, die die Verfassungsbeschwerde gegen die Bankenaufsicht unterstützt (Az. 2 BvR 1685/14).
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Europäische Bankenaufsicht vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12723 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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