Einmal im Jahr laden die großen christlichen Kirchen die Karlsruher Bundesjustiz zum Empfang. Diesmal warb Erzbischof Georg Gänswein aus dem Vatikan für die katholische Sicht auf Menschenwürde und Recht. Christian Rath war dabei.
Zu keiner gesellschaftlichen Gruppe sind die institutionellen Kontakte der Karlsruher Justiz so eng wie zu den beiden großen christlichen Kirchen. Das lässt sich anschaulich am jährlichen Empfang, aber auch an dem kontinuierlich arbeitenden "Foyer Kirche und Recht" zeigen.
Der Jahresempfang ist keine gemeinsame Veranstaltung von Kirche und Justiz, sondern eine Veranstaltung der Kirchen für die Justiz. Die Einladung stammt vom katholischen Freiburger Erzbischof Stephan Burger und vom evangelischen badischen Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh. Eingeladen sind das Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof, die Bundesanwaltschaft und die Rechtsanwaltskammer beim BGH.
Erzbischof Georg Gänswein als Festredner hatte allerdings wohl eher das Gefühl, bei einer Veranstaltung der Justiz zu sprechen und bezeichnete es als "kleines Wunder", "dass Sie nun mich als Angehörigen jenes Berufstandes, dessen Leumund zuletzt so grauenhaft unter die Räder gekommen ist, überhaupt eingeladen haben". Doch die Veranstaltung fand ganz eindeutig im Haus der Katholischen Kirche in Karlsruhe statt und es sang ein katholischer Mädchenchor.
Gekommen waren rund 200 Personen, darunter vier Verfassungsrichter (Vizepräsident Stephan Harbarth, Ulrich Maidowski, Josef Christ und Henning Radtke) und zahlreiche BGH-Richter, auch BGH-Präsidentin Bettina Limperg.
Nicht immer stammen die Festredner der Jahresempfänge aus dem Zentrum der Kirche wie Gänswein. Im Vorjahr sprach etwa der Theologe Peter Dabrock als Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Erzbischof Gänswein aber war sicher eine besondere Attraktion. Er war vor allem wegen seiner Schönheit ("George Clooney des Vatikan") und als Privatsekretär von Kardinal Ratzinger/Papst Benedikt bekannt geworden. Heute ist er als "Präfekt des Päpstlichen Hauses" und immer noch für den emeritierten Ex-Papst tätig.
Menschenwürde als christliches Kulturgut
"Im Begriff der Menschenwürde geben sich Religion und Recht gewissermaßen den Friedenskuss", sagte Gänswein. Er schilderte die Menschenwürde als naturrechtliche Vorstellung, fundiert im "Willen Gottes, den Menschen nach seinem Abbild, nach dem Abbild Gottes zu schaffen." Dieses Naturrecht sei aber zugleich ein Sondergut, "das nicht einfach der Natur entstammt und auf Bäumen gewachsen ist." Die Menschenwürde sei ein "Kulturgut", "sie kommt nicht aus China oder Japan, nicht aus Indien, auch nicht aus dem 'Haus des Islam'", so Gänswein. Die Menschenwürde "entstammt allein unserer Geschichte, und hier ganz besonders der Selbstoffenbarung Gottes, und zwar so, wie sie in den Heiligen Schriften des Judentums und des Christentums auf uns gekommen ist."
Auch für die weitere Werte-Fundierung des Staatswesens seien die Kirchen unabdingbar. Dies könne der Staat nicht selbst leisten. "Das ist vorrangig Sache der Kirchen und Synagogen, auch und gerade in einer radikal pluralisierten Welt."
Doch nun stünden Staat und Kirche, so Gänswein, "am Scheideweg". Das Bundesverfassungsgericht habe die "Ehe für alle" zugelassen (was nicht stimmt, es war der Bundestag; Bayern hat auf die angekündigte Verfassungsklage später verzichtet), das Bundesarbeitsgericht habe beim kirchlichen Arbeitsrecht "mächtig zugelangt". Gänswein äußerte den Eindruck, dass die Gesellschaft immer jubele, wenn die Rechtsprechung "Entscheidungen trifft, die eine Rücksichtnahme auf christliche Werte und christliche Moralvorstellungen minimalisiert, beseitigt oder ablehnt." Er könne das sogar verstehen, so Gänswein, weil es ja darum gehe, das Leben von Homosexuellen und geschieden-wiederverheirateten Krankenschwestern "behaglicher" zu machen. Solche Konflikte bezeichnete Gänswein zwar als "Accedentialia", also als zufällige Unwesentlichkeiten. Zugleich warf er dem Staat aber vor, sich von der Grundierung seines "ursprünglichen christlich-humanistischen Weltbildes und vom Naturrecht zu verabschieden".
Mit diesem Abschied meinte er aber vielleicht auch eher die Rückkehr des Sozialdarwinismus in die Gesellschaft, der er die christliche Lehre gegenüberstellte, wonach Gott sich "in den Geringsten unter uns" zeige. Für Gänswein ist es die Anziehung der christlichen Botschaft, "warum Menschen in ihrer Not nach Europa fliehen und nicht nach China oder in die Arabischen Emirate". Die Kirche könne allerdings nur ihre Existenz sichern und für die Gesellschaft wieder attraktiv werden, wenn sie sich wieder auf die christliche Mystik einlasse, auf die Suche nach Gott.
Gänsweins Rede wurde beim anschließenden Wein lebhaft debattiert. "Solche Positionen kann man auch nur im Vatikan vertreten", sagten einige. Ein hoher Jurist sah neuen Sinn in der staatlichen Neutralität, ein anderer sprach von "Salafismus". Die Karlsruher Justiz hat Gänsweins Positionen also nicht mit fliegenden Fahnen übernommen, sondern eher gespürt, wie tief die Kluft zum Hardcore-Katholizismus geworden ist.
Damit wird vielleicht auch deutlich, dass institutionelle Kontakte von Kirche und Gerichten nicht zwingend zu illegitimer Verbrüderung führen.
Nicht-öffentliche Foyerabende
Besonders eng ist die Zusammenarbeit von Kirchen und Karlsruher Justiz im 2007 gegründeten "Foyer Kirche und Recht". Hier sprechen Kirchenfunktionäre und Juristen regelmäßig über Fragen von Ethik und Recht. Das Foyer wird von zwei Kirchenleuten geleitet: von Tobias Licht (katholisch) und Arngard Uta Engelmann (evangelisch). Während die Jahresampfänge zumindest presseöffentlich sind, bleiben die Foyer-Abende nicht-öffentlich. Eingeladen sind aber alle Juristen der Karlsruher Bundesjustiz. Diskutiert wird rund viermal pro Jahr über Fragen wie "Recht und Ethik am Lebensende". Hierzu werden jeweils mehrere externe Referenten geholt. Als Publikum nehmen im Schnitt rund 60 Personen teil, "Tendenz steigend", so Tobias Licht. Es kommt jeweils, wer sich für ein Thema interessiert.
Eigentlich sind das normale Gesprächsforen, wie sie auch die Justizpressekonferenz (der Verein der Karlsruher Justiz-Korrespondenten) organisiert. Ungewöhnlich ist allenfalls, dass es hier noch einen "Foyerkreis" gibt, der als eine Art Kuratorium dient. Diesem 20-köpfigen Foyerkreis gehören nun eben nicht nur Kirchenleute, sondern überwiegend Juristen an, zum Beispiel die Verfassungsrichterin Christine Langenfeld, BGH-Präsidentin Bettina Limperg und Generalbundesanwalt Peter Frank.
Die Organisation eines solchen dauerhaften Forums ist aufwändig. Die Kirchen sichern sich so zumindest einen bevorzugten Platz in der Aufmerksamkeitsökonomie der Karlsruher Richter. Es ist nicht bekannt, dass auch andere Gruppen (etwa Wirtschaftsverbände oder Gewerkschaften) versucht haben, in Karlsruhe einen so kontinuierlichen Dialogprozess zu initiieren. Möglicherweise dient das "Foyer Kirche und Recht" aber nicht zuletzt der kirchlichen Binnenwirkung, indem sich die Religionsgruppen so selbst-suggestiv ihrer Bedeutung in Grundsatzfragen versichern. Wenn es um konkrete Verfassungsprobleme geht, werden beim Bundesverfassungsgericht aber ohnehin alle relevanten Gruppierungen angehört. Bei der Verhandlung zu § 217 StGB (Förderung der Selbsttötung) war zum Beispiel auch die sehr kirchenkritische Giordano Bruno-Stiftung eingeladen.
Von außen gesehen kommt natürlich gelegentlich die Frage auf, ob die Verquickung von Verfassungsgericht und Kirchen nicht allzu eng ist und jedenfalls nicht gut aussieht. So hat im Juni 2009 morgens der Erste Senat auf Klage der evangelischen und katholischen Kirche über die ausgeweitete Sonntags-Ladenöffnung in Berlin verhandelt. Abends luden die Kirchen die Richter zum Jahresempfang. Am Ende gewannen die Kirchen das Verfahren. Allerdings wurde der Sonntagsschutz zugleich profanisiert und auch mit den Interessen von Verbänden, Vereinen und Familien begründet.
Von der Unabhängigkeit beseelt
Eine Besorgnis der Befangenheit könnte auch aufkommen, wenn man an die aktuellen Konflikte zum kirchlichen Arbeitsrecht denkt. In solchen Fällen ist die Kirche nun aber nicht nur wertemäßig am Ausgang interessiert, wie bei der Sterbehilfe, vielmehr sind die Kirchen hier direkt Streitpartei. Bisher hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gegenüber dem Bundesarbeitsgericht (BAG) besonders betont.
Das BAG hatte daraufhin den EuGH eingeschaltet, der den staatlichen Gerichten zumindest ein Prüfungsrecht einräumte, ob spezielle kirchliche Anforderungen gerechtfertigt sind. Das BAG hat die EuGH-Rechtsprechung in zwei Fällen inzwischen übernommen. Das evangelische Diakonische Werk hat in seinem Fall bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt, das katholische Krankenhaus hat im anderen Fall noch vier Wochen Zeit, sich zu entscheiden. "Wenn so etwas anhängig ist, machen wir natürlich keine Foyerabende hierzu", sagt Organisator Tobias Licht.
Aber auch in solchen Konstellationen besteht keine Besorgnis der Befangenheit. Denn die Verfassungsrichter sind von ihrer Unabhängigkeit geradezu beseelt. Sie treffen sich ja auch regelmäßig mit der Bundesregierung, obwohl diese nun noch viel häufiger als Streitpartei in Karlsruhe auftritt. Und dass Karlsruhe die Bundesregierung übermäßig schont, wird man wohl verneinen können.
Die hohen Hürden für die Annahme von Befangenheit sollten dann allerdings auch in einem Fall zur Anwendung kommen, über den der Zweite Senat demnächst entscheiden muss. In mehreren Bundesländern ist muslimischen Richterinnen das Tragen eines Kopftuchs bei Verhandlungen gesetzlich verboten. Verfassungsrichter, die regelmäßig institutionelle Kontakte zu christlichen Kirchen pflegen und erwarten, dass deshalb niemand an ihrer Unabhängigkeit zweifelt, werden wohl auch die Sichtbarkeit einer Religion nicht zum Anlass nehmen, die Befürchtung für legitim zu erklären, eine solche Richterin werde das Recht parteiisch auslegen.
Empfang der Kirchen in Karlsruhe: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35781 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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