Die Ampel-Fraktionen und die CDU/CSU haben sich auf den Inhalt einer Resolution gegen Antisemitismus geeinigt. Über sie soll am Donnerstag abgestimmt werden. Umstritten ist vor allem die Definition von Antisemitismus. Hält sie vor Gerichten?
Seit rund einem Jahr ringen die Fraktionen des Bundestags um den Inhalt einer Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Einerseits sprach die starke Zunahme antisemitischer Übergriffe und Gewalttaten für eine derartige Resolution. Andererseits hat deren repressiv geprägter Ansatz zu Sorgen in Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft geführt, dass auch Kritik an der israelischen Regierung und der Art ihrer Kriegsführung sanktioniert werden könnte.
Weil die Kompromissfindung so heikel schien, fanden die Verhandlungen zwischen den Fraktionen rund ein Jahr lang hinter verschlossenen Türen statt. Erst am Freitagabend vergangener Woche meldeten die Fraktions-Vizes Dirk Wiese (SPD), Konstantin von Notz (Grüne), Konstantin Kuhle (FDP) und Andrea Lindholz (CDU/CSU), dass sie sich auf einen interfraktionellen Antrag geeinigt haben. Der Antrag "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" ist zwar noch nicht öffentlich, liegt LTO aber vor. Am Donnerstag soll über ihn ab 9 Uhr im Bundestag beraten und abgestimmt werden.
Israels Selbstverteidigungsrecht und "Zwei-Staaten-Lösung" stehen drin
In dem Resolutionsentwurf zeigt sich der Bundestag dankbar, "dass es nach der nationalsozialistischen Diktatur und trotz der Shoah wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland gibt." Die Vielfalt jüdischen Lebens "anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu bewahren und zu schützen", sei "Ausdruck der deutschen Staatsräson". Diese Selbstverpflichtung begründe auch ein "unverrückbares Schutzversprechen an das Existenzrecht des Staates Israel als sichere Heimstätte des jüdischen Volkes." Betont wird das Selbstverteidigungsrecht Israels, aber auch das Ziel einer "Zwei-Staaten-Lösung".
Die Bekämpfung des Antisemitismus sei "die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten", heißt es im Resolutionsentwurf. Zwar finde sich Antisemitismus "seit jeher in allen gesellschaftlichen Gruppen." Allerdings sei der "Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus" seit dem Hamas-Terroranschlag im Oktober 2023 "auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau." Er basiere insbesondere auf "Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens". Erwähnt wird aber auch die Zunahme völkischer und rechtsextremer Positionen sowie der vermehrte links-antiimperialistische Antisemitismus.
Wie bereits die Bundesregierung 2022 in ihrer Nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) beschlossen habe, seien "Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen". Dies gelte besonders "im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht". Nach dem Betätigungsverbot für die terroristische Hamas und dem Vereinsverbot des Netzwerks Samidoun sollen "weitere extremistische Organisationen überprüft" und, sofern möglich, verboten werden."
Boykott-Aufruf als Antisemitismus?
Der Bundestag soll in der Resolution seinen Beschluss von 2019 bekräftigen, dass mit Bundesmitteln "keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen." Die BDS-Bewegung ruft zum Boykott Israels auf, um die völkerrechtswidrige Besetzung palästinensischer Gebiete zu beenden. Teilweise wird aber auch das Existenzrecht Israels infrage gestellt.
"Auch in den Reihen von Kunst und Kultur sowie der Medien darf es keinen Raum für Antisemitismus geben", heißt es im Resolutionsentwurf. Deshalb "sollen Länder, Bund und Kommunen - soweit noch nicht erfolgt - rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden". Sicherheitshalber wird erwähnt, dass die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst vom Grundgesetz garantiert werden.
Im Bereich der Wissenschaft sind im Resolutionsentwurf keine vergleichbaren Forderungen nach haushalterischen Regelungen gegen Antisemitismus enthalten. Hier wird nur betont, dass sich "Lehrende wie Studierende mit jüdischen Wurzeln, israelischer Herkunft oder mit israelsolidarischem Denken" in ihren Einrichtungen sicher fühlen sollen. Gegen antisemitisches Verhalten sollen die Hochschulen von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen oder diese erweitern. Dazu sollen gehören: "die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen."
Die Krux mit der Definition des Antisemitismus
Dreh- und Angelpunkt all dieser Forderungen ist die Frage, was eigentlich unter Antisemitismus zu verstehen ist. Der Resolutionsentwurf bezieht sich in diesem Zusammenhang auf den "Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt", und den "Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt". Beide Beschlüsse seien "als maßgeblich heranzuziehen". Ursprünglich sollte es heißen, diese Beschlüsse seien "zugrundezulegen", doch der Unterschied ist relativ gering.
Die IHRA ist die International Holocaust Remembrance Alliance, ein Bündnis aus 34 Staaten, dem auch Deutschland angehört. 2016 hat die IHRA eine nicht rechtsverbindliche "Arbeitsdefinition Antisemitismus" beschlossen, die im Kern aus zwei Sätzen besteht: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." Die Bundesregierung fügte in ihrem Beschluss 2017 noch einen dritten Satz dazu, der sinngemäß aus IHRA-Beispielen für Antisemitismus stammt: "Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein."
Die IHRA-Definition ist umstritten (insbesondere in ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung), weil sie vage ist und es ermöglicht, Kritik an der Regierungspolitik Israels oder seinem militärischen Vorgehen als Antisemitismus einzustufen. Als Alternative zur IHRA-Definition gilt die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die von kritischen Wissenschaftler:innen 2021 erarbeitet wurde. Danach ist Antisemitismus eine Sonderform des Rassismus. Zu unterscheiden seien Antisemitismus und Antizionismus (jüdischer Nationalismus). Kritik am Zionismus sei nicht antisemitisch. Boykottaufrufe gegen Israel seien nicht per se antisemitisch.
In der geplanten Resolution des Bundestags wird die Bundesregierung aufgefordert, sie soll auf Bundesländer und Kommunen einwirken, die IHRA-Definition zum Antisemitismus als "maßgeblich" anzusehen, und auch ihre Haushaltspolitik danach auszurichten.
Antrag ignoriert die deutsche Rechtsprechung
Bemerkenswert ist, dass der Bundestag weitgehend die Kritik der Rechtsprechung an seiner Anti-BDS-Resolution von 2019 ignoriert. In der Bundestags-Resolution von 2019 hieß es: "Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch." Der Bundestag wolle deshalb "Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels infrage stellen", keine Räumlichkeiten und Einrichtungen mehr zur Verfügung stellen. Außerdem sollen solche Projekte nicht mehr finanziell gefördert werden. Bundesländer und Kommunen wurden aufgefordert, dieser Linie zu folgen.
Tatsächlich folgten viele Kommunen dem Aufruf des Bundestags und fassten eigene Anti-BDS-Beschlüsse. Besonders weitreichend war der Beschluss des Stadtrats von München, der in kommunalen Räumen jede Diskussion über die BDS-Bewegung verbot. Nicht einmal eine Diskussion über den Stadtratsbeschluss war möglich.
Doch die Veranstalter einer verbotenen Diskussion klagten sich erfolgreich durch die Instanzen. Im Januar 2022 entschied dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass der Münchner Stadtratsbeschluss gegen die Meinungsfreiheit verstoße. Es sei nicht möglich, bestimmte unerwünschte Meinungen auszugrenzen. Die Meinungsfreiheit gelte unabhängig davon, ob die Meinung "als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird." Die Bürger seien nicht verpflichtet, "die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen." Ein Veranstaltungsverbot in städtischen Räumen wäre nur möglich gewesen, wenn bei BDS-Veranstaltungen regelmäßig mit Straftaten wie Beleidigungen oder Volksverhetzungen zu rechnen wäre. Dafür hatte die Stadt München aber keine Anhaltspunkte und verlor daher den Prozess.
Einen ähnlichen Prozess verlor im April 2022 auch die Stadt Stuttgart. Sie hatte dem örtlichen Palästina-Komitee untersagt, seine Veranstaltungen weiterhin auf der Webseite der Stadt anzukündigen. Dagegen klagte das Komitee erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart (Urt. v. 21.04.2022, Az.: 7 K 3169/ 21); auch dort wurde eine Verletzung der Meinungsfreiheit festgestellt. Das Verbot sei auch nicht durch die Anti-BDS-Resolution des Bundestags gerechtfertigt, so das VG, da eine Resolution unverbindlich sei. Hätte der Bundestag also ein Verbot, BDS-Aktivitäten zu unterstützen, als Gesetz beschließen müssen? Nein, argumentierte das VG Stuttgart, auch ein derartiges Gesetz wäre ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit und damit verfassungswidrig. Dies hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bereits im Dezember 2020 festgestellt.
Grundgesetzänderung als Lösung
Nur an einer Stelle des Resolutionsentwurfs scheinen diese Probleme einer repressiven Antisemitismusstrategie durch. Bund, Länder und Kommunen werden aufgefordert, "rechtssichere" Haushaltsregeln gegen Antisemitismus zu beschließen. Was nun "rechtssicher" wäre, bleibt jedoch offen.
Vermutlich in diesem Kontext ist der Vorschlag des bayerischen Antisemitismus-Beauftragten Ludwig Spaenle (CSU) aus dem Mai zu verstehen. Er will den Kampf gegen Antisemitismus und den Schutz jüdischen Lebens als Staatsziele im Grundgesetz verankern. Dies müsste dann auch von der Rechtsprechung beachtet werden.
Am morgigen Dienstag findet in der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung eine juristische Fachtagung zum Thema "Antisemitismusbekämpfung und Staatsräson mit Verfassungsrang?" statt. Dort wird es zentral auch um den Spaenle-Vorschlag gehen. LTO ist vor Ort und wird berichten.
Entwurf einer Bundestagsresolution: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55781 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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