Auch behinderte Versicherte haben keinen rechtlichen Anspruch auf eine Erektion. Die Richter des BSG entschieden am Dienstag, dass die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für ein Potenzmittel nicht erstatten muss. Auch Behinderte müssen "Lifestyle-Medikamente" selbst bezahlen und werden dadurch nicht diskriminiert. Ein Urteil, das alle Versicherten gleichstellt, meint Isabel Kuhlen.
Ein erster Versuch des Gesetzgebers vor ca. 10 Jahren, so genannte Lifestyle-Arzneimittel vom Leistungskatalog der GKV auszuschließen, war noch gescheitert. Damals war unter Missachtung des Krankheitsbegriffs des SGB V ein Ausschluss formuliert worden, der einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt.
Der aktuelle Leistungsausschluss ist nach Ansicht der Richter des Bundessozialgerichts (BSG)dagegen rechtmäßig - auch soweit Behinderte davon betroffen sind. Der 1. Senat des BSG bestätigte mit Beschluss vom 6. März 2012 (Az. B 1 KR 10/11 R) die Entscheidungen des Sozialgerichts Lübeck (Az. S 1 KR 209/08) und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (L 5 KR 64/10). Beide Vorinstanzen hatten entschieden, dass auch behinderte Versicherte aufgrund der aktuellen Gesetzeslage keinen Anspruch auf Versorgung mit "Lifestyle-Arzneimitteln" haben, wenn diese durch Gesetz vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ausgeschlossen sind.
Geklagt hatte ein Versicherter, der unter einer erektilen Dysfunktion infolge einer Multiplen Sklerose leidet. Die Krankenkasse hatte sich geweigert, die Kosten für ein Potenzmittel zu übernehmen. Vor Gericht hatte der Mann deshalb geltend gemacht, dass die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung sei. Die UN-Behindertenrechtskonvention verbiete die Benachteiligung, die durch die Weigerung der Krankenkasse entstehe. Der gesetzlich vorgesehene Leistungsausschluss diskriminiere Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert sind und sei deshalb unanwendbar.
Der Leistungskatalog diskriminiert die Behinderten nicht
Das BSG hat sich dieser Meinung ebenso wie die Vorinstanzen nicht angeschlossen. Die medikamentöse Behandlung der Potenzstörung unterfällt nach Ansicht der Kasseler Richter nicht dem Leistungskatalog der GKV. Auch eine Diskriminierung des Versicherten durch den Leistungsausschluss konnten sie nicht erkennen.
Der 1. Senat stellte fest, dass der Gesetzgeber bestimmte Leistungen aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließen darf. Angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der Krankenkassen müssen Medikamente, die in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität dienen, nicht von der Kasse bezahlt werden. Zumindest jenseits lebensbedrohlicher Zustände sei es möglich, die Kosten für bestimmte Medikamente und Therapien dem Versicherten aufzuerlegen.
Dies gelte erst recht, wenn es sich um klassische Lifestyle-Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen ganz besonders vom subjektiven Empfinden des Betroffenen abhängen.
Das BSG hatte außerdem nichts daran auszusetzen, das dieser Leistungsausschluss auch behinderte Menschen trifft. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers rechtfertige auch solche mittelbaren Auswirkungen. Weder das Grundgesetz noch die UN-Behindertenrechtskonvention forderten zur Achtung des Diskriminierungsverbots unverhältnismäßige oder unbillige Belastungen aller Versicherten.
Eine Entscheidung für alle Versicherten
Darüber hinaus knüpfe der Leistungsausschluss nicht an eine Behinderung an, sondern erfasse weitergehend im Vorfeld alle Fälle der Erkrankung oder Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen. Dementsprechend sei keine Diskriminierung Behinderter erkennbar und ein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention scheide aus.
Die aktuelle Entscheidung entspricht damit der seit Jahren vom BSG vertretenen Linie. Mit Urteil vom 10. Mai 2005 (Az. B 1 KR 25/03 R) hatte das oberste Sozialgericht erstmals den seit 1. April 2004 geltenden Leistungsausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion als verfassungsgemäß bestätigt. Diese Rechtsauffassung teilte auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausdrücklich (Beschl. v. 28.02.2008, Az. 1 BvR 1778/05). Ergänzend entschied das BSG am 18. Juli 2006 (Az.: B 1 KR 10/05 R), dass auch ein Kostenerstattungsanspruch für Lifestyle-Arzneimittel nicht mehr besteht.
Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, den Verordnungsausschluss auch auf Behinderte zu erstrecken. Eine andere Entscheidung würde eine sachlich nicht zu begründende Ungleichbehandlung mit anderen Versicherten darstellen und wäre verfassungsrechtlich bedenklich. So schwerwiegend die krankheitsbedingte Potenzstörung für die Betroffenen auch ist, die Kosten sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die Allgemeinheit tragen müssen.
Die Autorin Isabel Kuhlen ist Rechtsanwältin und Apothekerin in Vellmar.
BSG zu Potenzmitteln für Behinderte: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5721 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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