Geradezu fürsorglich komme der Regierungsentwurf zum Inkassorecht daher, meint Markus Hartung. Mit harten Konsequenzen für deutsche und englische Anwälte.
So unschuldig, geradezu fürsorglich präsentiert sich ein Gesetzgebungsvorschlag der Bundesregierung, der es in sich hat: "Wer eine Rechnung übersieht, kann schnell in ein Inkassoverfahren geraten. Die geforderten Gebühren stehen dabei oft in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand und zur Höhe der Forderung. Mit dem neuen Gesetz werden wir die Gebühren senken und damit dieser unfairen Praxis einen Riegel vorschieben."
Es geht um den "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften", der am Mittwoch vom Bundesjustizministerium veröffentlicht wurde. Die "Verbesserung des Verbraucherschutzes" soll insbesondere durch Reduzierung und Deckelung anwaltlicher Gebührenansprüche geschehen (die auch für Inkassounternehmen gelten). Das, was als "unfaire Praxis" bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Folge der gesetzlichen Gebührenregelungen aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
Weiterhin sollen Verbraucher besser über das informiert werden, was im Falle des Zahlungsverzuges alles geschehen kann. In diesem Zusammenhang wird auch die Aufsicht über Rechtsdienstleister neu geregelt - und vielleicht auch verbessert, so etwas weiß man ja erst, wenn sich das Gesetz in der Praxis bewähren muss.
Brexit-Rauswurf für englische Anwälte
Und schließlich, überraschend, schafft der Entwurf eine gesetzliche Grundlage, um englischen Rechtsanwälten nach dem Brexit die Grundlage für ein weiteres Tätigwerden zu entziehen. Dass der Rauswurf unter der Überschrift "Verbesserung des Verbraucherschutzes" geregelt wird, hat einen sehr eigenen Humor, aber man soll nicht kleinlich sein.
Dem Regierungsentwurf ging wie üblich ein Referentenentwurf voraus, der im September 2019 veröffentlicht wurde und heftige Kritik von vielen Seiten hervorrief. Dabei ging es weniger um das eigentliche Kernziel, nämlich Verbraucher vor schwarzen Schafen im Inkassobereich zu schützen. Allerdings enthielt der Referentenentwurf Regelungen, die man als Angriff auf Legal Tech-Inkasso-Unternehmen verstehen konnte – und welche die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) dazu veranlassten, in einer geradezu ikonischen Stellungnahme gleich das Verbot von Legal Tech-Unternehmen zu fordern.
An dieser Stelle ist nicht ausreichend Platz, um sich mit allen Aspekten des Entwurfs zu befassen, daher hier nur Anmerkungen zu zwei Themenbereichen – den Brexit sowie die Inkassoregelungen für Anwälte.
Anwälte und Inkasso
Anwälte und Inkassounternehmen befinden sich in einem seltsamen Spannungsverhältnis zu einander. Eigentlich Konkurrenten, denn Anwälte treiben auch Forderungen ihrer Mandanten ein, wenn auch meistens längst nicht so professionell wie Inkassounternehmen. Lange Jahre kamen sich beide nicht ins Gehege: Inkassounternehmen betrieben hauptsächlich Massen- oder Mengeninkasso, Anwälte konzentrierten sich auf Einzelbeitreibung. Ausnahmen gab es auf beiden Seiten – Inkassounternehmen betreiben inzwischen auch spezielle Forderungsbeitreibung und Asset Tracing, und Anwälte haben sich vereinzelt in den Bereich des Mengeninkassos gewagt.
Insgesamt aber herrschten geregelte Verhältnisse. Trotz gleicher Tätigkeit blieben Anwälte weitgehend von dem Ruf verschont, mit dem viele Inkassounternehmen leben müssen. Es ist ohnehin ein Phänomen, dass die Beitreibung offener Forderungen unter Generalverdacht steht, während diejenigen, die Rechnungen nicht bezahlen, sich geradezu fürsorglicher Zuwendung der Bundesregierung erfreuen können. Dass es ohne "säumige" Schuldner kein Inkasso gäbe, gerät oft in Vergessenheit. Nur so kann eine Anmoderation durch die Justizministerin zustande kommen, in der es um das versehentliche Übersehen einer Rechnung geht. Wäre das die Regel, gäbe es vermutlich kein Inkasso.
In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis zwischen Anwälten und Inkassounternehmen verändert – nicht durch die traditionellen Inkassounternehmen, sondern durch die Flightrights dieser Welt, also Legal Tech-Unternehmen, die als Inkassounternehmen Verbraucheransprüche gegen Unternehmen durchsetzen. Diese Unternehmen werden von der Anwaltschaft als unbotmäßige Konkurrenz empfunden (als Beleg reicht die Lektüre der BRAK-Stellungnahme), und es wird nicht ganz zu Unrecht beklagt, dass diese Legal Techs mehr dürfen als Anwälte, die wiederum durch ihr Berufsrecht an der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und der Finanzierung von Prozessen gehindert sind.
Der Regierungsentwurf verschärft diesen Konflikt – und zwar paradoxerweise dadurch, dass er Inkassounternehmen und Anwaltschaft gleichbehandelt. Das ist nicht neu, sondern seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken im Jahr 2013 so, nur: damals gab es den Konflikt noch nicht.
Dass Anwälte unter den Begriff der unseriösen Geschäftspraktiken subsumiert werden, wenn sie Forderungen beitreiben, ist schon schwer zu ertragen – wofür braucht man eigentlich noch das Berufsrecht? Der Entwurf bemüht sich nicht darum, zwischen Anwälten und Inkassounternehmen noch einen Unterschied zu finden. Mitgefangen, mitgehangen. Dass die einen Organe der Rechtspflege und durch ein enges Berufsrecht reguliert sind und die anderen Wirtschaftsunternehmen, die wie solche agieren, spielt keine Rolle, zumindest dann nicht, wenn es darum geht, Verbraucher, die ihre Rechnungen nicht bezahlen, vor den damit verbundenen Konsequenzen zu schützen.
Die Pflichten von Inkassounternehmern gegenüber Privatpersonen sind identisch sind mit den Pflichten von Anwälten, die Inkasso betreiben: Die Darlegungs- und Informationspflichten in § 11a Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), bzw. dem neuen § 13a RDG-E, sind wortgleich mit § 43d Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Die Gleichschaltung geht sogar so weit, dass Rechtsanwälte künftig im Forderungsschreiben darauf hinweisen müssen, wer die für sie zuständige Rechtsanwaltskammer ist und wie sie elektronisch erreicht werden kann – dass diese Angaben ohnehin zu den Pflichtangaben im Impressum jeder anwaltlichen Homepage gehört, sieht der Regierungsentwurf, nimmt es aber schulterzuckend zur Kenntnis: die "regionalen Zuschnitte und die elektronische Erreichbarkeit" der Kammern seien für Schuldner "teilweise nur schwer nachzuvollziehen". Besonders viel scheint die Bundesregierung nicht vom mentalen Zuschnitt der Bürger zu halten, denen offenbar alles mundgerecht dargeboten werden muss. Paternalismus ist nichts dagegen.
Tiefer Eingriff in das Mandantenverhältnis
Als wenn das noch nicht reichen würde: bei genauerer Betrachtung erweisen sich die Regelungen als inkohärent. Denn warum dürfen Rechtsanwälte, die Inkasso betreiben, sich nicht so organisieren wie ihre Konkurrenten, also wie die Inkassounternehmen? Der Regierungsentwurf schweigt dazu, obwohl das Thema bereits diskutiert wird: Zuletzt hatte sich die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV) in einer öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss der Auffassung angeschlossen, die berufsrechtlichen Beschränkungen der BRAO könnten für Anwälte, die Inkasso betreiben, wegen Verstoßes gegen das europarechtliche Kohärenzgebot nicht mehr angewendet werden. Der Regierungsentwurf liefert gleich noch die passenden Argumente dazu.
Der DAV hatte den Referentenentwurf noch aus einem anderen Grund kritisiert und verfassungsrechtliche Zweifel erhoben: Dass man einem Inkassounternehmen auferlegt, Schuldner über Details der Forderung zu informieren, mag ja noch angehen. Dass man hingegen Anwälte verpflichtet, den Gegnern ihrer Mandanten Informationen zu erteilen, ist ein tiefer Eingriff in das Mandatsverhältnis, der sich als nicht verhältnismäßig erweist: Denn Gläubigern sind solche Pflichten nicht auferlegt.
Betrachtet man die sehr umfangreichen Änderungen im RDG, dann wundert man sich schon, warum nicht versucht wurde, ein Hauptthema wenigstens mit in die Erörterung einzubeziehen: Die Balance zwischen den Befugnissen von Anwälten und von Rechtsdienstleistern. Da liegt viel im Argen. Der Entwurf enthält dazu nichts.
Bye bye baby... it's Brexit
Der Regierungsentwurf schafft mit einer kleinen Änderung in § 4 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland, kurz EuRAG, die Möglichkeit, bestimmten englischen Anwälten nach dem Brexit den rechtlichen Boden unter den Füßen zu entziehen. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass Anwälte aus den europäischen Mitgliedstaaten in Deutschland deutsches Recht praktizieren können, wobei sie allerdings die Berufsbezeichnung ihres Herkunftsstaates tragen müssen.
Wenn europäische Anwälte mindestens drei Jahre deutsches Recht praktizieren, können sie sogar als Rechtsanwälte zugelassen werden. Der Entwurf respektiert den Status der nach § 11 EuRAG zugelassenen Rechtsanwälte und erstreckt diesen Schutz auf diejenigen, die sich noch im Zulassungsverfahren befinden, wenn sie alle Voraussetzungen erfüllen, die Entscheidung aber noch aussteht. Dafür hatte sich der DAV schon vor über einem Jahr eingesetzt.
Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die hier "nur" nach § 2 EuRAG niedergelassen und Mitglied der örtlichen Rechtsanwaltskammer geworden waren , haben keinen sicheren Status mehr: Diese Registrierung, rechtlich ein begünstigender Verwaltungsakt, kann jetzt widerrufen werden. Die englischen Berufsbezeichnungen werden aus der EuRAG-Liste gestrichen, so dass der Status des europäischen Rechtsanwalts verlorengeht. Das mag schmerzhaft sein, aber Brexit ist Brexit, und nun wird er umgesetzt.
Markus Hartung, Rechtsanwalt und Mediator, Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School, Berlin. Der Autor war als Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des DAV an zwei Stellungnahmen beteiligt, die sich mit Regelungsgegenständen des jetzt besprochenen Regierungsentwurf beschäftigt haben.
Regierungsentwurf zu Inkasso, Brexit und Anwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41402 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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