Das Urteil des BGH zum Recht auf Vergessen war mit Spannung erwartet worden. Niko Härting ging von einer Vorlage an den EuGH aus. Er ist überrascht, dass der BGH dessen Google Spain-Urteil nicht einmal erwähnt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in der Entscheidung "Google Spain" (Urt. v. 13.05.2014, Az. C-131/12) Google in der Pflicht gesehen, Suchergebnisse zu löschen, wenn die Betroffenen geltend machen, durch diese Suchergebnisse in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt zu sein. Seit die Richter in Luxemburg dieses sog. Recht auf Vergessen (korrekt: Vergessenwerden) statuiert haben, gehen bei dem Internetunternehmen Zehntausende von Löschanträgen ein. Oft geht es um Hinweise auf eine extremistische Vergangenheit oder um den Vorwurf unlauterer Geschäftsmethoden. Die Betroffenen stören sich daran, dass entsprechende Berichte bei Google zu finden sind, wenn man ihren Namen in die Suchmaske eingibt.
Dem Selbstverständnis von Google entspricht es, nicht den bequemsten Weg zu wählen und jeden Streit durch bereitwilliges Löschen zu vermeiden. Google sieht sich als Anbieter freien Zugangs zu Informationen aller Art. Um diesen auch weiterhin zu ermöglichen, lehnt das Unternehmen eine Löschung vielfach ab. Google verteidigt auf diese Weise erfreulich standhaft die freie Kommunikation und Information in Netz.
In dem Fall, den der BGH am Dienstag entschieden hat, ging es um heftige Vorwürfe, die in einem Internetforum erhoben wurden. Dabei wurden hässliche Worte verwendet: "Arschkriecher", "Schwerstkriminelle", "kriminelle Schufte", "Terroristen", "Bande", "Stalker", "krimineller Stalkerhaushalt".
Ob diese Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt waren, konnte Google anhand der Informationen, die der Löschantrag enthielt, nicht beurteilen. Folglich verweigerte die Suchmaschine die Löschung. Der BGH hat dies jetzt gebilligt und die wichtige Rolle von Suchmaschinen bei der Internetnutzung bemerkenswert deutlich betont.
BGH: Suchmaschine muss sich nicht von Rechtmäßigkeit von Inhalten überzeugen
"Ohne die Hilfestellung einer solchen Suchmaschine wäre das Internet aufgrund der nicht mehr übersehbaren Flut von Daten für den Einzelnen nicht sinnvoll nutzbar", heißt es in der Pressemitteilung des VI. Zivilsenats zu seiner Entscheidung vom Dienstag (Urt. v. 27.02.2018, Az. VI ZR 489/16). Nach den Grundsätzen der Störerhaftung sei Google daher eine Löschung nur zumutbar, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und auf den ersten Blick erkennbar sei. Die Karlsruher Richter lehnen eine Haftung als Täter ab, die beanstandeten Inhalte habe Google weder selbst eingestellt noch sich zu Eigen gemacht.
Eine Haftung als mittelbarer Störer schließt der BGH aus, weil Google keine Prüfpflichten verletzt habe. Von einem Suchmaschinenbetreiber könne "vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass er sich vergewissert, ob die von den Suchprogrammen aufgefundenen Inhalte rechtmäßig ins Internet eingestellt worden sind, bevor er diese auffindbar macht", so der Senat.
Eine allgemeine Kontrollpflicht lehnt er ab: Sie wäre praktisch kaum zu bewerkstelligen und würde "die Existenz von Suchmaschinen als Geschäftsmodell, das von der Rechtsordnung gebilligt worden und gesellschaftlich erwünscht ist, ernstlich in Frage stellen". Man darf auf die Entscheidungsgründe gespannt sein. Und man darf sicher sein, dass auch die EuGH-Richter in Luxemburg das Urteil aufmerksam lesen werden. Vielleicht nehmen sie es zum Anlass, die Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit in ganz Europa noch einmal neu zu gewichten.
Der Autor Prof. Niko Härting ist Rechtsanwalt und Partner bei Härting Rechtsanwälte in Berlin. Er ist außerdem Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin). Seine Schwerpunkte liegen im Internet-, Datenschutz- und Fernabsatzrecht.
Niko Härting, BGH zum Recht auf Vergessen: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27237 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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