Das Bewertungsportal Yelp darf bestimmte Bewertungen in die Gesamtnote einfließen lassen und andere ignorieren. Der BGH urteilt über ein bestimmtes Modell und seine Darstellung, und wird doch recht grundsätzlich.
Ob Essen gehen, einer neuer Arzt oder das Sportstudio um die Ecke – nach einer aktuellen Studie des Branchenverbands Bitkom sind Online-Bewertungen für 56 Prozent der Online-Nutzer eine wichtige Entscheidungshilfe. Das führt zu Manipulationen, Eigenbewertungen und bezahlten Bewertungen, das Faken von Bewertungen ist längst ein Geschäftsmodell.
Mit der Vermeidung von Manipulation begründet auch die Bewertungsplattform Yelp ihr Vorgehen, das der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag gebilligt hat. Allerdings ging es vor dem BGH weniger um manipulierte Bewertungen als vielmehr um deren Qualität. So sieht das zumindest Yelp, das die Bewertungen seinerseits bewertet. Ein Algorithmus qualifiziert die abgegebenen Nutzerbewertungen – die Gesamtbewertung, die mit Sternen direkt neben dem Unternehmen angezeigt wird, wird dann nur aus einem Teil, nämlich den sog. „empfohlenen“ Bewertungen errechnet. Was eine gute („empfohlene“) und was eine schlechte („nicht empfohlene“) Bewertung ist, darüber entscheidet das Bewertungsportal. Die Kriterien, welche die Software zugrunde legt, sind nur in Teilen bekannt.
Eine Betreiberin mehrerer Fitnessstudios im Raum München fühlte sich zu schlecht bewertet, weil die Bewertungsplattform positive Beiträge zu ihren Studios nicht berücksichtigt. Weil Yelp auf dieses Modell aber auf seiner Seite hinweist, auch nicht empfohlene Beiträge einsehbar sind und den Nutzern erläutert wird, wie die Gesamtbewertung sich zusammensetzt, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) zugunsten des Internet-Unternehmens. Nach mehreren eher unternehmerfreundlichen Entscheidungen zum Ärztebewertungsportal Jameda kann man das als Erfolg für die Bewertungsportale sehen.
Yelp: maximaler Nutzen für User
Zu vergeben sind bei Yelp ein Stern ("Boah, das geht ja mal gar nicht!") bis fünf Sterne ("Wow! Besser geht's nicht!"), außerdem kann man einen Text schreiben. Im Durchschnitt würden ungefähr drei Viertel aller Beiträge als empfohlen eingestuft und in die Gesamtbewertung einfließen, erklärt Yelp.
Nicht so bei Klägerin Renate Holland: Eines ihrer Studios hatte im Februar 2014 auf Grundlage von nur zwei Bewertungen 2,5 Sternen. 74 überwiegend sehr positive Beiträge blieben unberücksichtigt. Normalerweise hätte sie 4 bis 4,5 Sterne in jedem Studio, sagte Holland. Allein ist sie mit ihrer Klage nicht, seit Yelp das Unternehmen Qype im Jahr 2013 übernahm, beschäftigten sich Gerichte bundesweit in über 70 Verfahren mit dem Modell.
Zu den Auswahlkriterien für empfohlene Beiträge gehören laut Yelp beispielsweise die Qualität, die Vertrauenswürdigkeit und die bisherige Aktivität des Nutzers. Über den Filter sollten Gefälligkeitsbewertungen und Fälschungen aussortiert werden. Es gehe um den "maximalen Nutzen" für die User, sagte Dr. Philipp Plog, Managing Partner bei Fieldfischer Rechtsanwälte, die Yelp in den Instanzen vertraten, gegenüber LTO. Das Unternehmen wolle bessere Bewertungen durch Gewichtung, im Online-Business nennt man das Relevanz. Dabei werden aber auch Beiträge nicht berücksichtigt, deren Verfasser Yelp nicht gut genug kennt und daher nicht empfiehlt.
Unternehmerin: Bewertungen komplett ausgeliefert
Für Hollands BGH-Anwalt Axel Rinkler aus der BGH-Kanzlei Engel Rinkler geht es um Transparenz. „Man ist diesen Bewertungen komplett ausgeliefert“, kritisiert er. Tatsächlich macht Yelp nur einige wenige Kriterien öffentlich.
Das gehe auch gar nicht anders, meint Yelp-Anwalt Stephan Zimprich von Fieldfisher. „Wenn ich weiß, wie gefiltert wird, kann ich dafür sorgen, dass auch manipulierte Beiträge so manipuliert sind, dass sie durch den Filter durchkommen.“ Yelp beruft sich darauf, dass der Algorithmus, der die Auswahl der Beiträge bestimme, als Geschäftsgeheimnis gegenüber Dritten geschützt sei und damit auch für die Bewerteten nicht überprüfbar.
Beiträge, die Yelp nicht empfiehlt, können aber ebenfalls gelesen werden. Während die durchschnittliche Bewertung aus den empfohlenen Beiträgen bei Aufruf des Unternehmens sofort angezeigt wird, muss der Nutzer dazu aber auf der Seite nach unten scrollen und dort einen Link anklicken, betitelt mit der Überschrift „x andere Beiträge, die momentan nicht empfohlen werden“.
Vor dem Oberlandesgericht (OLG) München hatte Klägerin Holland, in den Instanzen vertreten von Dr. Jens H. Steinberg von Greyhills Rechtsanwälte, noch Recht bekommen. Durch das Aussortieren vieler Bewertungen entstehe kein hilfreiches, sondern ein verzerrtes Gesamtbild, meinten die Richter, verurteilten Yelp zur Zahlung von Schadensersatz und untersagten dem Unternehmen, die Studios der Klägerin weiter nach dem bisherigen Verfahren zu bewerten.
BGH: Der verständige Nutzer versteht das schon
Der BGH dagegen lehnt sowohl Ansprüche aus Kreditgefährdung (§ 824 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) wie auch wegen Eingriffs in das Unternehmerpersönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Fitnessstudiobetreiberin (§ 823 Abs. 1 BGB) ab.
Die Bundesrichter sahen keine unwahren Tatsachenbehauptungen, die einen Anspruch nach § 824 BGB gegen das Unternehmen begründen würden (Urt. v. 14.01.2020, Az. VI ZR 495/18 u.a.). Yelp bringe, so die Bundesrichter, mit der Darstellung der Bewertungen keineswegs zum Ausdruck, dass der durch Sterne angezeigte Bewertungsdurchschnitt das Ergebnis der Auswertung aller abgegebenen Bewertungen darstelle. Auch nehme der Nutzer nicht an, dass die direkt neben dem Unternehmen angezeigte Anzahl sämtliche abgegebenen Bewertungen meinte.
Der BGH stellt auf einen unvoreingenommenen und verständigen Nutzer ab. Der entnehme der Bewertungsdarstellung auf der Seite zunächst, wie viele Beiträge die Grundlage für die Durchschnittsberechnung bildeten. Daraus wiederum schließe er dann, dass Grundlage dieser Berechnung ausschließlich der "empfohlene" Beitrag sei sowie, dass sich die Angabe der Anzahl nur darauf beziehe, so der BGH zur Begründung.
Gewerbetreibende müssen öffentliche Bewertungen grundsätzlich hinnehmen
Grundsätzlicher wird der Senat bei der Ablehnung eines Anspruchs der Fitnessstudiobetreiberin aus § 823 Abs. 1 BGB. Einen rechtswidrigen Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht und in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin sieht der BGH durch Modell und Darstellung von Yelp ebenfalls nicht. Die Interessen der Studiobetreiberin überwögen nicht die schutzwürdigen Belange der Internetplattform.
Yelp könne sich nämlich auf die Berufs- und Meinungsfreiheit berufen, von der nach Ansicht des BGH auch die Anzeige des Bewertungsdurchschnitts und die Einstufung von Nutzerbewertungen als "empfohlen" oder "nicht empfohlen" geschützt werde.
Dann folgte ein Satz, der dem Urteil im Fall Yelp doch mehr grundsätzlichen Charakter geben könnte, als so mancher Prozessbeobachter vorab vermutete: „Ein Gewerbetreibender muss Kritik an seinen Leistungen und die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grundsätzlich hinnehmen“, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters.
Doch ein Grundsatzurteil?
Das Urteil des BGH bezieht sich nur auf das Geschäftsmodell von Yelp und seine konkrete Darstellung. Der Geschäftsbereichsleiter Digital Law bei Ernst and Young Law, Stefan Krüger, der das Verfahren beobachtet hat, sieht daher die Position von Online-Bewertungsportalen durch das Urteil nicht generell gestärkt, weil es konkret um das Geschäftsmodell von Yelp gegangen sei.
Auch Unternehmen wie TripAdvisor, Amazon oder Google arbeiten aber mit Nutzerbewertungen und zumindest Amazon verweist bei seinen Sternchenbewertungen auf ein „Machine-Learning-Modell“ und berücksichtigt nicht alle Kundenrezensionen.
Aus Sicht von Yelp-Anwalt Plog ist es ein Grundsatzurteil, mit dem der BGH „einige grundsätzliche Leitplanken für die Bedeutung von Bewertungsportalen eingezogen und die Nutzerperspektive in den Fokus genommen“ habe. Er erkennt darin eine höchstrichterliche Abkehr von den Urteilen zur Ärztebewertungsplattform Jameda, die zuletzt zu Lasten der Plattform ausfielen, hin zur „frühen Spick-mich-Rechtsprechung“.
Das Lehrerbewertungsportal war vom BGH im Jahr 2009 für rechtmäßig erklärt worden, das Bundesverfassungsgericht hatte eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Plattform Jameda bewertet der Bundesgerichtshof zwar als grundsätzlich zulässig, zuletzt urteilten aber mehrere Gerichte, sie verlasse die Rolle des „neutralen Informationsmittlers“ und gewähre zahlenden Ärzten Vorteile.
Der Anwalt von Studiobetreiberin Holland, Jens Steinberg, zeigte sich enttäuscht. Der Einsatz eines „voll automatisiert arbeitenden Zensur-Algorithmus“ stehe im klaren Widerspruch zu dem Wesen eines Bewertungsportals. Auch er sieht in der Entscheidung aber offenbar grundsätzlichen Charakter: Internetnutzer können nun eher damit rechnen, dass Beiträge durch Yelp gefiltert werden. In welchem Umfange solches geschieht und auf der Grundlage welcher Filterkriterien im Einzelnen bleibt jedoch weiter dunkel“.
Bitkom-Geschäftsführer: Urteil stärkt Verbraucher und Plattformen
Auch für Dr. Frauke Schmid-Petersen ist mit der Entscheidung aus Karlsruhe das Aussortieren von Bewertungen zum Zwecke der Bildung einer Gesamtbewertung nun grundsätzlich möglich. Die Anwältin der Kölner Kanzlei Höcker, die Ärzte in Verfahren gegen Bewertungsportale, insbes. Jameda, vertritt, sieht das Urteil kritisch. Den Internetnutzern werde mit der Entscheidung recht viel abverlangt, so. Schließlich könne der Nutzer keineswegs auf den ersten Blick erkennen, dass eine gefilterte Auswahl vorliegt, sondern müsse sich erst mehrfach durchklicken. „Somit sind die Informationen zwar vorhanden, aber dürften doch von der Mehrzahl der Nutzer kaum wahrgenommen werden.“
Für Rechtsanwalt Florian Dietrich, Partner von CMS Hasche Sigle Deutschland, erweitert der BGH mit seinem „überraschend liberalen“ Urteil die Möglichkeiten für Betreiber von Bewertungssystemen. Die Karlsruher Richter ließen es zu, „bestimmte Bewertungen anhand von nicht näher definierten Kriterien auszusortieren.“
Auch für den Hauptgeschäftsführer des Bitkom, Dr. Bernhard Rohleder, ist damit klar, dass Plattformen „gefälschte, gekaufte und nicht vertrauenswürdige Bewertungen herausfiltern und dazu einen speziellen, selbst entwickelten Algorithmus einsetzen dürfen“. Aus seiner Sicht haben die Karlsruher Richter „damit gleichermaßen den Verbraucherschutz wie die Rechtssicherheit von Plattformbetreibern gestärkt“.
Mit Materialien von dpa
BGH billigt Yelp-Modell: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39673 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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