Wer in Deutschland ein Unternehmen erbt, zahlt häufig keine Steuern. Zahlreiche Privilegien im Erbschaftsteuerrecht führen dazu, dass die Steuerbefreiung von Firmenerben die Regel ist. Damit aber wird dem Allgemeinwohl mehr geschadet als genützt, meint der BFH. Warum die Münchener Richter dem Gesetzgeber zu Recht ein miserables Zeugnis ausstellen, weiß Alexander Knauss.
Die gestern veröffentlichte Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine kleine Sensation, auch wenn dies für viele nicht unerwartet kam. Denn es zeichnet sich ab, dass der Gesetzgeber nicht umhin kommt, die Erbschaft- und Schenkungsteuer – wieder einmal – grundlegend zu reformieren. Kaum vier Jahre nach Inkrafttreten der letzten Erbschaftsteuerreform hat der BFH mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig ist (Beschl. v. 27.09.2012, Az. II R 9/11).
Anlass für den Beschluss war ein auf den ersten Blick recht alltäglicher Fall. Der BFH nutzte die Gelegenheit zu einer grundlegenden Kritik am geltenden Erbschaftsteuerrecht. Die zahlreichen Verfassungsverstöße betreffen, so der BFH, nicht nur Einzelfragen, sondern "auf vielfältige Art und Weise den Kern des ErbStG". Schon vor Inkrafttreten der Erbschaftsteuerreform hatte das höchste Finanzgericht verfassungsrechtliche Zweifel daran geäußert, dass Erben von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften bevorzugt werden.
Da die Steuervergünstigungen seit der Gesetzesnovelle der großen Koalition im Jahr 2008 sogar weit über das frühere Recht hinausgehen und zu einer völligen Freistellung von der Steuer führen können, sehen die Münchener Richter Klärungsbedarf durch das BVerfG. Sie stören sich vor allem daran, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme ist.
Folgen einer verfehlten Gesetzestechnik
Gleichzeitig stellt der BFH dem Gesetzgeber ein ausgesprochen schlechtes Zeugnis aus. So heißt es in dem Beschluss, dass die beanstandeten Aspekte zu einer "durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung führen". Das ErbStG erlaube Gestaltungsmöglichkeiten, die weit über das verfassungsmäßig gebotene Maß hinausgehen. Bei diesen Gestaltungen, die der BFH in seiner Entscheidung ausführlich darstellt (gewissermaßen als "Leitfaden zum Steuersparen"), handele es sich aber nicht um missbräuchliche Gestaltungen. Im Gegenteil: Sie seien "die Folgen einer verfehlten Gesetzestechnik".
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Besteuerung eines Erbfalls im Jahre 2009. Der Kläger war zu 1/4 Miterbe seines Onkels. Auf Grundlage eines Steuersatzes von damals geltenden 30 Prozent für Erbschaften der Steuerklasse II, setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer fest. Der Kläger war der Meinung, aus Gründen der Gleichbehandlung sei auch in seinem Fall ein Steuersatz von 15 Prozent anzuwenden. Dieser gilt seit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz von 2009 für Erbschaften an nahe Verwandte, z.B. Geschwister oder Stiefeltern (Steuerklasse II), die nach dem 31.12.2009 angefallen sind. Sie werden dadurch besser gestellt als weiter entfernte Verwandte (Steuerklasse III), für die weiterhin ein Steuersatz von 30 Prozent gilt.
Einspruch und Klage des Mannes blieben allerdings erfolglos. Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Anwendung des Steuersatzes von 30 Prozent verstoße weder gegen das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, Personen der Steuerklasse II erbschaftsteuerrechtlich besser zu behandeln als Erben der Steuerklasse III. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei auch, dass die Gleichstellung der Steuerklassen II und III nur für Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 gelte, während für die Zeit davor und danach die Steuerklasse II erbschaftsteuerrechtlich besser behandelt würden. Der Gesetzgeber habe dadurch seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
Steuersparen dient nicht dem Allgemeinwohl
Dieser Auffassung schloss sich auch der BFH an. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II, besser zu stellen als solche der Steuerklasse III. Art. 6 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern, nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn, wie etwa Geschwister oder deren Abkömmlinge.
Der BFH hält das ErbStG aber aus anderen Gründen für verfassungswidrig. Die weitgehende bis vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran, sei nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigt und damit verfassungswidrig. Erben werden dann steuerlich privilegiert, wenn sie (bei Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern) keine Arbeitsplätze abbauen und das Unternehmen in wesentlichen Teilen fortführen.
Dabei habe der Gesetzgeber aber einfach unterstellt, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährdet, ohne auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers abzustellen. Dies geschehe selbst dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder ohne weiteres beschafft werden könnten.
Die Begründung des Gesetzgebers, Arbeitsplätze erhalten zu wollen, sei deshalb nicht tragfähig. Weit mehr als 90 Prozent aller Betriebe hätten nicht mehr als 20 Beschäftigte und fielen schon deshalb nicht unter die "Arbeitsplatzklausel". Die Pflicht zum Erhalt der Arbeitsplätz gilt für sie also schon nicht. Außerdem lasse das ErbStG Gestaltungen zu, die es auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten die Entwicklung der Lohnsummen und somit die Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht maßgeblich ist.
Steuersparen leicht gemacht
Schließlich kritisiert der BFH die Möglichkeit, nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfüllt, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Ein Erblasser oder Schenker kann so private Vermögenswerte zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen machen.
Auch im Modell der "Cash-GmbH" sieht der BFH keinen Verstoß gegen das geltende ErbStG. Um in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Vergünstigung zu kommen, darf das so genannte Verwaltungsvermögen eines Unternehmens maximal 50 Prozent des Betriebsvermögens ausmachen. Da Geldforderungen, wie etwa Bankguthaben, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten, nicht zum "Verwaltungsvermögen" zählen kann solches Vermögen in eine GmbH oder GmbH & Co. KG eingebracht werden, deren Vermögen ausschließlich aus solchem Geldforderungen besteht. Diese Gesellschaft kann dann auf den Erben übertragen werden kann, ohne dass Erbschaftsteuer anfällt.
Dieses Modell ist nach Ansicht des BFH nicht missbräuchlich, sondern bloße Folge einer verfehlten Gesetzestechnik. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Cash-GmbH nun im Jahressteuergesetz 2013 abschaffen will, ist für den BFH ein weiterer Beleg dafür, dass sie jedenfalls nach derzeitigem Recht zulässig ist. Denn sonst bräuchte man die geplante gesetzliche Neuregelung gar nicht.
Vergünstigungen nur noch im Einzelfall
Aufgrund der sehr detaillierten Ausführungen des BFH zum ErbStG spricht viel dafür, dass das BVerfG das geltende Erbschaftsteuerrecht abermals für verfassungswidrig erklärt. Was dann kommt, ist schwer vorherzusagen. Folgt das Bundesverfassungsgericht den Argumenten des BFH, lässt sich aus dem Beschluss schon jetzt prognostizieren, dass Vergünstigungen für Betriebserben weitgehend abgeschafft und die Steuersätze gleichzeitig abgesenkt werden müssen, damit das ErbStG im Einklang mit der Verfassung steht. Auch eine Einzelfallprüfung, ob die Erbschaftsteuerbelastung existenzgefährdend ist oder nicht, ist naheliegend. Nur wenn kein anderweitiges Vermögen vorhanden ist, wird es Vergünstigungen geben. Diese werden möglicherweise an längere Haltefristen gekoppelt.
Eines ist jedoch sicher: Die derzeit bestehenden Vergünstigungen wird es nicht mehr lange geben. Wer sie noch nutzen will, sollte seine Vermögens- oder Unternehmensnachfolge jetzt planen. Gerade bei größeren Unternehmen ist die Nachfolgeplanung ein nicht nur in rechtlicher und steuerlicher Hinsicht komplexer Vorgang, den man nicht erst "in letzter Minute" vor Inkrafttreten einer Neuregelung beginnen kann. Und ob eine Neuregelung den kritischen Blicken des BFH standhält, ist alles andere als sicher.
Der Autor Alexander Knauss ist Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner der Sozietät MEYER-KÖRING Rechtsanwälte Steuerberater.
Alexander Knauss, BFH hält Erbschaftsteuer für verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7294 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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