Im Eiltempo sollen LNG-Anlagen gebaut werden, weitere beschleunigte Verfahren werden folgen. Martin Burgi macht Vorschläge, appelliert aber gleichzeitig an den Staat: Rechtliche Maßnahmen allein reichen nicht aus.
Weltweit wird das Gas knapper – und bedingt durch den Ukraine-Krieg muss Deutschland unabhängig vom russischen Erdgas werden. Im Mai hat der Bundestag das "Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases", das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG), beschlossen. Demnach sollen statt den angekündigten zwei bis zu elf Terminals für Flüssiggas (LNG) im Eiltempo gebaut werden. Abgesehen von der LNGG-spezifischen Umweltverträglichkeitsprüfung finden sich hier ebenso wie in dem Anfang Juli verabschiedeten Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz verallgemeinerungsfähige Ansätze, v.a. die Anerkennung eines "überragenden öffentlichen Interesses" sowie Fristverkürzungen.
Derartige beschleunigte Verwaltungsverfahren sind eine berechtigte Forderung der Wirtschaft. Sie leisten aber auch einen wichtigen Beitrag zur Festigung des Vertrauens in die Handlungsfähigkeit des Staates.
Mit der Verabschiedung der beiden Gesetze hat die Ampelkoalition einen Anfang gemacht, weitere Schritte sind eingeleitet bzw. angekündigt. Das ist bemerkenswert, denn bislang war die Haltung von mindestens einer der drei Koalitionsparteien gegenüber Großvorhaben mehr durch Skepsis als durch Tatkraft geprägt.
Abgestuftes Vorgehen bei beschleunigten Verfahren
Im Hinblick auf weitere Beschleunigungsmaßnahmen empfiehlt sich ein zweigleisiges Vorgehen. Auf das erste, schnellere Gleis gehören sofort einsetzbare Instrumente. Auf ein paralleles Gleis sind diejenigen Maßnahmen zu setzen, die der Bund nicht aus eigener Kraft realisieren kann, aber immerhin mit der Europäischen Union (EU) oder den Ländern. Ersteres gilt für die materielle Präklusion, letzteres für Änderungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen.
Selbst auf dem zweiten Gleis nachrangig (oder gar nicht) verfolgt werden sollten Maßnahmen, die die Gefahr von Akzeptanzverlusten mit sich bringen und deren Beschleunigungseffekt zudem ungewiss erscheint.
Dies gilt für einen etwaigen Ausbau der bereits zahlreichen Heilungs- oder Unbeachtlichkeitsvorschriften. Auch das gerade erst erblühte Pflänzchen der möglichst frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung sollte nicht zurückgeschnitten, sondern mit einer sanktionierten Pflicht zur Mitwirkung kombiniert werden.
Genehmigungs- und Vergabeverfahren beschleunigen
Lange Zeit sind die Beschleunigungsdebatten für die Stadien Planung und Genehmigung einerseits, Beschaffung und Vergabe andererseits getrennt verlaufen. Klugerweise sollte ein Sofortprogramm beide umfassen. Denn Vergabeverfahren können erst in Gang kommen, wenn die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen für das betroffene Vorhaben erfüllt sind. Umgekehrt verpuffen Beschleunigungseffekte im Genehmigungsstadium, wenn das Vergabestadium nicht ebenfalls beschleunigt wird.
Sofort realisierbar wäre hier etwa die Suspendierung des Gebots zur Aufteilung eines Auftrags in mehrere Lose. Dies würde den Auftraggebern ggf. auch die Vergabe der Planungsleistungen zusammen mit der Bauausführung an einen Bieter ermöglichen. Auch der Instanzenzug könnte verkürzt werden, indem man die Nachprüfungsverfahren bei den Vergabesenaten der Oberverwaltungsgerichte (OVG) konzentriert. Bislang sind sie für die sofortige Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung der Vergabekammer, einer unabhängigen Stelle innerhalb der Verwaltung, zuständig. Allein dies dürfte – im Einklang mit Europa- und Verfassungsrecht – jeweils mehrere Monate Zeitersparnis bringen.
Gefordert sind aber auch die Unternehmen. Diese müssen sich darauf einstellen, dass Angaben zu Liefer- bzw. Ausführungsfristen bewertet und zum Zuschlagskriterium werden. Wer dann nach Auftragserteilung nicht "liefert", wird stärker bestraft, im umgekehrten Fall aber auch belohnt werden können (sog. Performance-based contracting).
Anwendungsbereich eines Sofortprogramms
Mit Blick auf das Genehmigungsstadium wären neben dem bereits erfassten (kleinen) Kreis der LNG-Anlagen und den momentan deutlich im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Erneuerbare-Energien-Anlagen vor allem Bahntrassen und Brücken umfasst.
Auch die klimabezogene Transformation von Industrieanlagen sollte in den Anwendungsbereich eines Sofortprogramms einbezogen werden. Hier könnten umgehend eine weitgehende Digitalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung, die Verkürzung von Fristen und eine Fiktionswirkung in Bezug auf die Zustimmung von Fachbehörden angeordnet werden.
Die Methode Gigafactory Grünheide
Schon seit langem können – zumeist industrielle – Vorhaben vermittels der "Zulassung vorzeitigen Beginns" schneller begonnen worden. Diese Handlungsoption hat über die engere Fachwelt hinaus durch die "Tesla Gigafactory" in Brandenburg Aufmerksamkeit erregt. Diese ist auf der Grundlage von 19 solcher Zulassungsentscheidungen in Rekordzeit vollständig errichtet worden, mit gerichtlichem Segen durch mehrere Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg.
Dieses Instrument steht auch öffentlichen Vorhabenträgern, u.a. bei Bahntrassen, Straßen- und Energienetzen, zur Verfügung. Erste Erfahrungen aus der Praxis (im Projekt Stuttgart 21) belegen den Beschleunigungseffekt.
Dabei handelt es sich um eine Interimsentscheidung. Werden die daraufhin begonnenen Baumaßnahmen später für unzulässig erklärt, ordnet die Genehmigungsbehörde gegenüber dem Vorhabenträger die Wiederherstellung des vorherigen Zustands an. Ist dies nicht möglich oder mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden, muss der Vorhabenträger die Betroffenen entschädigen. Vermutlich deshalb machen öffentliche Vorhabenträger bislang nur zögerlich von diesem Instrument Gebrauch.
Öffentliche Vorhabenträger sollten finanzielle Verantwortung übernehmen
Kann es in einer Zeit, in der insbesondere der Staat die Rahmenbedingungen für die Klima-Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft setzen muss, richtig sein, dass dieser weniger mutig ist als private Vorhabenträger? Wäre es nicht ehrlicher, für das etwaige Scheitern eines Vorhabens, das politisch befürwortet und im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns vor Antragstellung bereits verwaltungsintern umfassend geprüft worden ist, notfalls auch die finanzielle Verantwortung zu übernehmen?
In alle bestehenden Vorschriften des Planfeststellungs- und des Genehmigungsrechts sollte innerhalb des Sofortprogramms daher eine Verpflichtung der öffentlichen Vorhabenträger, die Zulassung vorzeitigen Beginns zu beantragen, statuiert werden.
Verändertes verfassungsrechtliches Koordinatensystem
Bei der Durchsetzung eines Sofortprogramms "Beschleunigung" werden die verantwortlichen politischen Akteure von einem veränderten verfassungsrechtlichen Koordinatensystem profitieren können, auch im Angesicht zu erwartender Verbandsklagen. Denn die infrage stehenden Infrastrukturvorhaben in den Sektoren Energie, Verkehr und Transformation sind jeweils konkrete Maßnahmen zur Erreichung der das Klimaschutzgebot nach Art. 20a Grundgesetz (GG) konkretisierenden Ziele.
Nach dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts verringert jeder Verbrauch verbleibender CO2-Mengen für die Zukunft das Restbudget und die Möglichkeiten weiteren CO2-relevanten Freiheitsgebrauchs – und besteht ein Druck, "die CO2 -relevanten Strukturen schon bald erheblich umzugestalten“ (Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20). Dies wirkt sich zugunsten der Beschleunigungspolitik aus, die erstmals auf eine verfassungsrechtlich abgesicherte Grundlage zurückgreifen kann. Entsprechendes dürfte mit Blick auf das "Sondervermögen zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" nach Art. 87a Abs. 1a GG n.F. für die Verteidigungsinfrastruktur gelten.
Dieser Rückenwind hilft hoffentlich auch gegenüber dem Finanzminister – und dessen Teil des politischen Spektrums: Denn Beschleunigung erfordert nicht nur rechtliche Maßnahmen, sondern auch leistungsfähiges Personal in den Genehmigungs- und Vergabeverfahren, auch oder sogar erst recht in einer inflationsbedingt schwierigeren Haushaltslage.
Prof. Dr. Martin Burgi ist Ordinarius für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht sowie Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht an der LMU München.
Beschleunigung bei Genehmigung und Vergabe: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49104 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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