Zukünftig können auch marode Banken Finanzhilfen aus dem Rettungsschirm erhalten. Doch vor der Abstimmung im Bundestag hatte Juraprofessor Murswiek den Entwurf für verfassungs- und völkerrechtswidrig erklärt. Joachim Wieland stimmt dem nicht zu und erläutert, warum die direkte Rekapitalisierung von Banken sehr wohl mit dem ESM-Vertrag und dem Grundgesetz vereinbar ist.
Um den Zusammenbruch von Banken im Euroraum zukünftig zu verhindern, stehen nun 60 Milliarden Euro aus dem 500 Milliarden Euro umfassenden Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Verfügung. Der Bundestag hat dem Gesetz am vergangenen Donnerstag zugestimmt.
Die Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten hatten im Sommer 2012 auf ihrem Brüsseler Gipfel beschlossen, dass der Rettungsschirm nach Errichtung der einheitlichen Bankenaufsicht im Euroraum die Möglichkeit erhalten soll, Banken bei Bedarf direkt zu rekapitalisieren. Die direkte Zuführung von Kapital aus dem ESM an eine Bank soll verhindern, dass ein Mitgliedstaat sich bei einer Bankenrettung so hoch verschulden muss, dass im Ergebnis nicht mehr die Bank, sondern dann der Staat seine eigene finanzielle Stabilität und damit auch die des Euroraums insgesamt gefährdet.
Damit eine direkte Bankenrekapitalisierung möglich ist, mussten Bundestag und Bundesrat einer Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes zustimmen, die den entsprechenden Beschluss des Gouverneursrats des ESM in nationales Recht umsetzen soll.
Direkt Banken zu unterstützen, entlastet die Mitgliedstaaten
Zuvor war bekannt geworden, dass der Freiburger Juraprofessor Dietrich Murswiek, der in der Bankenkrise schon mehrfach Kläger in Prozessen gegen den ESM vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hat, den geplanten Beschluss in einem Gutachten als verfassungs- und völkerrechtswidrig ansieht. Der Bundestag solle der Einrichtung des Instruments wegen Unvereinbarkeit mit dem ESM-Vertrag seine Zustimmung versagen, zitiert das Handelsblatt den dort vorliegenden Text. Hat der Bundestag nun also ein rechtswidriges Gesetz beschlossen?
Im Rechtsgutachten für die Stiftung Familienunternehmen hielt der Freiburger Professor die Bankenrekapitalisierung schon als solche für einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Vertrag über den ESM, da dieser nur Finanzhilfen an Staaten erlaube. Konkret äußert Murswiek Bedenken dagegen, dass bei einer direkten Bankenrekapitalisierung Banken und nicht die jeweiligen Mitgliedstaaten Finanzhilfen erhielten, obwohl der ESM-Vertrag nur die Gewährung von Stabilitätshilfe an einen Mitgliedstaat erlaube. Dieser Verstoß führe zur Völkerrechtswidrigkeit des gesamten Konzeptes der Bankenrettung.
Diesem Argument kann entgegengehalten werden, dass die direkte Zufuhr von Kapital des ESM an eine Bank den betreffenden Mitgliedstaat unmittelbar finanziell entlastet. Sie stellt damit materiell eine Stabilitätshilfe für den Mitgliedstaat dar, der keine Kredite aufnehmen muss und deshalb seine Finanzstabilität nicht gefährdet. Die direkte Bankenrekapitalisierung ist folglich eine indirekte Finanzshilfe für ein ESM-Mitglied und hält sich damit im Rahmen von Wortlaut und Sinn und Zweck des ESM-Vertrags.
Strenge Auflagen bleiben gewahrt
Art. 12 Abs. 1 des ESM-Vertrags sieht vor, dass der Rettungsschirm einem ESM-Mitglied unter strengen Auflagen, also quasi als Ultima ratio, Finanzhilfen gewähren kann. Erforderlich ist, dass die Rettung zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar sein muss.
Von dem Erfordernis dieser einschränkenden Bedingungen weicht der Beschluss des Gouverneursrats auch nicht ab. Murswiek befürchtet dennoch, dass diese in der Praxis abgeschwächt werden könnten. Bei der Bankenrekapitalisierung könne es ausreichen, wenn der Staat gefährdet ist, in dem das Institut sitzt. Es sei aber ein wesentlicher Unterschied, ob das Euro-Währungsgebiet im Ganzen oder nur einzelne seiner Mitgliedstaaten in ihrer Finanzstabilität gefährdet sind, heißt es weiter. Murswiek kommt daher zu dem Schluss, die Bestimmung sei mit dem ESM-Vertrag unvereinbar.
Er interpretiert diese Konsequenzen allerdings wohl nur in den Entwurf einer "Leitlinie Direkte Bankenrekapitalisierung" hinein. Diese Leitlinie ist jedoch weder Teil des Beschlusses des Gouverneursrats noch des deutschen Zustimmungsgesetzes, kann also auch nicht zu dessen Rechtswidrigkeit führen. Selbstverständlich darf die direkte Bankenrekapitalisierung nur unter den vertraglich vorgeschriebenen strengen Auflagen erfolgen.
Abgeordnete sollen nicht mit "verbundenen Augen" entscheiden
Für Streit sorgte unter anderem die Frage, wie der Bundestag beim potenziellen Einsatz des Rettungsinstruments beteiligt werden soll. In einem ersten Entwurf des ESM-Finanzierungsgesetzes hatte das Finanzministerium vorgesehen, dass lediglich ein kleines, geheim tagendes und zur Geheimhaltung verpflichtetes Sondergremium vertrauliche Informationen über die zu rettenden Banken sowie die Details zu den konkreten Hilfsmaßnahmen einsehen können soll.
Murswiek vertrat in seinem Gutachten zum vorherigen Entwurf des Gesetzes die Auffassung, die beschränkte Informationsmöglichkeit nur einiger weniger statt aller Abgeordneten sei eine unverhältnismäßige Beschränkung der Abgeordnetenrechte. Zudem verstoße ein solches Sondergremium gegen die verfassungsrechtliche gewährleistete Budgethoheit des Bundestags. Insbesondere, da am Ende doch der gesamte Bundestag zu jeder konkreten Rettungsmaßnahme abstimmen müsste, würden die 631 Parlamentarier angehalten, über die Bewilligung hoher Milliardenbeträge mit "verbundenen Augen" zu entscheiden.
Alle Parlamentarier werden nun informiert
Der Bundestag hat aber einen Tag vor der Abstimmung über das Gesetz den Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes auf Vorschlag des Haushaltsausschusses – offenbar in Reaktion auf das Rechtsgutachten – abgeändert. Nun erhalten alle Mitglieder des Bundestages sämtliche Informationen über die konkrete Bankenrekapitalisierung.
Es spricht jedoch manches dafür, dass auch die ursprüngliche Gesetzesfassung verfassungsgemäß gewesen wäre.
Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Bundestag 2012 in einer ebenfalls die Eurokrise betreffenden Entscheidung (Urt. v. 19.06.2012, Az. 2 BvE 4/11) einen weiten Gestaltungsspielraum bei seiner Selbstorganisation eingeräumt. Zudem können umfassende Informationen der Öffentlichkeit über die Finanzsituation einer Bank kontraproduktiv zur Krisenbewältigung sein.
Andererseits ist das Informationsrecht jedes einzelnen Abgeordneten in Haushaltsfragen auch verfassungsrechtlich von hoher Bedeutung. Deshalb war es jedenfalls politisch klug, die Informationsrechte aller Parlamentarier bei der direkten Bankenrekapitalisierung nicht zu beschränken.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, Rekapitalisierung unter dem Rettungsschirm: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13809 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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