Kein Lohn ohne Arbeit, lautet eine Grundregel im Arbeitsrecht. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber zwar das Betriebsrisiko. Landesweite, pandemiebedingte Schließungen stellen aber keinen solchen Fall dar, so das BAG. Von Michael Fuhlrott.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am Mittwoch entschieden, dass eine Minijobberin keinen Lohnanspruch hat, wenn sie aufgrund der pandemiebedingten behördlichen Schließungsanordnung nicht arbeiten kann (Urt. v. 13.10.2021, Az. 5 AZR 211/21).Viele Unternehmen mussten in der erste Corona-Welle im Frühjahr 2020 infolge behördlicher Vorgaben schließen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Dieses Schicksal ereilte auch die Filiale eines Nähmaschinenhandels im niedersächsischen Verden, die für den Kundenverkehr nicht mehr öffnen durfte. Der Betrieb führte für einige Beschäftigte daraufhin Kurzarbeit ein und schickte diese nach Hause.
Bei anderen – wie einer später klagenden Arbeitnehmerin – war dies nicht möglich. Als geringfügig Beschäftigte eines Minijobs ohne Sozialversicherungspflicht unterfiel sie nicht den persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeit, §§ 95 Nr. 3, 98 Abs. 1 SGB III iVm. § 8 Abs. 1 SGB IV. Der Arbeitgeber stellte daher die Lohnzahlungen für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein und berief sich auf die besondere Situation einer globalen Pandemie. Ihm als Arbeitgeber in einem solchen Fall das Betriebsrisiko und damit das Lohnrisiko im Falle fehlender Beschäftigungsmöglichkeit aufzubürden, sei unangemessen. Außerdem werde die Arbeitnehmerin gegenüber anderen Beschäftigten, die in Kurzarbeit wären und nur Kurzarbeitergeld bekämen, finanziell bessergestellt.
Die Arbeitnehmerin sah dies anders und bestand auf Zahlung ihres Gehalts von 432,00 Euro netto, das sie im April 2020 bei regulärer Tätigkeit erhalten hätte. Schließlich sei sie arbeitsfähig und -willig gewesen.
Betriebsrisiko ist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers
Dieser Fall, über den das BAG am Mittwoch zu entscheiden hatte, ist auf den ersten Blick ein mustergültiger Lehrbuchfall zu Leistungsstörungen aus dem allgemeinen und besonderen Schuldrecht. Im Idealfall gilt: Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Vertragsparteien des synallagmatischen Arbeitsvertrags tauschen ihre wechselseitigen Hauptleistungen aus. Der Arbeitnehmer schuldet sein Tätigwerden, § 611a Abs. 1 BGB. Als Folge ist gemäß § 611a Abs. 2 BGB der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Kann die Arbeitsleistung nicht erbracht werden, etwa im Falle rechtlicher Unmöglichkeit infolge einer Betriebsschließung, entfällt infolge des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung die Pflicht zum Tätigwerden für den Arbeitnehmer, § 275 Abs. 1 BGB. Trifft den Arbeitgeber kein Verschulden hieran, entfiele ohne Sonderregelungen im Dienstvertragsrecht der Vergütungsanspruch, § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. In diesen Konstellationen kann § 615 S. 1, S. 3 BGB greifen. Demnach kann der Arbeitnehmer trotz Nicht-Arbeit seine Vergütung verlangen, wenn der Arbeitsausfall infolge der Betriebsrisikolehre dem Arbeitgeber wertend zuzurechnen ist. Denn: Wer einen Betrieb unterhält und dessen Früchte erntet, der hat auch für Risiken im Betrieb einzustehen.
Ausnahme: Keine Lohnzahlung bei Existenzgefährdung
Von dieser Regel machte die Rechtsprechung in der Vergangenheit eine Ausnahme und stellte heraus, wann dieser Grundsatz durchbrochen werden kann. In Fällen nämlich, in denen "bei Zahlung des vollen Lohnes an den Kläger die Existenz des Betriebes gefährdet würde", seien Begrenzungen durchaus denkbar (BAG, Urt. v. 28.9.1972, Az.: 2 AZR 506/71). Treffe "das die Betriebsstörung herbeiführende Ereignis den Betrieb wirtschaftlich so schwer (…), dass bei Zahlung der vollen Löhne die Existenz des Betriebes gefährdet würde", könnten Einschränkungen angebracht sein (BAG, Urt. v. 23.6.1994, Az.: 6 AZR 872/93).
Die höchsten deutschen Arbeitsrichterinnen und -richter beließen es in der Vergangenheit stets bei diesen allgemeinen Ausführungen, denn die bislang zu beurteilenden Fälle boten keinen Anlass für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob und ggf. wann eine derartige wirtschaftliche Existenzbedrohung vorliegen könnte.
In der Pandemiesituation käme als weiteres Argument hinzu, dass nicht die besondere Eigenart des Betriebs und damit das spezifische Wirtschaftsrisiko des Unternehmens zur Lohnfortzahlung führt. Vielmehr erweist sich die Schließungsanordnung als Folge einer allgemein-behördlichen Anweisung zur Schließung nicht lebensnotwendiger Bereiche des Wirtschaftslebens mit dem Ziel der allgemeinen Infektionsschutzbekämpfung.
Unternehmen hatte in den Instanzen keinen Erfolg
Mit diesen Argumenten hatte der Arbeitgeber in den Instanzen aber keinen Erfolg. Sowohl das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht (ArbG Verden, Urt. v. 29.09.2020, Az.: 1 Ca 391/20), als auch das Landesarbeitsgericht (LAG Niedersachsen, Urt. v. 23.03.2021, Az.: 11 Sa 1062/20) sprachen der Arbeitnehmerin den Lohn zu. Die Konstellation wie die vorliegende, wonach großflächige behördliche landes- und bundesweite Schließungen über einen längeren Zeitraum zu Einschränkungen führten, sei zwar bislang in der Rechtsprechung noch nicht entschieden.
Ungeachtet dessen ändere sich hierdurch nichts an der arbeitsvertraglichen Risikozuweisung. Es sei weiterhin der Arbeitgeber, der das wirtschaftliche Risiko des Einsatzes seiner Arbeitnehmer zu tragen habe. Auf ein Vertretenmüssen des Arbeitgebers komme es nicht an. Auch der Vergleich zu anderen Beschäftigten, die Kurzarbeit beanspruchen könnten und hinsichtlich derer das Unternehmen von den Lohnkosten entlastet werde, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Denn wer als Arbeitgeber durch den Einsatz geringfügiger nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter profitiere, müsse als Kehrseite deren Beschäftigungs- und Vergütungsrisiko tragen.
Zudem habe die Schließungsanordnung nur dazu geführt, dass Publikumsverkehr verboten gewesen sei. Es sei dem Unternehmen unbenommen gewesen, seine Beschäftigten vor Ort mit anderen zumutbaren Arbeiten zu beschäftigen.
In diese Richtung urteilten auch andere Gerichte. Bereits im Frühjahr 2021 hatte das LAG Düsseldorf (Urt. v. 30.03.2021, Az.: 8 Sa 674/20) einer klagenden Spielstättenmitarbeiterin Recht gegeben. Auch diese hatte Lohnansprüche unter Berufung auf die Grundsätze des Betriebsrisikos geltend gemacht, die ihr Arbeitgeber wegen behördlich verordneter Schließung und fehlender Beschäftigungsmöglichkeit nicht zahlen wollte.
BAG: Kein Lohnanspruch bei Corona-Lockdown
Die Entscheidung des BAG kam nun daher wie ein Paukenschlag. Anders als die Vorinstanzen gaben die Erfurter Bundesrichterinnen und -richter dem Arbeitgeber Recht. Der Arbeitgeber trage nicht das Risiko eines Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen durch behördliche Anordnungen nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen würden.
Denn in einem solchen Fall realisiere sich nicht das in einem bestimmten Betrieb angelegte Betriebsrisiko. Vielmehr sei die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Dafür sei aber nicht der Arbeitgeber einstands- und zahlungspflichtig.
Vielmehr sei es Sache des Staates, für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld habe der Staat bereits gezeigt, dass er geeignete Instrumente dazu schaffen könne. Die klagende Arbeitnehmerin erhält ihr Gehalt jedenfalls nicht vom Arbeitgeber gezahlt.
Geltendes Recht: Wohl keine staatliche Entschädigung
Auch auf staatliche Ausgleichsansprüche wird sich die klagende Arbeitnehmerin nicht berufen können. Zwar sieht das Infektionsschutzgesetz (IFSG) zahlreiche im Rahmen der Pandemie geschaffene Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche vor. Diese setzen aber voraus, dass der Arbeitnehmer aufgrund Erkrankung bzw. Erkrankungsverdachts in Quarantäne geschickt wird bzw. aufgrund einer Schulschließung seine Kinder betreuen und daher nicht zur Arbeit gehen kann (§§ 30, 56 IFSG).
Ausgleichsansprüche des Einzelnen für die behördlich angeordnete Schließung ganzer Betriebsstätten ohne Ansteckungsgefahr der dort Beschäftigten sieht das Gesetz bislang nicht vor. Auf sonstige zivilrechtliche Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber werden sich Beschäftigte auch nicht berufen können.
Arbeitslosengeld – auch in Form der Gleichwohlgewährung – dürfte ebenfalls nicht in Betracht kommen, da der Arbeitgeber keinen Lohn schuldet und der Arbeitnehmer überdies nicht beschäftigungslos ist. Ob sich der einzelne Arbeitnehmer aufgrund der behördlichen Schließung und damit infolge eines behördlichen Eingriffs als mittelbar Betroffener erfolgreich gegen den Staat wenden kann, ist rechtlich ebenfalls mehr als fraglich, faktisch zudem schwer verfolgbar.
Bildlich gesprochen liegt der Ball damit im Spielfeld des Gesetzgebers, der – so das BAG wörtlich – "gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile" zu sorgen hat.
Offen bleibt, ob für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte etwas anderes zu gelten hat. Für diese könnte der Arbeitgeber Kurzarbeit beantragen und so Lohneinbußen verhindern. Es ist denkbar, dass Gerichte Arbeitgeber dazu auch aufgrund der arbeitgeberseitigen Rücksichtnahmepflicht als verpflichtet ansehen.
Billige Lastentragung oder ungerechte Belastung?
Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht. Dazu gehörte bislang auch, dass der Arbeitgeber gem. § 615 S. 3 BGB nahezu ausnahmslos das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko trägt. Für die besondere Konstellation des "Corona-Geschehens" hat das BAG nun eine wichtige Klarstellung gemacht. Zwar ist die grundsätzliche Risikozuweisung des Wirtschaftsrisikos an den Arbeitgeber bereits im Gesetz angelegt. Allerdings folgt diese dem Gedanken, dass der Arbeitgeber für ein besonderes Gefahrenpotential und die Beherrschbarkeit über seinen Betrieb einstehen muss.
Abweichungen von dieser Grundregel bedürfen folglich gewichtigen Argumenten. Landesweite Betriebsschließungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes treffen die Gesellschaft, Arbeitgeber und Beschäftigte gleichermaßen. Nach dem BAG ist dieses Risiko im Vertragsverhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls nicht dem Arbeitgeber aufzubürden, sondern der Gesellschaft als Ganzes zuzuweisen. Nach den Grundsätzen des Vertragsrechts mit wechselseitigen Risikosphären überzeugt dies, auch wenn das Ergebnis in dem im besonderen Maße von Arbeitnehmerschutz geprägten Arbeitsrecht auf den ersten Blick verwundern mag.
BAG zum Betriebsrisiko bei behördlicher Schließung: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46345 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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