Wenn eine Pensionskasse die Leistung kürzt, muss der Arbeitgeber die Lücke schließen. Doch was, wenn dem ebenfalls das Geld ausgeht? Tobias Neufeld zu einem aktuellen Urteil des BAG und einem besonders schnellen Gesetzgeber.
Ein klagender Rentner zog vor Gericht, weil sein ehemaliger Arbeitgeber die Löcher in seinen Ruhestandsbezügen nicht mehr stopfen konnte. Während er vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln noch Recht bekam, hat er am Dienstag vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verloren (Urt. v. 21.07.2020, Az. 3 AZR 142/18).
Grundsätzlich gilt: Kürzt eine Pensionskasse ihre Leistungen, hat der Arbeitgeber den Fehlbetrag auszugleichen. Was aber passiert, wenn der Arbeitgeber insolvent wird? Der Pensionssicherungsverein a.G. (PSV), der üblicherweise die Versorgung aller Rentner und Anwärter bei einer Unternehmensinsolvenz übernimmt, ist in diesen Fällen nicht zum Ausgleich des Fehlbetrags verpflichtet. So war zumindest das Verständnis bis zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Dezember 2019 (Az. C-168/18). Dort entschied der EuGH, dass ein Arbeitnehmer in bestimmten Fällen auch bei Pensionskassenzusagen einen Anspruch gegen den PSV haben könnte.
Als absehbar war, dass der EuGH über diese Konstellation entscheiden würde, wurde vergangenes Jahr auch das Bundesarbeitsministerium (BMAS) tätig und veröffentlichte im November 2019 den ersten Referentenentwurf eines Anpassungsgesetzes, das Zusagen über regulierte Pensionskassen in die Insolvenzsicherung durch den PSV einbezieht. Erstaunlicherweise hat der Gesetzgeber in diesem Fall die Rechtsprechung überholt und es dem Bundesarbeitsgericht (BAG) einfach gemacht.
Pensionskasse kürzt, Arbeitgeber pleite: Und jetzt?
Der Entscheidung des BAG vom Dienstag liegt die Klage eines Rentners gegen den PSV zugrunde. Der ehemalige Arbeitnehmer bezog eine Rente über die Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft (PKDW). Wegen nachhaltiger Schwierigkeiten, die zugesagte Verzinsung angesichts der seit Jahren niedrigen Zinsen zu erwirtschaften, kürzte die PKDW satzungsgemäß die Rente des Arbeitnehmers. Diesen Kürzungsbetrag glich der ehemalige Arbeitgeber im Rahmen seiner Ausfallhaftung gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) knapp zehn Jahre lang aus.
Nun kam es wie es kommen musste und der frühere Arbeitgeber fiel in die Insolvenz und konnte die Rente nicht mehr auf die zugesagte Höhe aufstocken. Nach dem zum damaligen Zeitpunkt geltenden BetrAVG springt dann niemand mehr ein, auch nicht der PSV. Das BAG legte dem EuGH daher schon im Jahr 2018 die Frage vor, ob Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (RL 2008/94/EG) doch zu einer Einstandspflicht des PSV bei einer Arbeitgeberinsolvenz führt.
Dass der Fall überhaupt vor dem BAG landete, war unter anderem der Vorinstanz, dem LAG Köln, geschuldet. Dieses hatte in einer vieldiskutierten Entscheidung geurteilt, dass sich aus dem BetrAVG eine Einstandspflicht des PSV ergebe.
LAG Köln: Einstandspflicht schon aus der alten Fassung des BetrAVG
Grundsätzlich bestand eine Einstandspflicht des PSV im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers nach § 7 Abs.1 BetrAVG a.F. nur im Falle der Direktzusage, Unterstützungskassenzusage, Pensionsfondszusage und (eingeschränkt) Direktversicherungszusagen. Gerade nicht umfasst waren Pensionskassenzusagen von § 7 Abs. 1 BetrAVG a.F.
Trotzdem entschied das LAG Köln noch zugunsten des klagenden Rentners, dass der PSV die Rente bis zur ursprünglich zugesagten Höhe aufstocken und die von der PKDW gekürzte Differenz zahlen muss. Dabei leitete es eine solche Pflicht aus der allgemeinen Einstandspflicht des Arbeitgebers aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG her. Diese Pflicht des Arbeitgebers, für Fehlbeträge einzustehen, wenn er sich zur Durchführung eines Dritten bediene (wie z.B. einer Pensionskasse) und dieser Dritte nicht in voller Höhe leistet, sei wie eine Direktzusage zu behandeln und deshalb über § 7 Abs. 1 BetrAVG durch den PSV abgesichert.
Das BAG war sich unsicher und fragte den EuGH
Diesen Kunstgriff wollte das BAG nicht mitgehen. Den ehemaligen Arbeitnehmer im Regen stehen lassen wollte das BAG aber auch nicht. Deshalb legte es dem EuGH die Frage vor, ob Art. 8 RL 2008/94/EG auch auf Pensionskassenzusagen Anwendung findet und falls ja, ob ein Arbeitnehmer einen solchen Anspruch direkt gegen den PSV geltend machen kann.
Nach Art. 8 RL 2008/94/EG haben die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Ansprüche von Arbeitnehmern zu sichern, deren Arbeitgeber zahlungsunfähig sind. Der deutsche Gesetzgeber sah bis zum vergangenen Jahr keine Veranlassung, Pensionskassenrenten in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 BetrAVG mit aufzunehmen. Denn dadurch, dass der Arbeitnehmer einen Direktanspruch gegen die Pensionskasse hat und die Pensionskasse wiederum von der BaFin beaufsichtigt wird, ging er davon aus, dass der Arbeitnehmer nicht gegen eine Arbeitgeberinsolvenz geschützt werden müsse.
Die Lage der Pensionskassen, die wegen der dauerhaft niedrigen Zinsen immer prekärer wurde, hat aber zu einem Umdenken geführt, sodass es zu besagtem Gesetzentwurf Ende 2019 kam.
Rückblick: die Entscheidung des EuGH
Nun entschied der EuGH am 19. Dezember 2019, dass dieses Sicherungssystem nicht ausreichend sei und Pensionskassenzusagen von Art. 8 RL 2008/94/EG erfasst werden. Art. 8 2008/94/EG gewähre aber keinen uneingeschränkten Schutz, sondern nur, wenn die Rente um mindestens 50 Prozent gekürzt wird oder der Arbeitnehmer nach der Kürzung unter die Armutsgefährdungsschwelle fällt.
Laut EuGH geht Art. 8 RL 2008/94/EG sogar so weit, dass er einem Arbeitnehmer einen Direktanspruch gegen den Mitgliedstaat bei unzureichender Umsetzung der Richtlinie gibt. Dabei kann der privatrechtlich organisierte PSV als öffentliche Stelle i.S.d. Richtlinie angesehen werden, sofern ihm die Sicherung von Pensionskassenrenten übertragen wurde. Da dies nach der damaligen Rechtslage gerade nicht der Fall war, wurde mit Spannung erwartet, wie das BAG mit den Vorgaben des EuGH umgehen werde.
Die Besonderheit: Der Gesetzgeber war schneller
Der Gesetzgeber kam dem BAG mit der am 24. Juni 2020 in Kraft getretenen Gesetzesänderung nun aber zuvor. Die Frage, ob der PSV die im EuGH-Urteil genannten Kriterien erfüllt, hat sich mit der Gesetzesänderung erübrigt. Durch eine ebenfalls eingefügte Übergangsregelung hat der Gesetzgeber die Sicherung von Pensionskassenzusagen auch für alte Sicherungsfälle dem PSV übertragen. Allerdings trägt für diese Fälle der Bund die Kosten, die dem PSV entstehen.
Das Gesetz ändert den § 7 BetrAVG dergestalt, dass der PSV ab dem 1. Januar 2022 auch für Pensionskassenzusagen einzustehen hat, wenn der Arbeitgeber insolvent wird. Der Gesetzgeber übererfüllt durch das Gesetz sogar die Vorgaben des EuGH, da es eine unbedingte Einstandspflicht des PSV auch für Pensionskassenzusagen vorsieht und nicht nur bei hälftiger Kürzung oder Unterschreitung der Armutsgefährdungsschwelle.
Tritt der Sicherungsfall jedoch vor dem 1. Januar 2022 ein, hat der PSV laut Gesetz nur einzustehen, wenn die Rente um mindestens 50 Prozent gekürzt wurde oder die jeweilige Armutsgefährdungsschwelle unterschritten wird. Für den Übergangszeitraum übernimmt der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH damit eins zu eins. In diesen Übergangsfällen bis zum 1. Januar 2022 dürfte der administrative Aufwand besonders hoch sein, da stets in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob eine der beiden Voraussetzungen vorliegt.
BAG: Klagender Rentner erfüllt keine der Voraussetzungen
In seiner Pressemitteilung zum Urteil vom Dienstag teilt das BAG nun mit, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch gegen den beklagten PSV im Streitfall damit nicht vorliegen. Das BAG stellt dabei erwartungsgemäß auf die durch die Gesetzesänderung eingefügte Übergangsregelung des § 30 Abs. 3 BetrAVG ab. Es befand, dass für Sicherungsfälle vor dem 1. Januar 2022 nach dieser Regelung ein Anspruch gegen den PSV nur unter den vom EuGH entwickelten Voraussetzungen bestehen kann.
Diese beiden möglichen Voraussetzungen (Kürzung um mehr als die Hälfte oder Unterschreiten der Armutsgrenze) lägen im Streitfall gerade nicht vor. Die Klage des Rentners blieb daher erfolglos.
Problematik für die Zukunft entschärft
Das Urteil des BAG wendet die vom Gesetzgeber bereits umgesetzten Voraussetzungen des EuGH an und nimmt eine Haftung des PSV für Sicherungsfälle vor dem 1.1.2022 nur an, wenn eine der beiden vom EuGH genannten Alternativen vorliegt. Die Situation hat sich für Betriebsrentner aber insoweit entschärft, als die Ausfallhaftung des Arbeitsgebers bei Pensionskassenzusagen ab dem 1.1.2022 sogar in vollem Umfang über den PSV insolvenzgesichert ist.
Die neuen Regelungen gelten allerdings nur für Zusagen, die über regulierte Pensionskassen durchgeführt werden. Von den neuen Regelungen ausgenommen sind Pensionskassen, die dem Protektor-Sicherungsfonds der Lebensversicherer angehören, die Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes (ZVK oder VBL) und die Pensionskassen in Form einer gemeinsamen Einrichtung von Tarifvertragsparteien. Bei all diesen Pensionskassen geht der Gesetzgeber – noch – von einem ausreichend hohem Schutzniveau aus.
Der Autor Tobias Neufeld, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner (HR.Law) bei ARQIS in Düsseldorf, deren Pensions Group er leitet. Er ist spezialisiert auf betriebliche Altersversorgung und berät nationale und internationale Unternehmen an den Schnittstellen von Arbeitsrecht, Betriebsrentenrecht und Datenschutz.
BAG zu gekürzter Betriebsrente: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42271 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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