Muss Urlaub beantragt werden, damit er nicht verfällt? Die Frage legte das BAG dem EuGH vor. Das wäre nicht nötig gewesen, meint Alexander R. Zumkeller. Es sei denn, das BAG wollte von der großzügigen Praxis der Vorinstanzen abweichen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erneut eine Frage zum Urlaubsrecht vorgelegt: Muss - vereinfacht gesagt - ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv beantragen, damit er nicht verfällt? (BAG, Beschl. v. 13.12.2016, Az. 9 AZR 541/15 (A))
Für die Praxis ist schon mit der EuGH-Vorlage ab sofort ein zweistufiges Verfahren empfehlenswert: der Arbeitnehmer wird aufgefordert, Urlaubswünsche zu benennen. Macht er dies, ist entsprechend dem Gesetz der Urlaub zu gewähren oder ausnahmsweise abzulehnen. Äußert der Arbeitnehmer jedoch keinen Wunsch oder nur Teilurlaubswünsche, so ist der Arbeitgeber befugt, den Urlaub einseitig zu gewähren. Es reiche aber nicht aus, den Arbeitnehmer lediglich darauf aufmerksam zu machen, dass er bitte Urlaub beantragen möge, hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) München als Vorinstanz entschieden (Urt. v. 06.05.2015, Az. 8 Sa 982/14).
Normalerweise erfolgt die Abfrage der Urlaubswünsche zu Beginn eines Jahres. Die Gewährung von (Rest-) Urlauben folgt dann spätestens im zweiten Halbjahr, und zwar ohne Übertragung auf das nächste Jahr. Denn nach § 7 Abs. 2 S. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden.
Bleibt dann nur noch ein Problem: tarifliche, betriebliche oder einzelvertragliche Ansprüche, die nicht unbedingt dem BUrlG- und Richtlinien-Regime unterliegen. Das wird eine größere Baustelle. Und andere Baustellen im Urlaubsrecht sind zwar noch nicht identifiziert – aber sicher existent.
Früher war alles besser
Früher war alles klar: Das BUrlG regelte – mal abgesehen von Tarifverträgen - den Urlaub. Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG) und der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 2 S. 1 BUrlG). Eine Übertragung auf das erste Quartal ist nach § 7 Abs. 2 S. 2 BUrlG zulässig, wenn der Urlaub aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht genommen werden konnte. Soweit die - zugegebenermaßen stark verkürzte - "Gebrauchsanweisung" für die Gewährung von Urlaub.
Früher, das war im Wesentlichen vor Europa, also vor der Richtlinie 2003/88/EG, um genau zu sein. Um noch genauer zu sein: bevor Gerichte auf die Idee kamen, die über Jahrzehnte gefestigte Rechtssituation in Deutschland im Licht des europäischen Rechts überprüfen zu lassen.
Von da an stolperte und strauchelte das Urlaubsrecht: eine unionskonforme Auslegung erforderte eine Ausdehnung der Verfallsfrist von Urlaub auf 15 Monate (EuGH, Urt. 20.01.2009, Az. C 350/06) und bei Wechsel von Voll- in Teilzeit erfordert die Rechtsprechung komplizierte Umrechnungen (EuGH, Urt. v. 13.06.2013, Az. C-415/12). Und, ach ja: Urlaub ist kein höchstpersönlicher, sondern ein vererbbarer Anspruch (EuGH, Urt. v. 12.06.2014 Az. C-118/13).
Die letzte Phalanx: der Urlaubsverfall
Seit gestern steht auf der Website des höchsten deutschen Arbeitsgerichts neuerlich eine Frage - eben des BAG an den EuGH: Muss ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv beantragen, damit er nicht verfällt? Oder reicht seine Untätigkeit dafür aus, dass sich der Urlaubsanspruch beliebig lange übertragen lässt?
Das LAG Hamm hat bereits am 14. Februar 2013 (Az. 16 Sa 1511/12) nicht einfach gegen die gefestigte BAG-Rechtsprechung entscheiden wollen und den EuGH angerufen. Daraufhin erging die Entscheidung des EuGH zur Vererblichkeit des Urlaubs. Die Frage des Verfalls wurde damit aber nicht abschließend geklärt. Sodann meinten die LAG in Köln (Urt. v. 22. 04.2016, Az. 4 Sa 1095/15), München (Urt. v. 06.05.2015, Az. 8 Sa 982/14) und Brandenburg (12.06.2014, Az. 21 Sa 221/14), die Angelegenheit nicht zu entscheiden, sondern dem EuGH vorzulegen. Erforderlich ist das vermutlich nicht.
Dass das BUrlG ein Schutzgesetz darstellt, ist seit langem völlig unstreitig. Dass regelmäßig auf Schutzvorschriften nicht verzichtet werden kann, gehört ebenfalls zum Standardrepertoire. Auch, dass die Verletzung von Schutzgesetzen Schadenersatzansprüche nach sich ziehen kann, ist spätestens seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) klar. Somit kommt es also nur noch auf das Verschulden im Rahmen des § 823 Abs. 2 S. 2 BGB. Über dieses und dann über §§ 275, 280, 283 BGB haben das LAG Brandenburg und LAG München ihre jeweiligen Verfahren gelöst.
BAG legt EuGH Frage zur Urlausgewährung vor: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21461 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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