Lange hat sich der umstrittene Gründer von Wikileaks, Julian Assange, gegen seine bevorstehende Auslieferung gewehrt. Nun scheint die Sache entschieden, der englische High Court hat seine Berufung gegen die Auslieferungsentscheidung abgewiesen. Wenig überraschend, erklärt Nick Roguski. Die Richter hatten bei ihrer Entscheidung kaum eigenen Beurteilungsspielraum.
Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, sieht sich gerne als Kämpfer für Transparenz und Meinungsfreiheit. Durch die Veröffentlichung bisher geheimer Regierungsdokumente möchte er für eine öffentliche Debatte sorgen und die öffentliche Kontrolle über Regierungshandlungen ermöglichen. Doch seine Methoden sind umstritten, wie etwa die Debatte um die Veröffentlichung geheimer US-Botschaftsdepeschen zeigte. Für die USA, die das bevorzugte Ziel von Assanges Enthüllungen sind, ist er längst zu einem "Störenfried" geworden, den man am liebsten zum Schweigen bringen würde.
Auch deshalb wehrt sich Assange gegen eine Auslieferung an Schweden: Er fürchtet, das Königreich könnte ihn seinerseits an die USA übergeben, wo er wegen Geheimnisverrats angeklagt und zu einer langen Haftstrafe verurteilt würde. Hintergrund des Auslieferungsgesuches, das Gegenstand des am Mittwoch zu Ende gegangenen Verfahrens vor dem englischen High Court (High Court of Justice, Queen's Bench Division, Urt. v. 02.11. 2011, Az. [2011] EWHC 2849) war, ist allerdings ein anderer.
Assange sind nicht seine Enthüllungen, sondern sein Sexualleben zum Verhängnis geworden. Die schwedische Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im August 2010 zwei Schwedinnen genötigt und sexuell belästigt beziehungsweise sogar vergewaltigt zu haben.
Insgesamt werden dem Australier strafbare Handlungen in vier Fällen zur Last gelegt. Da der Wikileaks-Gründer aus Schweden ausreiste, obwohl ein Verfahren gegen ihn lief und er mit Haftbefehl gesucht wurde, entschloss sich die schwedische Staatsanwaltschaft, einen so genannten Europäischen Haftbefehl gegen Assange auszustellen.
Der Europäische Haftbefehl: Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit
Der Europäische Haftbefehl wurde im Jahr 2002 durch einen auf den damaligen Art. 34 Abs. 2 lit. b des Vertrages über die Europäische Union (EU) gestützten Rahmenbeschluss (2002/584/JI) des Rates geschaffen. Er dient als Grundlage für die Festnahme und Auslieferung einer Person an einen anderen Mitgliedstaat der EU.
Durch den Haftbefehl soll die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in Strafsachen verbessert werden. Anders als bei anderen Auslieferungsverfahren entfällt das übliche Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit für 32 im Rahmenbeschluss genannte "Katalogtaten". Die vorgeworfene Tat muss also, wenn sie unter diesen Katalog fällt, nicht sowohl im Ausstellungsland als auch im Vollstreckungsland unter Strafe gestellt sein, wenn das Ausstellungsland sie mit einer Höchststrafe von mindestens 3 Jahren belegt.
In aller Regel besteht auch eine Verpflichtung zur Auslieferung. Der Rahmenbeschluss enthält nur einige wenige zwingende und fakultative Gründe, aus denen eine Auslieferung abgelehnt werden kann.
Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl wirkt nicht, wie etwa eine Verordnung, unmittelbar, sondern muss erst von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. In Deutschland ist dies, allerdings erst im zweiten Anlauf, mit einer Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe (IRG) durch das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) geschehen. In England gilt hingegen seit 2003 der novellierte Extradition Act (Auslieferungsgesetz).
Assanges Argumente: Von formal bis verhältnismäßig
Die Berufung Assanges gegen die am 24. Februar 2011 ergangene Auslieferungsentscheidung des Senior District Judge, über die nun der High Court zu entscheiden hatte, basiert im Wesentlichen auf vier Punkten.
Zum einen trägt der Wikileaks-Gründer vor, der Haftbefehl sei nicht durch eine Justizbehörde oder "judicial authority" im Sinne des Auslieferungsgesetzes von 2003 erlassen worden. Weiter argumentiert er, dass drei der ihm vorgeworfenen Taten, die keine Katalogtaten nach dem Rahmenbeschluss sind, nicht dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit entsprechen.
Die vierte ihm zur Last gelegte Tat werde zwar als Vergewaltigung bezeichnet, wäre also eine Katalogstraftat, welche die beiderseitige Strafbarkeit nicht erfordern würde, der Tatbestand einer Vergewaltigung sei aber gar nicht erfüllt.
Schließlich macht Assange geltend, dass der Europäische Haftbefehl gar nicht hätte erlassen werden dürfen, weil er in Schweden gar nicht angeklagt wurde, sondern nur weiter vernommen werden sollte. Außerdem sei eine Auslieferung nicht verhältnismäßig, da ein Verhör auch über eine Videokonferenz machbar sei und er dafür nicht Großbritannien verlassen müsse, argumentierte der Australier.
Der High Court ganz europäisch: Schwedischer Haftbefehl nur begrenzt überprüfbar
Die Richter des High Court ließen sich von keinem der von Assanges Rechtsanwälten vorgebrachten Argumente überzeugen.
Gleich mehrfach betonen sie in ihrer sehr sorgfältig und ausführlich begründeten Entscheidung vielmehr , dass das Auslieferungsgesetz von 2003 europarechtsfreundlich, also im Lichte des Rahmenbeschlusses ausgelegt werden müsse. Dieser sehe aber gerade eine weitgehende Zusammenarbeit zwischen den Gerichten und Justizbehörden der Mitgliedstaaten in einem gemeinsamen Rechtsraum vor und werde vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung geleitet.
Der verfahrensrechtliche Schutz der Betroffenen werde dadurch gewährleistet, dass alle EU-Mitgliedsstaaten auch Mitglieder der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) seinen. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen bedeute vor diesem Hintergrund, dass dem Verfahren des anderen EU-Mitgliedsstaates normalerweise zur größtmöglichen Wirkung verholfen werden müsse.
Formalitäten: Kein rein englisches Verständnis vom Strafverfahren
Die Staatsanwaltschaft war berechtigt, den Europäischen Haftbefehl auszustellen. Bei der gebotenen Auslegung der britischen und europäischen Rechtsprechung könne eine Justizbehörde im Sinne des Auslieferungsgesetzes auch ein Organ sein, das nicht zur Gerichtsbarkeit zu zählen ist, so die britischen Richter.
Auch dem zweiten formalen Argument des Wikileaks-Gründers folgte der High Court nicht. Eine Untersuchung der Assange vorgeworfenen Taten habe ergeben, dass diese sehr wohl auch in England unter Strafe stünden. Hinsichtlich der Vergewaltigung sei hingegen die Einschätzung des den Haftbefehl ausstellenden Staates bindend, dass eine Tat eine Katalogtat nach dem Rahmenbeschluss darstelle. Diese Bewertung dürfe nur daraufhin untersucht werden, ob sie offensichtlich unrichtig sei.
Dass Assange in Schweden nicht angeklagt war, sondern nur vernommen werden sollte, änderte ebenfalls nichts an der Rechtmäßigkeit der Auslieferungsentscheidung. Man dürfe kein rein englisches Verständnis des Strafverfahrens zugrunde legen, begründeten die obersten englischen Richter ihre Entscheidung. Das ließe die Besonderheiten des schwedischen Verfahrens außer Acht und verstieße gegen den Sinn und Zweck des Europäischen Haftbefehls und des Rahmenbeschlusses.
Von Anfang an zum Scheitern verurteilt
Auch unverhältnismäßig sei die Entscheidung nicht. Die Verhältnismäßigkeit des Europäischen Haftbefehls dürfe zwar untersucht werden, auch dabei sei aber der Einschätzungsspielraum des ausstellenden Staates weit und Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit seien nicht zu verkennen.
Überraschend ist das Ergebnis nicht. Die Richter betonen zu Recht ihre grundsätzliche Bindung an die schwedische Entscheidung und den nur geringen Prüfungsspielraum.
Dem Europäischen Haftbefehl soll zwar nicht blind gefolgt werden, eine Willkür- und Verhältnismäßigkeitsprüfung darf erfolgen. Diese Einschätzung teilen auch deutsche Gerichten wie etwa das OLG Stuttgart (Beschl. v. 25.02. 2010, Az1 Ausl. (24) 1246/09). Die englischen Richter sahen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die schwedische Staatsanwaltschaft den Europäischen Haftbefehl willkürlich oder unverhältnismäßig erlassen hätte. Assanges Kampf gegen die Auslieferung war letztlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, Auslieferung nach Schweden: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4715 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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