Seit Januar gilt ein Gesetz, das Asylverfahren in Deutschland beschleunigen soll. Gebracht hat es nichts. Nun planen die Länder erneut, mehr Tempo in die Gerichtsverfahren zu bringen. Juristische Verbände sind besorgt.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Ampel sich an die Beschleunigung von Asylverfahren machte, und mit dem "Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren" das entsprechend Regelungswerk verabschiedete. Das Bundesverwaltungsgericht kann seit Jahresbeginn im Revisionsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen als Tatsacheninstanz über die Lage im Herkunfts- oder Zielstaat urteilen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüft nur noch bei konkretem Anlass, ob ein Schutzstatus widerrufen werden muss. Das Personal der Behörde soll dadurch entlastet werden, was mehr Kapazitäten für die Bearbeitung von Asylanträgen bedeutet.
Nach nur wenigen Monaten steht jedoch fest: Zu einer nachhaltigen Entlastung der Verwaltungsgerichte hat das neue Gesetz nicht geführt. Statistiken des BAMF zufolge, über die der Spiegel zuerst berichtet hatte, waren bundesweit mehr als 120.000 Asylverfahren bei den Gerichten anhängig. Bis ein Gericht über die Klage gegen einen negativen Asylbescheid entscheidet vergehen im Schnitt 21,8 Monate. Zwischen den Bundesländern existieren allerdings gravierende Unterschiede: Brandenburger Verwaltungsgerichte benötigen 39,9 Monate bis zum erstinstanzlichen Urteil, während diese Verfahren in Rheinland-Pfalz bereits nach 4,7 Monaten abgeschlossen werden. Legen die Asylsuchenden anschließend Rechtsmittel ein, können bis zur endgültigen Entscheidung weitere Jahre vergehen.
Blockade der Grünen verhindert?
Um hier nun für Tempo zu sorgen und die Gerichte zu entlasten, beschlossen die Ministerpräsidenten am 13. Oktober, dass Asylverfahren künftig maximal nur noch drei Monate dauern sollen. Vor allem bei Menschen mit geringer Bleibeperspektive soll es künftig flott gehen. Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen zügiger als bislang rechtskräftig abgeschlossen werden. Sofern nötig, würden dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen.
Auf diese Lösung hatten sich die Länderchefs verständigt. "Statt wieder auf eine Verlängerung der Liste sicherer Herkunftsländer zu dringen und spätestens in der Länderkammer mit der dazu nötigen Gesetzesänderung an den Grünen zu scheitern", wie die Zeitung Die Welt unter Verweis auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) am Donnerstag schrieb.
Bei den juristischen Verbänden lösten die Pläne inzwischen unterschiedliches Echo aus. Grundsätzlich positiv reagierte am Wochenende der Deutsche Richterbund (DRB). Auch für die Betroffenen sei eine möglichst schnelle rechtskräftige Entscheidung wichtig, sagte der Bundesgeschäftsführer des DRB, Sven Rebehn, gegenüber dpa. "Wenn das gerichtliche Asylverfahren für Angehörige aus Staaten mit geringer Anerkennungsquote künftig innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein soll, braucht es dafür neben etwaigen Änderungen im Prozessrecht aber vor allem zusätzliches Personal für die Verwaltungsgerichte", so Rebehn. Viele Gerichte arbeiteten aufgrund hoher Verfahrenszahlen schon jetzt an der Belastungsgrenze, kritisierte er.
NRV: "Richterbund betreibt Klientelpolitik"
Weniger zufrieden reagierte die Neue Richtervereinigung NRV auf die Pläne. Der wesentlich kleinere und als progressiver geltende Zusammenschluss von Richtern und Staatsanwälten übte in einem Statement auch heftige Kritik an der Position des Richterbundes: "Einmal mehr lässt sich die Politik – erst Frau Faeser, jetzt die Ministerpräsident: innen – vor den Karren der AfD spannen und bedient die 'Das-Boot-ist-voll'-Mentalität. In die gleiche Kerbe schlägt letztlich der Richterbund, indem er die Gelegenheit nutzt, um im Sinne seiner Klientelpolitik mehr richterliches Personal zu fordern."
Die Sprecherin der NRV-Fachgruppe Verwaltungsrecht, Richterin am VG Frederike Küster-Lange ermahnte die Politik statt populistisch um Wählerstimmen zu buhlen, die Flucht- und Migrationsursachen - für die man schließlich eine historische Verantwortung trage - in den Blick zu nehmen. "Auch kommt man nicht an der Tatsache vorbei, dass wir immer noch ein von humanitären Gedanken geprägtes Recht haben, das jedem Menschen egal welcher Herkunft eine effektive Wahrnehmung von Verfahrensrechten garantiert und eine Abschiebung um jeden Preis eben nicht erlaubt. Wer aber die Grenzen zu machen, Schutzsuchenden den Zugang verwehren und das Asyl- und Migrationsrecht noch enger zurren will, verweigert sich dieser Erkenntnis und damit auch unseren internationalen Verpflichtungen etwa aus der Genfer Flüchtlings- oder der Menschenrechtskonvention", so Küster-Lange. Nach Ansicht der Verwaltungsrichterin ließen sich die Kapazitäten des BAMF, der Verwaltungsgerichte und die der Kommunen sinnvoller entlasten, "indem man diejenigen, die es hierher geschafft haben, zu Bildung und Arbeit verhilft, statt sie von der Gesellschaft zu isolieren, in Containern zu verwahren und zum Nichtstun zu verurteilen".
RAV und Pro Asyl* warnen vor Einschränkung von Verfahrensrechten
Verhaltener, aber ebenfalls kritisch, reagierte der Republikanische Anwaltverein (RAV) auf die Pläne: "Die Beschleunigung von gerichtlichen Asylverfahren ist an sich ein gutes und wichtiges Anliegen", erklärte RAV-Asylrechtler Matthias Lehnert. Der Rechtsanwalt warnte gegenüber LTO vor einer weiteren Einschränkung der Verfahrensrechte: Schließlich sei das Asylverfahrensrecht bereits jetzt ein Sonderrecht, in dem es verkürzte Fristen und nur beschränkte Möglichkeiten der Berufung gegen erstinstanzliche Entscheidungen gebe. Nicht nachvollziehen kann Lehnert, warum die Beschleunigung nur für Personen aus Ländern mit niedriger Schutzquote gelten soll. Für diese würden offensichtlich tendenziell ablehnende Entscheidungen anvisiert.
"Etwa die Hälfte der positiven Entscheidungen im Asylverfahren werden erst gerichtlich durchgesetzt - wodurch sich insbesondere für eine Vielzahl von Menschen der Nachzug ihrer Familien nach hinten verschiebt. Deshalb braucht es, wenn, eine Beschleunigung in allen Verfahren, nicht zuletzt durch mehr personelle Kapazitäten in den Verwaltungsgerichten", erklärte der Anwalt.
Der Deutsche Anwaltverein DAV sieht ebenfalls keinen Grund, erneut an der Geschwindigkeitsschraube bei den Asylverfahren zu drehen: "Erst zum Jahresanfang ist ein Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in Kraft getreten. Es gibt daher überhaupt keinen Anlass, nun bereits wieder neue Gesetze zu planen, ohne die Wirkung der jüngsten Neuerungen evaluiert zu haben", so Gisela Seidler, Vorsitzende des DAV-Ausschusses Migrationsrecht gegenüber LTO. Wenn die Länder bestimmte Klageverfahren vorziehen wollten, bedeute das, dass andere Verfahren länger dauerten. "Die begründeten Klagen liegen länger und die Integration der Schutzberechtigten beginnt dadurch später", so die Anwältin.
Die rechtspoltische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, meldete ebenfalls Bedenken an. Die Beschleunigung dürfe nicht auf Kosten der Verfahrensrechte von schutzsuchenden Menschen gehen. "Schon jetzt erleben wir, dass Asylanträge von Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern oft pauschal abgelehnt werden, ohne eine ausreichende Berücksichtigung der individuellen Bedrohungslage. Ihre verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich dann dagegen zur Wehr zu setzen, sind auf ein Minimum reduziert." Grundprinzipien des Rechts auf Asyl, wie eine sorgfältige Prüfung der individuellen Schutzgründe und einen funktionierenden Rechtsweg, dürften nicht über Bord geworfen werden, so Judith gegenüber LTO.
BMI: "Erheblicher Rückgang der Verfahrensdauer"
Ob sich indes die Bundesregierung den Plänen der Ministerpräsidenten anschließt, ist noch offen. Das BMI bewertet die aktuelle Dauer der Verfahren von 21,8 Monaten im Schnitt positiv: "Im Jahr 2021 betrug die durchschnittliche Dauer noch 26,5 Monate. Der aktuelle Rückgang der Verfahrensdauer beträgt damit 4,2 Monate (rund 16,2 Prozent) und ist daher als erheblich anzusehen", so ein Sprecher des Ministeriums. Weiter erklärte er, dass in die Statistik zur Verfahrensdauer nur abgeschlossene Verfahren einflossen, "die in der Regel bereits vor längerer Zeit begonnen wurden und deren Abschluss im ersten Halbjahr 2023 nicht auf das Gesetz zurückzuführen sein dürfte". Eine Evaluierung des Gesetzes sei in drei Jahren vorgesehen.
Kabinett beschließt schnellere Abschiebungen am Mittwoch
Unterdessen nehmen die Pläne der Bundesregierung, abgelehnte Asylbewerber künftig schneller abschieben, an Fahrt auf. Am Mittwoch soll das Bundeskabinett das sogenannte "Rückführungsverbesserungsgesetz" beschließen. "Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen", hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser hierzu erklärt. Auch der Bundeskanzler hatte in einem Interview mit dem Spiegel am Wochenende klargemacht: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben".
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht ein Bündel an Maßnahmen vor, die Ausreisepflicht konsequenter durchzusetzen. Dabei geht es auch um eine schnelle Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Unter anderem soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage verlängert werden. Damit sollen die Behörden mehr Zeit bekommen, um eine Abschiebung vorzubereiten. Forciert werden soll auch die Ausweisung von Schleusern ebenso die von Mitgliedern krimineller Vereinigungen. Letztere sollen das Land auch unabhängig von einer individuellen strafgerichtlichen Verurteilung verlassen. Es reichen künftig hinreichende Tatsachen, die eine Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung belegen.
Pro Asyl kritisiert "überfallartige Abschiebungen in der Nacht"
Schließlich schafft der Gesetzentwurf für die Behörden neue Möglichkeiten zum Betreten von Asyl-Gemeinschaftsunterkünften. Um Abzuschiebende aufzufinden, dürfen nun auch Zimmer unbeteiligter Personen sowie sonstige Räumlichkeiten solcher Unterkünfte betreten werden. Auch nächtliche Abschiebungen werden durch Anpassungen im Aufenthaltsgesetz (§ 58 Abs.7) erleichtert.
Scharf kritisiert werden diese Regeln u.a. von Pro Asyl: " Das Betreten der Zimmer unbeteiligter Personen zur Suche ausreispflichtiger Dritter ist nicht mit Art. 13 Grundgesetz vereinbar. Hier überwiegt das private Schutzinteresse Betroffener an der Unverletzlichkeit ihrer Wohnung, die mit der gesuchten ausreisepflichtigen Person in keinerlei Beziehung stehen, das öffentliche Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung durch die Durchsetzung der Ausreispflicht." Überfallartige Abschiebungen in der Nacht würden im Übrigen der Empfehlung der nationalen Stelle zur Verhütung von Folter widersprechen, die explizit davon abrate, Abholungen für Abschiebungen nachts durchzuführen.
*Statement nachträglich ergänzt (24.10.2023, 19.58 Uhr)
Richtervereinigung kritisiert Pläne für schnelle Asylverfahren: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52979 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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