Ob sich auch Betriebsräte auf die Meinungsfreiheit berufen und entsprechend twittern dürfen, sollte eigentlich das BAG entscheiden. Dazu kommt es aber nicht – und eine spannende Rechtsfrage bleibt damit vorerst offen, zeigt Michael Fuhlrott.
Aushänge am "schwarzen Brett" gibt es heutzutage kaum noch in Betrieben. Wichtige Mitteilungen und Informationen der Belegschaft werden per E-Mail verschickt oder im Intranet geteilt. Viele Unternehmen sind darüber hinaus in den sozialen Medien aktiv und nutzen Twitter & Co. für Marketingzwecke, zur Personalgewinnung oder zur Festigung der Kundenbindung.
An dieser zeitgemäßen Informationspolitik wollte auch ein Betriebsrat teilhaben. Er hatte sich deshalb einen Twitter-Account zugelegt, unter dem er Nachrichten, Informationen und Kommentierungen des betrieblichen Geschehens verbreitete. Die Inhalte waren sowohl für die Betriebsöffentlichkeit, aber auch für außenstehende Dritte abrufbar.
Daran störte sich indes der Arbeitgeber, sodass der Fall nach Durchlaufen des Instanzenzugs schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) landete. Dieses hätte am Mittwoch (Az.: 7 ABR 9/19) hierzu entscheiden und Rechtssicherheit schaffen sollen. Am Dienstag nahm der Arbeitgeber jedoch seine Rechtsbeschwerde zurück.
Nur: Was in diesem Fall gut für den Betriebsfrieden ist, hinterlässt mangels höchstrichterlicher Klärung und Grundsatzentscheidung leider offene Fragen zur Grundrechtsfähigkeit von Betriebsräten und Umfang der Meinungsäußerungsfreiheit. Denn das Twitter-Verbot für Betriebsräte ist eine hoch umstrittene Angelegenheit.
Eine Klinik gegen ihren Betriebsrat
Dass der Fall überhaupt vor dem BAG gelandet war, ist einem fleißig twitterndern Betriebsrat eines aus mehreren psychiatrischen Fachkliniken bestehenden Gesundheitskonzerns zu verdanken. Der dortige Betriebsrat nahm nämlich regelmäßig aktuelle Themen zum Anlass, Tweets abzusetzen. Unter anderem warb er für die eigene Tätigkeit, berichtete über laufende Einigungsstellen oder wies Arbeitnehmer auf die Möglichkeit des Stufenaufstiegs hin. Nachdem der Betriebsrat mit seinem bis dato letzten Tweet dem neugewählten "Betriebsrat viel Glück, Erfolg und alles Gute für die nächste Amtszeit!" gewünscht hatte, verstummte der Betriebsrat auf Twitter.
Der Arbeitgeberin waren aber schon die Tweets aus der Vergangenheit ein Dorn im Auge. Sie war der Auffassung, dass der Betriebsrat durch die Nutzung des Twitter-Accounts gegen die Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen habe, wenn sich das Gremium auf diesem Wege zu betrieblichen Angelegenheiten äußere. Die Nutzung eines Twitter-Accounts sei für die Wahrnehmung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben schlicht nicht erforderlich. Denn es gehöre weder zu seinen Aufgaben noch zu seinen Befugnissen, von sich aus die außerbetriebliche Öffentlichkeit über irgendwelche betrieblichen Vorgänge zu unterrichten.
Arbeitsgericht: Twitter-Verbot für den Betriebsrat
Die Arbeitgeberin leitete daher ein Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht ein. Sie wollte festgestellt haben, dass der Betriebsrat nicht berechtigt sei, sich über ein von ihm unterhaltenen Twitter-Account zu betrieblichen Angelegenheiten der Arbeitgeberin öffentlich zu äußern. Dies solle jedenfalls dann gelten, wenn sich die Arbeitgeberin selbst zuvor nicht bereits öffentlich via Twitter oder über das Internet zu denselben betrieblichen Angelegenheiten geäußert hat. Innerbetriebliche Themen sollten also auch intern ausgetragen und diskutiert werden, so das Argument der Arbeitgeberin.
Hilfsweise wollte die Arbeitgeberin daher auch das bisherige Verhalten des Betriebsrats gerichtlich getadelt wissen. Im Wege des Hilfsantrags begehrte die Arbeitgeberin daher noch die Feststellung, dass die bisherigen Tweets des Betriebsrats gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen hatten und daher rechtswidrig waren. Mit ihrem Anliegen war die Arbeitgeberin gerichtlich erfolgreich: Das Arbeitsgericht Göttingen (Beschl. v. 06.11.2017, Az.: 3 BV 5/17) erteilte dem Betriebsrat ein Twitter-Verbot.
LAG: Freie Meinungsäußerung auch für Betriebsräte
Der Betriebsrat wollte sich keinen derartigen Maulkorb verpassen lassen und legte gegen die erstinstanzliche Entscheidung Beschwerde ein – und zwar erfolgreich: Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen (Beschl. v. 06.12.2018, Az.: 5 TaBV 107/17) hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und sprach dem Betriebsrat das Recht zu, seine Meinung dort zu äußern, wo er dies für sinnvoll ansehe.
Der Betriebsrat, so die Hannoveraner Richter, sei nicht darauf beschränkt, seine Meinung nur in bestimmten Räumlichkeiten zu äußern. Vielmehr könne er selbst entscheiden, wann und bei welchen Gelegenheiten er eine öffentliche Stellungnahme für angebracht halte. Hierbei könne auch dahinstehen, ob man den Betriebsrat an sich als uneingeschränkt grundrechtsfähig ansehe, da er sich jedenfalls auf eine beschränkte Grundrechtsfähigkeit gem. Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz (GG) berufen könne. Hiernach beanspruchen die Grundrechte auch für inländische juristische Personen Geltung, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar seien. Da ein Betriebsrat zu eigenständiger Willensbildung und zu eigenem Handeln fähig sei, könne er, so das LAG, sich damit auch auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Entsprechend müsse dem Betriebsrat mithin etwa auch erlaubt sein, in der Öffentlichkeit – sei es per Twitter oder einem anderen Medium – zu einer geplanten und in der Presse besprochenen Betriebsstillegung Stellung zu nehmen, auch ohne dass diese öffentliche Diskussion in der Presse von der Arbeitgeberin initiiert worden sei.
Da der Antrag der Arbeitgeberin aber aufgrund seiner pauschalen Formulierung als sogenannte Globalantrag auch solche zulässigen Verhaltensweisen verbieten wolle, sei er insgesamt unbegründet und zurückzuweisen. Auch der Hilfsantrag sei unzulässig, da er sich allein auf die Klärung eines rein vergangenheitsbezogenen Rechtsverhältnisses beziehe. Es sei nicht Sache des Gerichts, im Wege eines Rechtsgutachtens einem Beteiligten zu bescheinigen, dass dieser im Recht gewesen sei oder eine die Verfahrensbeteiligten interessierende Rechtsfrage gutachterlich klären zu lassen.
BAG: keine Klärung, keine Grundsatzentscheidung
Weil die Arbeitgeberin ihre Rechtsbeschwerde nun spontan zurückgenommen hat, erwächst die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung in Rechtskraft. Betriebsräte dürfen sich danach also auf die Meinungsäußerungsfreiheit berufen, sie sind jedenfalls als partiell grundrechtsfähig anzusehen und dürfen Twitter als Kommunikationskanal nutzen.
Höchstrichterlich ist die Frage damit aber noch immer nicht geklärt, sodass nicht ausgeschlossen ist, dass andere Gerichte die rechtlichen Fragen anders bewerten. Dies gilt insbesondere deswegen, da die Entscheidung des niedersächsischen LAGs auch einige Kritik in der Arbeitsrechtswissenschaft erfahren hat, wo die Literatur dem Gericht vorwirft, dass ein Betriebsrat keinen externen Social-Media-Account zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben benötige.
Auch andere LAG-Entscheidungen (z. B. LAG Hessen, Beschl. v. 15.7.2004, Az.: 9 TaBV 190/03) gehen in diese Richtung und bestätigten, dass "bereits die Einrichtung einer allgemein abrufbaren Internet-Homepage durch einen Betriebsrat, auf der betriebsinterne Informationen erfolgen", ein Verstoß gegen das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit darstelle. Auch sei die Meinungsäußerungs- bzw. Pressefreiheit mit dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit abzuwägen.
Und letztlich betonte auch das BAG selbst in früheren Entscheidungen, dass Betriebsräte das Internet zwar (ausschließlich) als Mittel der Informationsbeschaffung, nicht aber als Mittel der Informationsweitergabe nutzen dürfen (BAG, Beschl. v. 3.9.2003, Az.: 7 ABR 8/03).
Letztes Wort für alle Zeiten?
Gute Gründe also, dass die Erfurter Arbeitsrichter den Fall also anders gesehen hätten? Kann sein, weiß man aber nicht genau.
Arbeitgeber jedenfalls, die auf einen höchstrichterlichen Twitter-Maulkorb für Betriebsräte gehofft hatten, mögen sich daran erinnern, dass das Thema Twitter bereits im Februar 2020 vor dem BAG (Beschl. v. 25.02.2020, Az.: 1 ABR 40/18) ähnlich ausging. Nur hatte damals der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Nutzung von Twitter ohne vorherige Betriebsratsbeteiligung untersagen wollen. Aus mehr formalen Gründen gab es leider ebenfalls keine Entscheidung der höchsten Arbeitsrichter in der Sache.
Als Quintessenz bleibt damit: Die Twitter-Nutzung im Arbeitsrecht durch Betriebsrat und Arbeitgeber bleibt weiterhin ein heiß debattiertes Thema.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
Michael Fuhlrott, Höchstrichterliche Klärung bleibt vorerst aus: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42337 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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