In das nun vom Bundestag beschlossene neue Staatsangehörigkeitsgesetz hat die Ampel drei Antisemitismus-Filter eingebaut. Ein spezielles Bekenntnis ist erst in letzter Minute hinzugekommen. Mehr Effekt dürfte aber eine andere Regel haben.
Am Freitag beschloss der Bundestag die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die vor allem die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen und Einbürgerungsfristen verkürzen soll. Dies war schon im Koalitionsvertrag vom November 2021 vorgesehen. Dort finden sich die Ausführungen zu der Reform im Abschnitt "Vielfalt". Darunter versteht die Ampel sowohl Maßnahmen zur Förderung bestimmter Gruppen als auch solche zur Bekämpfung von Diskriminierung wie zum Beispiel Antisemitismus.
Damit gelockerte Einbürgerungsvoraussetzungen nicht zu mehr "importiertem" Antisemitismus in Deutschland führen, trifft das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts (StARModG) Vorkehrungen. Es fügt drei Regelungen ins Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) ein, um Einbürgerungskandidat:innen mit antisemitischen Gesinnungen herauszufiltern.
Zwei dieser Filter waren schon von Beginn an vorgesehen. Den dritten nahm der Innenausschuss erst Ende Dezember auf. Das geschah auf politischen Druck, israelkritische und -feindliche, teils auch antisemitische Äußerungen im Zusammenhang mit dem Hamas-Angriff und dem sich anschließenden Gaza-Krieg härter zu sanktionieren.
Der erste Filter: Antisemitismus verstößt gegen die FDGO
Zunächst nimmt das StARModG laut Gesetzesbegründung eine "Konkretisierung" des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) vor. Dieses ist gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StAG schon bisher eine zentrale Einbürgerungsvoraussetzung. Mit einem neuen Satz 3 will die Ampel klarstellen, dass Menschen mit antisemitischer Grundhaltung sich nicht redlich zur FDGO bekennen können. Dort heißt es künftig: "Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes." Diese Regelung war bereits im Regierungsentwurf vom August 2023 vorgesehen.
Um klarzustellen, dass das FDGO-Bekenntnis kein bloßes Lippenbekenntnis bleibt, wird zudem § 11 StAG geändert. Nach einer dort neu eingefügten Nr. 1a soll eine Einbürgerung ausgeschlossen sein, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen", dass das FDGO-Bekenntnis "inhaltlich unrichtig ist". Auch diese Regelung ist eher klarstellender Natur: Dass das Bekenntnis wahr sein soll, versteht sich eigentlich von selbst.
Das schärfere Schwert, um die Richtigkeit des Bekenntnisses sicherzustellen, findet sich in § 35 StAG. Nach dieser weitgehend unverändert gebliebenen Vorschrift kann die Einbürgerung innerhalb von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung "durch arglistige Täuschung […] oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben […] erwirkt worden ist". Vor dem Hintergrund dieser Folge soll die Feststellung, dass antisemitische Handlungen mit der FDGO unvereinbar sind, verhindern, dass Antisemiten sich zur FDGO bekennen – wenn nicht aus Aufrichtigkeit, so doch aus Furcht, den Status später wieder entzogen zu bekommen.
Union fordert Israel-Bekenntnis
Der Union reicht diese "Klarstellung" des FDGO-Bekenntnisses nicht. Sie hatte deshalb einen Gegenantrag eingebracht, den der Bundestag parallel zur Abstimmung über das StARModG ablehnte. Darin erklärt die Unionsfraktion zur notwendigen Bedingung der Einbürgerung, dass sich Einbürgerungskandidat:innen zum Existenzrecht Israels bekennen. Eine Forderung, die Friedrich Merz schon zwei Wochen nach dem Hamas-Angriff auf Israel stellte.
Sachsen-Anhalts CDU-geführte Landesregierung setzte diesen Vorschlag Ende November um: Wer dort die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, muss "ausdrücklich die besondere deutsche Verantwortung für den Staat Israel und das Existenzrecht Israels" anerkennen und beteuern, niemals "Bestrebungen, die gegen das Existenzrecht des Staates Israel gerichtet sind", verfolgt zu haben. Die Gesetzgebungsbefugnis für das Staatsangehörigkeitsrecht liegt beim Bund, der Magdeburger Erlass versteht sich aber nicht als neue Regelung. Vielmehr handelt es sich nach Auffassung von Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) ebenfalls nur um eine Konkretisierung des FDGO-Bekenntnisses.
Die Bundesregierung hielt ein besonderes Bekenntnis nach dem 7. Oktober und den anhaltenden propalästinensischen Protesten auf deutschen Straßen zunächst nicht für erforderlich, änderte seine Meinung aber schließlich doch. Die Formulierung im StARModG weicht allerdings erheblich von dem CDU-Ansatz ab; sie lässt die Zerrissenheit im Innenausschuss erahnen.
Der zweite Filter: Ampel fügt in letzter Minute ein Bekenntnis zum Schutz von Juden ein
Bundesweit müssen sich Einbürgerungskandidat:innen zusätzlich zur FDGO künftig "zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges" bekennen. Dieses in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a StAG neuer Fassung (n.F.) eingefügte Bekenntnis bezieht sich auf zwei Elemente: einerseits den Schutz jüdischer Menschen sowie andererseits das friedliche Zusammenleben der Völker und das Verbot des Angriffskrieges.
Erforderlich für die Einbürgerung ist damit gerade kein ausdrückliches Bekenntnis zum Staat Israel und seinem Existenzrecht. Im Vordergrund steht vielmehr der Schutz von Jüdinnen und Juden. Daneben werden völkerrechtliche Grundsätze betont, die gemäß Art. 26 Grundgesetz (GG) unter dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung stehen.
Den Schutz von Jüdinnen und Juden zu gewährleisten, sei Deutschlands historische Verantwortung. Das betonen Mitglieder der Ampel-Fraktionen, die im Innenausschuss die Verhandlungen geführt haben, einhellig gegenüber LTO. Aus dieser Verantwortung konkrete Rechtsfolgen abzuleiten, sei besonders wichtig "in Zeiten, in denen die Zahl von antisemitischen Taten in alarmierender Weise zunimmt", so Konstantin von Notz (Grüne). Hakan Demir (SPD) weist zusätzlich darauf hin, dass "der Schutz jüdischen Lebens und die Achtung der Menschenwürde selbstverständlich auch vorher schon Teil des eingeforderten Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung" war.
Verfassungsrechtlicher Hintergrund: "Wunsiedel" und Israel
Dass der Schutz jüdischen Lebens Teil der FDGO ist, dürfte unter Verfassungsrechtler:innen wenig Streit hervorrufen. Auch wenn das Grundgesetz Jüdinnen und Juden nicht erwähnt, folgt das schon aus den Freiheitsrechten, dem besonderen Diskriminierungsschutz in Art. 3 Abs. 3 GG sowie dem Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 04.11.2009, Az. 1 BvR 2150/08). Dort hat Karlsruhe klargestellt, das Grundgesetz sei ein Gegenentwurf zur NS-Diktatur. Gerade weil nach dem Grundgesetz aber grundsätzlich alle Menschen Schutz genießen, insbesondere auch andere von Diskriminierung betroffene und gefährdete Gruppen wie etwa Muslime, dürfte es verfassungsrechtlich unschädlich sein, dass das neue StAG Jüdinnen und Juden besonders hervorhebt.
Inwiefern das Existenzrecht und die Sicherheit eines anderen Staates Teil der FDGO sein können, ist dagegen zweifelhaft. Sachsen-Anhalts Innenministerin sieht das offenbar so. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) meint laut einem Bericht der ZEIT, man könne "durchaus argumentieren, dass das Existenzrecht Israels auch Ausfluss der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist".
Strafrechtler:innen streiten vehement über diese Frage, seit die Union den Vorschlag eingebracht hat, die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe zu stellen. Selbst der von der Union als Experte berufene Augsburger Professor Michael Kubiciel, der den Vorschlag befürwortet, sieht ein "nicht unerhebliches" Risiko, dass das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 GG beanstanden könnte. Demnach sind Eingriffe in die Meinungsfreiheit nur auf Grundlage "allgemeiner Gesetze" zulässig – also Gesetze, die bestimmte Ansichten nicht als solche verbieten. In der Wunsiedel-Entscheidung macht das BVerfG hiervon eine Ausnahme für den Fall der NS-Verherrlichung gemäß § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch; ein Wort zu Israel verliert das Gericht dort aber nicht. Auch aus Grundrechten lässt sich der Schutz eines Staates kaum herleiten.
Diese verfassungsrechtlichen Fragen dürften bei der konkreten Formulierung des neuen Einbürgerungsbekenntnisses eine Rolle gespielt haben. Auch wenn für die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft grundsätzlich andere Maßstäbe gelten als für eine strafrechtliche Verurteilung, so ist dennoch klar, dass auch das Abverlangen eines expliziten Bekenntnisses in die (negative) Meinungsfreiheit eingreift.
Formulierung deutet politische Kontroverse an
Die Verhandlungsführenden der Ampel-Fraktionen im Innenausschuss liefern auf LTO-Anfrage unterschiedliche Begründungen. "Mit dem Verzicht auf das ausdrückliche Bekenntnis des Existenzrechtes Israels wollten wir Widersprüche vermeiden, denn auch Teile des strenggläubigen Judentums lehnen den modernen Staat Israel ab", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Stephan Thomae.
SPD-Politiker Demir begründet die Abweichung von dem CDU-Ansatz damit, "ein Bekenntnis zu einem spezifischen Staat wäre eine unvollständige Lösung gewesen. Das friedliche Zusammenleben der Völker und das Verbot eines Angriffskrieges gelten weltweit." Damit schlägt Demir die Brücke zum zweiten Teil des neu eingefügten Bekenntnisses – "zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges". Dieser Teil nimmt Bezug auf völkerrechtliche Grundsätze – und die gelten eben universell. Wer den russischen Angriffskrieg in der Ukraine billigt, darf das neue Einbürgerungsbekenntnis also ebenso wenig abgeben wie jemand, der den Hamas-Angriff auf Israel gutheißt.
Angesichts dieser Statements lässt sich erahnen, wie intensiv im Innenausschuss um die Formulierung gerungen worden ist. Dass es auch in der Ampel Sympathien für ein Israel-Bekenntnis gibt, wird an der neuen Gesetzessystematik deutlich: Der besonders hervorgehobene Schutz jüdischer Menschen und die Geltung universeller völkerrechtlicher Grundsätze sind in demselben Bekenntnis geregelt (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a StAG n.F.), welches aber formal nicht Teil des FDGO-Bekenntnisses (Nr. 1) ist.
Der dritte Filter: Staatsanwaltschaften müssen Antisemitismus-Check durchführen
Zur Durchsetzung dieses impliziten Israel-Bekenntnisses gelten die gleichen Vorschriften wie hinsichtlich des FDGO-Bekenntnisses: Die Einbürgerungsbehörden prüfen vorher, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Bekenntnis unrichtig ist. Eine nachträglich bekannt gewordene Unrichtigkeit kann zur Ausbürgerung gemäß § 35 StAG führen. Die dafür erforderliche vorsätzliche Täuschung wird allerdings nur selten nachzuweisen sein. Denkbar wäre sie etwa im Fall einer nachträglich bekannt gewordenen Verurteilung wegen einer klar antisemitischen Straftat.
Um eine solche schon vor einer Einbürgerung zu erkennen, sieht das StARModG einen Antisemitismus-Check durch die Staatsanwaltschaften vor: Bei bestimmten Straftaten, in denen eine antisemitische oder sonst menschenverachtende Motivation naheliegt, sind die Einbürgerungsbehörden gemäß § 32b StAG n.F. künftig verpflichtet, eine Abfrage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft vorzunehmen. Diese muss dann anhand der Entscheidungsgründe prüfen, ob das Gericht eine antisemitische Motivation festgestellt hat. Denn eine Verurteilung wegen einer antisemitischen, rassistischen oder sonst menschenverachtenden Tat verhindert die Einbürgerung unabhängig von der Strafhöhe (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 12a Abs. 1 S. 2 StAG). Die Abfrage bei der Justiz ist notwendig, da sich die Motivation für eine Straftat nicht aus dem Bundeszentralregister ergibt. Eine Pflicht der Einbürgerungsbehörden, bei den Staatsanwaltschaften nachzuhaken, gab es bislang nicht.
Eine verpflichtende Straftaten-Abfrage einzuführen, dürfte der wirksamste der drei neu eingebauten Filter sein. Allerdings erfordert ihre Umsetzung einen erheblichen bürokratischen Aufwand bei den Staatsanwaltschaften. Denn das Spektrum der Delikte, die gemäß § 32b StAG n.F. künftig eine Abfrage-Pflicht auslösen, ist groß. Grünen-Rechtspolitiker von Notz sieht aber aktuell "keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu einer Überlastung der Staatsanwaltschaften führen wird". Die anderen Vertreter der Ampel-Parteien sehen das auf LTO-Anfrage ähnlich. Allerdings sind viele Staatsanwaltschaften schon jetzt überlastet. Laut FDP-Politiker Thomae ist das Ziel, "Antisemiten von der Einbürgerung fernzuhalten", zu wichtig, "als dass der Einwand eines entstehenden Mehraufwandes überzeugen könnte". Hier wird deutlich, dass dieser Aspekt in den Verhandlungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat.
Reform des Staatsangehörigkeitsrechts: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53715 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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