Ein Verhandlungstag war für den Prozess gegen eine Person angesetzt, die sich an der Gleisblockade am Braunkohlekraftwerk Neurath beteiligt haben soll. Doch massenhaft Beweisanträge verzögern das Verfahren.
"Du bist nicht allein, Du bist nicht allein": Noch als ein Richter die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag verkündet, ertönen die ersten Rufe von Klimaaktivisten von der Straße vor dem Amtsgericht (AG) Grevenbroich herauf zum Verhandlungssaal.
Verhandelt wird hier gegen eine 24-jährige diverse Person aus Oldenburg, die namentlich unter Eike G. geführt wird. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr die Störung öffentlicher Betriebe in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor, §§ 316b Abs. 1 Nr. 2, 113 Abs, 1, 52 Strafgesetzbuch (StGB). Laut Anklage hatte sie sich gemeinsam mit einer zweiten Person an die Schienen gekettet und das Braunkohlekraftwerk Neurath blockiert (Az. 5 Ds 172/22). Der Energiekonzern RWE war deshalb gezwungen, das Kraftwerk teilweise herunterzufahren. Der Person droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.
Der größte Saal des AG der kleinen Stadt in der Nähe von Düsseldorf ist voll besetzt an diesem Dienstag. 15 Personen finden hier Platz – doch die Klimaaktivisten hätten gerne einen größeren Saal und hatten die Verlegung des Prozesses in einen solchen schon beim Prozessauftakt vor gut zwei Wochen beantragt.
Der Antrag wird abgelehnt, ebenso wie der Befangenheitsantrag gegen die Amtsrichterin. Die angeklagte Person hatte moniert, dass sie nicht durchgängig divers angesprochen worden war und auch in der Anklageschrift befinden sich offenbar noch einige Formulierungen, die auf ein binäres Geschlecht hinweisen. Für die Annahme der Befangenheit reichte dies dem zuständigen Richter aber nicht: Aus der möglicherweise vereinzelten Bezeichnung als Frau sei der Person kein Nachteil entstanden. Die genderkorrekte Sprache werde erfolgen.
Eine Aktivistin sitzt im Baum: Vorhänge zu
Bis zur nächsten Irritation dauert es nicht lange: Eine Aktivistin war samt Megafon in den Baum vor dem Gericht geklettert und konnte durchs Fenster in den Sitzungssaal schauen. Noch bevor sie ihr Plakat ausgebreitet hatte, schlossen die Wachtmeister die Vorhänge; die Aktivistin durfte dann im Nieselregel ausharren und kam gut zwei Stunden später freiwillig herunter.
Mit lautstarken Aktionen hätte sie ohnehin nur ihre eigenen Leute gestört: Im Wechsel mit ihrem Wahlverteidiger – ein Mitte- bis Ende zwanzigjähriger Mann, selbst aus der Szene und kein ausgebildeter Jurist, aber ein Mensch, der nach eigenen Angaben schon öfter Personen in ähnlichen Strafverfahren begleitet hat – las die angeklagte Person einen Beweisantrag nach dem anderen vor. 32 sollen es im Laufe des Tages werden – jeder einzelne umfassend auf jeder Menge Papier begründet.
Es fallen auch juristische Begriffe wie Notstand und Rechtfertigung, die Klimaentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Entscheidung des AG Flensburg zum Klimanotstand und gar das Wort Erlaubnistatbestandsirrtum. Viel geht es um die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen, als die Beamt:innen die Person aus den Gleisen entfernten. So lautet ein Beweisantrag auf die Feststellung, dass während dieser Maßnahme medizinisches Personal anwesend sein sollte. Ein weiterer darauf, dass an dem maßgeblichen Tage keines da war.
"Noch viele Anträge mehr"
Andere Anträge lauten auf die Vernehmung von Personenforschern, Professoren, Politikern und Juristen – angefangen von Experten vom Klimainstitut in Potsdam über Robert Habeck, Gerhard Baum in seiner Position als Innenminister zur Zeit der Proteste gegen das Waldsterben während der Proteste bis hin zum BVerfG-Präsidenten Professor Dr. Stephan Harbarth zum Inhalt des Klimabeschlusses. Und auch die Suffragetten müssen herhalten mit ihrem teils gewaltsamen Protest für die Einführung des Frauenwahlrechts.
Die Anträge ziehen sich – die Ausführungen noch mehr, immer wieder unterbricht die Einzelrichterin, um den Saal zu lüften. Nach rund vier Stunden – inklusive Pausen – beendet sie diesen Verhandlungstag um kurz nach 15 Uhr. Weitergehen wird der Prozess an einem dritten Verhandlungstag am 14. Februar, wieder im selben Saal.
Dann werden die Aktivisten mit der Verlesung ihrer Beweisanträge weitermachen. Wie viele sie noch haben, sagen sie weder der Richterin noch der Staatsanwältin. Und auch nicht, wie viel Zeit sie für die Verlesung schätzen. Gegenüber LTO – die auch die Aktivisten nach eigenen Angaben für die Bildung etwa über das Versammlungsrecht nutzen – sagt der Wahlverteidiger, wie er sich selbst bezeichnet, jedoch: "Wir haben noch viele mehr". Und, dass die "Bedürfnisse der Anklage eine ausführliche Darlegung der Sache erfordern."
Justus Waßenberg, zuständiger Pressesprecher vom Landgericht Mönchengladbach, bleibt gelassen: "Irgendwann wird eine Entscheidung ergehen."
Und irgendwann vermutlich auch eine zweite: RWE hat angekündigt, die Person wegen der Blockade auf Schadensersatz in Höhe von 1,4 Millionen Euro zu verklagen.
Prozess um Gleisblockade am Braunkohlekraftwerk Neurath: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50942 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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