Für die gleiche Aktion von Klima-Aktivisten gab es am Amtsgericht Freiburg einen Freispruch und eine Geldstrafe. Die beiden Richter haben unterschiedliche Rechtsansichten. Christian Rath liegen die Urteile vor.
Die Strafbarkeit von Sitzblockaden der Letzten Generation wird von der Justiz nicht einheitlich gesehen. Zwar führen die Aktionen ganz überwiegend zu Verurteilungen wegen Nötigung. Doch immer wieder gibt es Ausreißer.
Besonders plastisch macht dies ein Vorgang am Amtsgericht (AG) Freiburg, das in dieser Woche zwei Urteile an die juristischen Datenbanken übermittelt hat, die für die gleiche Blockade zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kamen. So wurde im ersten Urteil ein Aktivist freigesprochen, während im zweiten Urteil ein anderer Teilnehmer der Blockade eine Geldstrafe erhielt.
Morgens im Berufsverkehr
Es war eine der ersten Klima-Blockaden in Freiburg. Am 7. Februar setzten sich morgens im Berufsverkehr 13 Aktivist:innen auf eine Brücke und blockierten den Verkehr für mehr als eine Stunde. Die Blockade blieb aber friedlich, die Teilnehmer wurden von der Polizei als "kooperativ" gelobt. Und nur jeder Vierte der Teilnehmenden klebte sich auf der Straße an, so dass bei Bedarf sofort eine Rettungsgasse hätte gebildet werden können.
Mehr als ein halbes Jahr später gab es am Amtsgericht Freiburg die ersten Gerichtsverhandlungen. Am 21. November wurde ein heute 31-jähriger NGO-Mitarbeiter freigesprochen (24 Cs 450 Js 18098/22). Das Urteil sorgte bundesweit für Aufsehen. Nur einen Tag später bekam ein 29-jähriger Lehramtsstudent eine Geldstrafe wegen Nötigung in Höhe von 40 Tagessätzen à 10 Euro aufgebrummt (Urteil vom 22. November 2022, Az.: 28 Cs 450 Js 23773/22).
Grund für die Divergenz: Es urteilten zwei unterschiedliche Richter:innen mit unterschiedlichen Rechtsansichten. Der Freispruch stammte von Amtsrichter Ignaz Stegmiller, der laut Badischer Zeitung schon im Gerichtsaal einräumte, dass er eine Minderheitsansicht vertritt. Für die Verurteilung am Tag danach war Amtsrichterin Julia Pfizenmaier verantwortlich. Die nun vorliegenden schriftlichen Begründungen machen deutlich wo die Unterschiede, aber auch wo die Gemeinsamkeiten liegen.
Auf die Verwerflichkeit kommt es an
Klar war, dass es wenn dann nur um eine Bestrafung wegen Nötigung gehen konnte. Die Aktivist:innen brachten den Autoverkehr zum Stehen und nach der Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 20. Juli 1995; Az. 1 StR 126/95) erzeugten sie damit eine physische Barriere für die nachfolgenden Fahrzeuge.
Es kam also gem. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) vor allem darauf an, ob die Nötigungshandlung im Verhältnis zu ihrem Zweck als "verwerflich" eingestuft wird. Bei Blockaden lautet die Frage: Ist die Versammlungsfreiheit höher zu bewerten als die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer:innen?
Dabei waren sich beide Richter:innen einig, dass es hierbei nicht um das Fernziel Klimaschutz gehen kann. Denn der Staat darf die Ziele von Demonstrationen nicht bewerten; er darf nicht unterscheiden zwischen nützlichen, wertvollen Zielen einerseits und mißbilligenswerten Anliegen andererseits. Das ist klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (Senatsbeschluss vom 24.10.2001; BVerfGE, 104, 92, 112), das die Versammlungsfreiheit vor allem als Recht unbeliebter Minderheiten sieht.
Bewertet wird stattdessen, ob der Versammlungszweck und die ausgelöste Behinderung in einem stimmigen Verhältnis stehen. In den maßstabsgebenden Worten des BVerfG (a.a.O.) heißt das: "Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist."
Die Autofahrer:innen als Zufallsopfer?
Und hier unterschieden sich die beiden Urteile fundamental. So wurde der Freispruch von Richter Stegmiller damit begründet, dass Autofahrer "maßgeblich für den CO2-Ausstoß verantwortlich und damit Teil der Klimaproblematik" seien. Auch der Klima-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (Senatsbeschluss vom 24. März 2021, Az.: 1 BvR 2656/18) müsse in die Abwägung eingestellt werden. "Den Autofahrern mit dem drastischen Mittel der Blockade die Endlichkeit des CO2-Budgets und die künftigen, schwerwiegenderen sowie verfassungsrechtlich gebotenen Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit aufzuzeigen", sei im Ergebnis "nicht verwerflich". Dem Urteil ist letztlich also doch große Empathie für das Anliegen der Blockierenden zu entnehmen.
Das zweite Urteil hielt diese Verknüpfung von Verkehr und Klimaschutz dagegen nicht für ausreichend. Es sei nur eine "zufällige Auswahl" von Autofahrern blockiert worden, "ohne Ansehung des genutzten Fahrzeugs und seines jeweiligen Emissionsausstoßes". Daraus schließt Richterin Pfizenmaier "Politische Aktionen, die die Grundrechte zufälliger Dritter beeinträchtigen, gewinnen nicht dadurch an sozialer Erträglichkeit, dass sich die politische Aktion auf ein Thema bezieht, das - wie der Klimaschutz - weitestgehend jedermann betrifft." Letztlich gehe es um die Behinderung der Autofahrer "um der Behinderung selbst willen". Diese "Instrumentalisierung" der Autofahrer sei "verwerflich", so die Begründung der Geldstrafe.
Keine Notstandslage
Richterin Pfizenmaier geht dann auch noch auf die Frage ein, ob ein rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB vorliegt, was sie aber ablehnt: "§ 34 StGB begründet prinzipiell kein Recht des einzelnen, aus seinen persönlichen Glaubens- und Gewissensüberzeugungen notstandsfähige Interessen zu generieren und auf Kosten fremder Rechtsgüter durchzusetzen." Bei Interessen der Allgemeinheit komme es vor allem darauf an, ob der Staat Abhilfe schaffen könnte. Dass die Aktivist:innen, das staatliche Handeln bisher nicht für ausreichend halten, rechtfertige keine Eingriffe in Rechte beliebiger Autofahrer:innen.
Ihr Kollege Stegmiller geht in seinem Urteil auf § 34 StGB nicht ein, weil er ja bereits die Verwerflichkeit verneint. In der Verhandlung hatte er aber deutlich gemacht, dass er die Notstands-Argumentation auch "eher für abwegig" hält.
Beide Urteile sind laut Amtsgericht noch nicht rechtskräftig. Beim Landgericht ist allerdings noch keine Berufung registriert. Die Staatsanwaltschaft hatte aber bereits im November angekündigt, dass sie Rechtsmittel einlegen werde.
Pluralismus am AG Freiburg: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50680 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag