Der Öffnung des Richterberufs für Frauen ging viel Streit voraus. Die ökonomische Pleite der Weimarer Republik und die NS-Ideologie hielten die Gleichberechtigung auf. 1905 machte sich ein prominenter Richter doppelbödig lustig.
Wie stellte man sich vor bald 120 Jahren eine ferne Zukunft vor, in der die Justiz allein in weiblicher Hand liegen würde?
Zu einer "Verbrüderungsfeier des Landgerichts" Köln am 14. Januar 1905 legte Alfred Wieruszowski (1857–1945), Richter am Oberlandesgericht und später Professor der 1919 gegründeten Universität zu Köln, den Schwank "Wenn Frauen richten" vor. Ort seiner kurzen Komödie – ein Akt mit Prolog – ist ein fiktives Amtsgericht bei Köln, die Handlung liegt im Jahr 1953, also knapp 50 Jahre in der Zukunft.
Dem englischen Touristen John Fips, einem schönen, aber naiven Mann, wird vorgeworfen, gegen die deutsche Geschlechter-Gesetzgebung verstoßen zu haben.
Das Gericht besteht aus Amtsgerichtsrätin Camilla Hochgemut sowie den Schöffinnen Kriemhild Gruselmann und Aennchen Allerwelt. Als weiteres Justizpersonal treten die Staatsanwältin Dr. Käthe Schneidig und die Referendarin Fritzi von Dünkel auf, letztere ist gezeichnet vom alkoholgetränkten Akademikerinnenleben, das sie als "alte Herrin" des Korps "Amazonia" in Bonn führt.
In die Handlung führt der Gerichtsdiener Gottlieb Frauenlob ein. Er bleibt neben Strafverteidiger Dr. Ritterlich die einzige männliche Justizperson.
Gerichtsdiener Frauenlob – selbst ein gescheiterter Jurist – erklärt, wie er als Mann doch zu einer Tätigkeit im Amtsgericht kam: "Entrechtet ist der Mann, ein Sklav, / Ein Proletarier, ein Helote, / Ich fand, weil ich besonders brav, / Grad' noch dies Pöstchen hier als Bote, / Der einz'ge Mann der ganzen Schaar, / Sonst aber fast ists unbeschreiblich / Vom Präses bis zum Ref'rendar / In diesen Hallen Alles weiblich."
Von der Justiz unter weiblicher Kontrolle hält Frauenlob wenig. Vor zwölf Uhr Mittag sei ein geordneter Betrieb kaum möglich: "Und Pünktlichkeit? Du lieber Christ! / Die gibt's schon gar nicht gegenwärtig, / Vor zwölf kommt keine! Früher ist / Die Toilette ja nicht fertig!"
Futuristische Richterin greift durch
Mit der Unpünktlichkeit hadert auch Amtsgerichtsrätin Camilla Hochgemut, treffen doch ihre beiden Schöffinnen erst spät ein – nach ausführlicher Morgentoilette und Besuch des mondän-modernen Kaufhauses von Leonard Tietz.
Als die Verhandlung gegen den englischen Touristen endlich beginnt, wird klar, dass sein Vergehen in der Welt der neuen Geschlechterverhältnisse liegt. Vorgeworfen wird ihm, die Zeugin Schmitz als "Miss" beziehungsweise als "Fräulein" angesprochen zu haben.
Hierzu trägt Referendarin Fritzi von Dünkel aus dem "Strafgesetzbuch für die Männer" vor: "Bestimmt wird mit Gesetzeskraft / Im vierundzwanzigsten Kapitel: / Bezeichnung 'Fräulein' abgeschafft! / 'Frau' kommt dem Weibe zu als Titel! / Jedwede werde so genannt: / Der Titel hafte quasi leiblich, / Gleichviel ob ledig, ob bemannt, / Am Kind sogar, soferns nur weiblich. / Verstößen folgt ein streng Gericht. / Gefängnis steht auf solchem Frevel, / Im Rückfall Polizeiaufsicht."
Der politisch engagierten Schöffin Gruselmann ist das Gesetz – vier Wochen Haft für die Verwendung der Anrede "Fräulein" – noch nicht modern genug, sie moniert: "Viel weiter könnte man schon sein, / Und daß sich die Kultur entwickel', / Gründ' momentan ich den Verein / Für die Vertauschung der Artikel, / Und künftig heißts: Der Frau, die Mann."
Bevor das Urteil – man soll sich ja die futuristische Welt von 1953 vorstellen – aus einem Urteilsautomaten gezogen wird ("Ein Thor, der sich noch denkend müht, / Nicht nötig mehr ists gegenwärtig: / Man wirft die Akten ein, man zieht – / da kommt der Spruch 'raus fix und fertig.") bahnt sich Hoffnung für den Angeklagten an.
Denn John Fips ist ein attraktiver Mann, der in seiner Verteidigung den Männerrabatt sucht – er reicht den drei Damen Blumensträuße. Eine der Schöffinnen ist tatsächlich heiratswillig und möchte ihn alsbald in ihre Obhut nehmen.
Diskussion um Frauen in der Justiz
Diese kleine Komödie, von der nicht festzustellen ist, ob sie im Januar 1905 in den Räumen des Oberlandesgerichts Köln am Appellhofplatz szenisch aufgeführt wurde – von Männern in Frauenrollen – oder nur zum mündlichen Vortrag bzw. für den Druck bestimmt war, spielte vor dem Hintergrund einer seriösen rechts- und geschlechterpolitischen Diskussion.
In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war der Kampf um die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium von ersten Erfolgen gekrönt. Das Studium der Rechtswissenschaften blieb für junge Frauen aber vorerst von nur intellektuellem Interesse, denn das Staatsexamen wurde ihnen noch verweigert.
Für Frauenrechtlerinnen, Sozialisten und fortschrittliche Liberale war aber klar, was die Zukunft bringen würde – und in gewisser Weise auch den Konservativen: Dass bei einem feministischen Kongress 1908 behauptet worden war, die Zulassung von Frauen zum Richteramt sei eine Selbstverständlichkeit und "nur noch eine Frage der Zeit" provozierte etwa einen Meinungsartikel in der angesehenen "Deutschen Juristen-Zeitung" (DJZ). Zu ignorieren war der emanzipatorische Elan nicht mehr.
In der DJZ erklärte 1909 ein Amtsrichter Carl aus dem Sprengel des Oberlandesgerichts Breslau zwar, dass die Antwort auf die Frage, ob es wünschenswert sei, Frauen zum Richteramt zuzulassen, ein "kategorisches" Nein sein müsse – seine Argumentation blieb aber seltsam schwach.
So räumte Richter Carl unumwunden ein, dass allein aus ökonomischen und demografischen Gründen die Beschäftigung von Frauen in den modernen Berufen – "Telephonistinnen, Telegraphengehilfinnen, weibliche Schalterbeamte, Bibliothekare, Aufsichtsbeamte usf., aber auch weibliche Akademiker, insbesondere Ärzte" – unumgänglich sei. Auch fehle es – ausgewiesen durch die Universitätsprüfungen – Frauen nicht am intellektuellen Vermögen, Jurist zu werden.
Sein Haupteinwand gegen Richterinnen wirkte daher wenig schlagend: "(D)ieser Beruf verlangt insonderheit autoritatives Auftreten. Mit seinem Amte wird dem Richter zugleich die stellvertretende Autorität des Staates bzw. seines Herrschers übertragen."
Angesichts des Fortschrittsgeists regte er an, um die "Durchbrechung des Prinzips" der männlichen Staatsgewalt zu vermeiden, immerhin Schöffinnen bei Jugendsachen mit weiblichen Angeklagten zu etablieren.
Eskalation eines "Geschlechterkampfs"?
Von diesem ohnehin nur in krummer juristischer Logik "kategorischen" Nein mochte sich die deutsche Justiz nach dem Ersten Weltkrieg nicht – wie in einigen westlichen Staaten – durch die Praxis von Laienrichterinnen oder Anwältinnen, also durch Gewöhnung, verabschieden.
Obwohl die Position männlicher Juristen kaum bedroht war – 1914 gab es nach Zahlen von Oda Cordes nur 45 freiberufliche Anwältinnen, aber bereits rund 600 Ärztinnen und Zahnärztinnen – verschärfte sich der Streit um die Zulassung von Richterinnen in den frühen Jahren der Weimarer Republik.
Im Vorfeld der Regelung durch das "Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege" vom 11. Juli 1922 äußerten führende Stimmen der Richterschaft verstärkt Bedenken wegen der "psychischen Eignung der Frau". Es sei "eine schwere Gefährdung des Ansehens der Gerichte" zu befürchten, wenn Männer einer von Frauen ausgeübten rechtsprechenden Gewalt ausgeliefert würden. Der Deutsche Anwaltverein bekundete 1922 gar, dass die Zulassung von Frauen zu einer "Schädigung der Rechtspflege" führen müsse.
Dass die Geschlechterfrage nun auch soziobiologisch zugespitzt wurde, beruhte gewiss auf einer alten deutschen Lebenslüge: So edelmütig jede politische Position hierzulande vertreten sein will, durften die schlichten ökonomischen Verhältnisse des bis dahin üblichen Berufszugangs nicht angesprochen werden. Wer aber in den 1920er Jahren als Anwalt oder Richter tätig war, hatte nicht nur Jahre eines Studiums auf Kosten des Elternhauses, sondern auch mehrere Jahre unbezahlter (!) Arbeit im Vorbereitungsdienst ("Stagierte im heiligen Cöllen vier Jahr / Mit Eifer und ohne Gehalt.") hinter sich gebracht.
Man sprach also öffentlich lieber von der vermeintlich objektiven Natur der Geschlechterverhältnisse, dachte insgeheim aber wohl an Jahre ökonomischer Entbehrungen und die durch sie sicher geglaubten ökonomischen Besitzstände.
Insgesamt blieben die Verhältnisse für Juristinnen ungünstig: Die Kündigung drohte verheirateten Beamtinnen und Richterinnen in den kurzen 14 Jahren der Weimarer Republik beinahe durchgängig: Nach Artikel 14 Personal-Abbau-Verordnung vom 27. Oktober 1923 und Gesetz über die Rechtstellung der weiblichen Beamten vom 30. Mai 1932 galt der Grundsatz, dass Frauen mit Unterhaltsansprüchen gegen den Gatten nicht staatlich alimentiert werden sollten.
Nach 1933 wurden die Bedingungen noch schwieriger.
Geschlechterklischees in den Rollen oder im Kopf des Richters?
Und, war Alfred Wieruszowski nun ein misogyner Feind weiblicher Juristen, der den Fortschritt feministischer Rechtspflege darin sah, dass es in Gerichten besser duften würde: – "Doch jetzt, wo sich das Weibervolk / Verschmitzt, zu schlichten alle Händel, / Soll immer wehen eine Wolk / Vom Moschus, Veilchen und Lavendel" – meinte er diese überdrehten Geschlechterklischees ernst oder hielt er seinen männlichen Zunftgenossen den Spiegel vor?
Einiges spricht dafür, hier eine günstige Entscheidung aus dem Moralurteilsautomaten zu ziehen. Denn mit seiner ersten Frau, der 1919 verstorbenen Jenny Landsberg – einer der vielen in Vergessenheit geratenen Frauenrechtlerinnen aus dem jüdischen Bürgertum – machte sich Wieruszowski in Köln für die Gymnasialbildung von Mädchen stark. Beide Töchter der evangelisch getauften Familie leisteten in ihren Fächern – der Kirchenmusik und der Mediävistik – später Großes.
In Köln erinnert man sich übrigens an Wieruszowski, wenn überhaupt, als Gatten seiner zweiten Frau – aber das ist eine andere, hässliche Geschichte.
Komödie über die Sorge vor Frauen in die Justiz: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48654 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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