Robust ging es zu, im Deutschland des Jahres 1910. Der Kaiser konnte viel Unfug reden und trotzdem im Amt bleiben. Aber auch der Untertan, der preußische Ehemann, verfügte über robuste Rechte, um über Frau und Gesinde zu herrschen. Martin Rath über ein Urteil des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts, das ein Schlaglicht wirft auf männliche Omnipotenz und weibliche Ohmacht.
In einem herrschaftlichen Haushalt des Jahres 1909 hing der Haussegen schief. Der Mann hatte sich ausquartiert, die Gattin wollte – offenbar endgültig – ausziehen. Doch verweigerte die Dienerschaft allen herbeigerufenen Helfern den Zutritt. Ihr Gepäck, angesichts ihres weiteren Lebensweges vermutlich eher umfangreich, hätte die Dame also allein tragen müssen. Als der zuständige Polizeirevier-Vorsteher die Szene betrat, veränderte das die Lage: Das Gesinde ließ die Gepäckträger hinein, die Dame hinaus.
Gegen das Eingreifen des preußischen Polizisten prozessierte der verlassene Ehemann. Gekränkte Ehre spielte eine Rolle, wollte er sich doch keine Freiheitsberaubung vorwerfen lassen. Das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht gab ihm auch darin recht (PrOVGE 58, 264-269). Es urteilte am 28. Oktober 1910, dass der Polizist durch seine "passive Assistenz" unzulässig in einen zivilrechtlich auszutragenden Streit unter Eheleuten eingegriffen habe.
In der juristischen Lehrbuchliteratur wird der Fall gelegentlich noch als Beispiel für die Abgrenzung von polizeirechtlichem Real- und Verwaltungsakt behandelt. Das Problem: Mehr als bloße Anwesenheit hatte der Polizist ja nicht gezeigt. Bei den Hausdienern hatte das aber schon genügend Eindruck gemacht. Der preußische Schupo hatte es eben leichter als sein Kollege heute.
Diese Einschränkung aufs dogmatisch Wesentliche ist ein bisschen schade, lässt sich anhand der sozialen Umstände, die das Urteil überliefert, doch auch interessante juristische Zeitgeschichte illustrieren.
Ohnmacht der Ehefrau – Wille des Gesetzes
Das Oberverwaltungsgericht urteilte 1910, dass die Frau keiner Freiheitsberaubung ausgesetzt gewesen sei. Ohne diese Feststellung habe der Polizist aber nicht eingreifen dürfen. Eine Nötigung blieb ungeprüft.
Eine trennungswillige Ehegattin möchte die Wohnung verlassen, wird aber von der Dienerschaft gehindert, irgendetwas mehr bei sich zu führen als die Kleidung an ihrem Leib. Gepäckträgern den Zutritt zur Wohnung zu verweigern, war das kein Eingriff in schützenswerte Rechte der Frau?
Nach dem Ehegüterrecht, wie es das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner Ursprungsfassung aus dem Jahr 1900 normierte, keineswegs. Die zeitgenössische Frauenrechtlerin und Rechtshistorikerin Marianne Weber (1870-1954) hatte der Kodifikation eine "immer wiederkehrende Rücksichtnahme auf die männliche Geschlechtseitelkeit" attestiert.
Zwar sprachen die Väter des BGB der Ehefrau nicht gänzlich die Vertragsfreiheit ab, man lebte ja in den Hochzeiten des Liberalismus. Andererseits blieb es, trotz einiger Bemühungen des zuständigen BGB-Redakteurs Gottlieb Planck (1824-1910) bei der fast omnipotenten Stellung des Mannes in der Ehe: Im Regime der irreführend so genannten "Verwaltungsgemeinschaft" verwaltete der Mann das Vermögen seiner Frau – nur Grundbesitz und langfristige Kapitalanlagen blieben seinem Zugriff entzogen.
Das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht konnte 1910 von Gesetzes wegen also keinen Skandal daran entdecken, dass ein Ehemann seine Frau darin hinderte, die Wohnung mit mehr Dingen zu verlassen als der Kleidung am Körper.
Und natürlich verletzte ein Polizist die Rechte des kleinen Hausmonarchen, wenn er der Frau eben dies ermöglichte.
Gesinde vor "Hartz IV"
Etwas pikant ist, dass sich das Gericht auf die Zeugenaussagen der Hausdienerschaft stützt. Was es vor 1918 – dem Jahr, in dem die Deutschen die Revolution ausprobierten – hieß, zum "Gesinde" zu gehören, lässt sich aus der arbeitsrechtlich wohlversorgten Gegenwart betrachtet kaum noch verstehen.
In Preußen galt 1910 noch die Gesindeordnung aus absolutistischen Zeiten, nur wenig angeweht vom liberalen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Den Mägden und Knechten auf dem Land, der Hausdienerschaft in der Stadt – kurz: dem Gesinde – war es nicht erlaubt, das Haus längerfristig ohne Erlaubnis der Herrschaft zu verlassen. Zu streiken war ihnen, anders als gewerblichen Arbeitern, strikt verboten. Die sexuelle Verfügbarkeit weiblichen Dienstpersonals war in großbürgerlichen Haushalten kein Stoff von Groschenromanen, sondern Realität.
Aufrechterhalten wurden solche Zustände durch die gesetzlich normierte Ohnmacht des Gesindes. Es hing von der guten Meinung seines Herrn ab, denn ein Dienstbuch war gesetzlich vorgeschrieben. Und ein negativer Eintrag kam einem Berufsverbot gleich. Und das in Zeiten vor "Hartz IV".
Natürlich fragten sich hohe preußische Richter des Jahres 1910 nicht, ob Hausdienerschaft unter solchen Umständen gute, weil unbefangene Zeugen abgab.
Das Gewaltschutzgesetz – Rechtswandel um 180°?
Glücklicherweise wird heute kein Polizist mehr richterlich getadelt, weil er einer trennungswilligen Ehefrau den Auszug samt ihrer Siebensachen erleichtert hat. Nach 1949 begann das Ehegüterrecht ja eine andere Sprache zu sprechen.
Und nicht nur das Ehegüterrecht schützt heute kaum mehr eine "männliche Geschlechtseitelkeit". Eine Ehefrau wollte in der Rechtsordnung von 1900 arbeiten gehen? Nicht gegen den Willen ihres Gatten. Sich von ihm trennen? Schwer möglich, wenn Scheidung vom Schuldbeweis gegen den anderen abhängt. Die Ehefrau möchte wenigstens ausziehen? Ja, lässt der Ehemann den Gepäckträger in die Wohnung?
Dass Antworten heute anders ausfallen als zu Kaisers Zeiten, hängt inzwischen aber – leider, vielleicht – nicht nur vom Wandel der Zivilrechtsordnung ab. Denn seit dem 1. Januar 2002 ist das Gewaltschutzgesetz in Kraft.
Bedauerlicherweise zeichnet, wenn nicht das Gesetz selbst, so doch die regierungsamtliche Begleitprosa ein Bild ubiquitärer weiblicher Ohnmacht und männlicher Gewaltpotenziale. Fast so, als habe sich seit Wilhelm II. wenig getan. Der Mainzer Kriminologie-Professor Michael Bock merkte einmal kritisch an: "Das Gewaltschutzgesetz geht von einem 'Feindbild Mann' aus, das empirisch nicht haltbar ist."
Das ist ein hartes Wort, aber vermutlich angebracht.
Denn, dass Männer als Fürsten von "Balkonesien" zivilrechtlich seit 1949 peu à peu bereits entthront worden sind, diese Erkenntnis hat sich der Gesetzgeber 2001/2002 nicht recht zu eigen gemacht. Auch nicht die Erkenntnis, dass das Vor-Urteil vom gewalttätigen Mann empirisch umstritten ist.
Bei aller Nervenstärke und Gewaltfreiheit, die man in eigenen Beziehungskonflikten gerne pflegt, bleibt im Allgemeinen also zu hoffen: Diese Erkenntnisse sind zumindest polizeibekannt.
Der Autor Martin Rath ist Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Polizeirecht 1910 - Gewaltschutz heute: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1056 (abgerufen am: 14.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag