Am 12. Juli feiert der pazifische Kleinstaat Kiribati seit 1979 seine Unabhängigkeit von Großbritannien. In einigen Jahrzehnten könnte dieser Staat komplett unter Wasser liegen. Martin Rath über den Klimawandel als Fluchtgrund.
Ioane Teitiota, ein Mann von bald 40 Jahren, darf als der bekannteste Bürger des Staates Kiribati gelten. Schon deshalb, weil man im Zweifel keinen anderen kennt. In dieser harmlosen Bekanntschaft versteckt sich schon das ganze Problem. Denn entweder reibt man sich die Augen und zuckt dann mit den Schultern oder lächelt wissend, soweit man jedenfalls geografisch bewandert ist und den Flecken auf der Karte findet.
Vor zwei Jahren stand Ioane Teitiota einmal kurz im Licht einer nicht nur juristischen Öffentlichkeit. Dass er es nicht zur dauerhaften Bekanntheit eines Edward Snowden gebracht hat, mag auch an seinem Rechtsanwalt liegen. Davon unabhängig ist es ein wenig beunruhigend, dass seine Sache nicht mehr Aufmerksamkeit erhielt, denn das Rechtsproblem des Untergangs könnte in Zeiten des Klimawandels noch Konjunktur erfahren.
Neuseeland verlost Aufenthaltstitel
Kiribati ist, wie Kinder ganz bestimmt nicht im Erdkundeunterricht lernen, ein winziger Pazifikstaat von 811 Quadratkilometern. Sie verteilen sich auf 32 Atolle und eine gesonderte Insel. Allzu viele Möglichkeiten, im Leben beispielsweise beruflich vorwärts zu kommen, bieten sich den gut 100.000 Bürgern Kiribatis in ihrer Heimat nicht. Dieser Umstand spiegelt sich, wie sich gleich zeigen wird, in einigen interessanten Entscheidungen neuseeländischer Gerichte wieder.
Mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern und 270.000 Quadratkilometern mag Neuseeland für die Bürger umliegender Pazifikinseln ungefähr das sein, was Berlin für manche Menschen in den Gurkenanbaugebieten Brandenburgs oder den Mediennachwuchsakademien Schwabens ist: eine Insel voll zweifelhafter Verheißungen für das berufliche und private Fortkommen.
Ioane Teitiota zählte zu jenen kiribatischen Bürgern, die es im benachbarten Neuseeland, will man bei 4000 Kilometern Pazifik zwischen den Staaten noch von Nachbarschaft sprechen, versuchten. Eine Möglichkeit, zu einem legalen Aufenthaltstitel zu kommen, bestand für ihn darin, an einer Auslosung teilzunehmen. Auch unter Bürgern der weitläufigen pazifischen Nachbarschaft verlost Neuseeland, eine gewisse berufliche Leistungsfähigkeit der Kandidaten vorausgesetzt, das Zuwanderungsrecht.
Umwege der Migrationsbemühten
Ziehen die Bürger Kiribatis nicht dieses Los, nimmt ihr Aufenthalt in Neuseeland von Rechts wegen einen ähnlichen Verlauf wie in anderen Einwanderungsländern dieser Welt: Menschen reisen als Touristen, zum Studium oder auf Verwandtschaftsbesuch ein. Es beginnt die Suche nach einem Rechtsgrund, der einen längeren Aufenthalt erlaubt. Oft hat das mehr mit biografischen Unwägbarkeiten zu tun als mit dem viel beschworenen Wort, die Leute wollten sich damit ein Leben im Aufnahmeland erschleichen.
Neuseeland publiziert viele Entscheidungen, die unter anderem von der "Removal Review Authority" hierzu getroffen werden. Ein Beispiel für die These von der biografischen Unwägbarkeit mag der Fall einer jungen Akademikerin kiribatischer Herkunft geben: Ihre akademischen Leistungen, der Umstand, dass sie unverhofft schwanger wurde, ihr Vorbringen zum Kindeswohl, zur psychischen Erkrankung des Kindsvaters und zu anderen Fragen des öffentlichen Interesses daran, sie zur Ausreise zu nötigen oder ihren weiteren Aufenthalt zu gestatten, werden in einer Entscheidung von großer sprachlicher und gedanklicher Klarheit zusammengefasst (PDF). Man wünschte, deutsche Behörden würden durchgängig im neuseeländischen Stil formulieren. Deutschland würde von Amts wegen paradiesisch.
Im Fall von Ioane Teitiota kam es 2013/14 zu einem kurzen Aufblitzen einer öffentlichen Aufmerksamkeit, die obskure Ausländerrechtsprobleme am anderen Ende der Welt für gewöhnlich nicht auf sich ziehen: Er stützte seine Argumentation wesentlich darauf, dass Kiribati vom Klimawandel nachteilig betroffen sei.
Die landwirtschaftliche Produktion auf den Inseln Kiribatis, das gilt als behördlich anerkannte Tatsache, leidet darunter, dass die Süßwasserbestände durch eindringendes Salzwasser unbrauchbar werden. Ein steigender Meeresspiegel und die vermehrten tropischen Stürme, die auf den Klimawandel zurückgeführt werden, machen auch alle anderen ökonomischen Grundlagen Kiribatis verwundbar, soweit sie nicht schon gelegentlicher Zerstörung anheimfielen.
Klimawandel und Migration: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16187 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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