Nenn mir deine Marke, und ich nenne dir dein Fach. Bei keiner Gruppe von Studenten und Berufsträgern funktioniert dieses Spiel so zuverlässig wie bei Juristen. Aber woher kommen die ungeschriebenen Regeln des juristischen Dresscodes eigentlich? Welche geschichtlichen, geographischen und (pop-)kulturellen Einflüsse haben ihn geprägt? Anekdoten und Antworten liefert Alexander Grau.
Der Bootsschuh früher und heute – eine Galerie
Menschen sind mitunter seltsame Wesen: Mitten in der Stadt und auf dem Weg zum Büro tragen sie Hunting Jackets, auch wenn sie noch nie ein Gewehr in der Hand hatten, Zeitgenossen mit gefestigter antimilitaristischer Gesinnung schmeißen sich in Parka oder Camouflagehosen, und die Kreativen von Berlin Mitte latschen in Arbeiterstiefeln in ihr Start-up-Unternehmen.
Da verwundert es nicht, dass zur Standardausrüstung jedes ordentlichen Juristen die obligatorischen Bootsschuhe gehören, auch wenn die nächste Küste oder zumindest der nächste Binnensee mehrere hundert Kilometer entfernt liegen. Dabei sind die klassischen Bootsschuhe tatsächlich von einem Segler erfunden worden. Zum – man mag es kaum glauben: – Segeln.
Die Hundepfote
1935 war der passionierte Segler Paul Sperry es leid, an Bord seines Bootes über die Planken zu schlittern. Bei einem winterlichen Spaziergang – so geht zumindest die Legende – beobachtete Sperry, wie sein Cockerspaniel "Prince" auch auf vereistem Untergrund problemlos umhertollte, während er selbst hilflos herumeierte. Also schaute sich der Hobbysegler die Pfoten seines Hundes etwas genauer an.
In eine Gummiplatte schnitzte Sperry daraufhin die Struktur der Pfoten seines Vierbeiners. Das Ergebnis war so überzeugend, dass er bei einem Schuhmacher einen Segelschuh mit entsprechendem Profil in Auftrag gab. Der Prototyp des legendären "Top Sider" war geboren.
Sperry war nicht nur leidenschaftlicher Segler, sondern stammte aus einer Familie mit seemännischer Tradition. Er selbst hatte im Ersten Weltkrieg in der US Navy gedient. Vor allem aber hatte er Geschäftssinn. Das führte dazu, dass in den 40er Jahren jeder Segler, der etwas auf sich hielt, die neuen Top-Spider-Schuhe tragen musste. Und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, sicherte sich Sperry einen lukrativen Vertrag mit dem amerikanischen Kriegsministerium, um die Matrosen der US-Marine mit rutschfesten Stiefeln auszustatten.
An Bord der "Manitou"
Dann kamen die 50er Jahre und mit ihnen der Aufstieg des "Preppy Styles", der für viele juristische Modeerscheinungen prägend ist, und dem an dieser Stelle in Zukunft vielleicht noch ein eigener Beitrag zufallen wird.
Entstanden ist der Preppy-Look an den Ivy-League Universitäten Neuenglands, und zu seinen klassischen Elementen gehört neben Button-Down-Hemd, Penny Loafer, Chinos und farbenfrohen Socken eigentlich alles, was irgendwie nach den sportlichen Insignien der Schönen und Erfolgreichen aussieht: Polo Hemden zum Beispiel, Cricketpullover oder eben – Segelschuhe. Hinzu kam, dass die entsprechenden sozialen Milieus der amerikanischen Ostküste ohnehin sehr segelaffin waren und sind.
Das wird besonders bei dem Mann deutlich, der wie kaum ein anderer dazu beitrug, den Preppy Look zu verbreiten: John F. Kennedy. Bei seinen Urlauben in Hyannis Port und auf seiner Segelyacht "Manitou" trug der 35. Präsident der Vereinigten Staaten publikumswirksam seine Sperry-Segelschuhe.
Zum Winterschuh mutiert
In den USA gehört die Firma Sperry immer noch zu den Marktführern. Etwas anders sieht es in Deutschland aus. Hier werden Bootsschuhe vor allem mit einem Unternehmen aus Stratham, New Hampshire verbunden, das allgemein für Outdoor-Bekleidung bekannt ist und bei einigen Modellen unter die klassische Mokassinform des Top-Spiders eine rustikale Wintersohle klebte. Das machte den Schuh deutschlandtauglich.
Seinen großen Auftritt hatte der mutierte Segelschuh dann in den 90ern, als er zum obligatorischen Begleiter von Jeans und Wachsjacke wurde. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert. Vor allem in Milieus, die den Rechtswissenschaften nahe stehen, wie gesagt.
Bleibt die Frage nach dem 'Warum?'. Denn auf den ersten Blick wirkt ein Segelschuh mit Holzfällersohle in einer deutschen Fußgängerzone vor allem absonderlich. Andererseits haben die Träger dieses Looks intuitiv begriffen, dass er auf geniale Weise mehrere Botschaften zugleich aussendet: das maritime Ostküsten-Erbe signalisiert immer noch eine gewisse Exklusivität, und in der rustikalen Outdoorvariante kokettiert er zudem mit Bodenständigkeit und einem britischen Landadelsimage – auch wenn ein britischer Landadliger diese Treter nie im Leben tragen würde.
Auf die Strümpfe kommt es an
Alles zusammengenommen strahlen diese Schuhe eine gewisse konservative Seriosität aus, etwas langweilig vielleicht und sicher nicht besonders modisch wagemutig, aber genau das mach sie für den Juristen interessant. Denn der muss vor allem solide wirken. Und dagegen ist im Grunde wenig einzuwenden.
Bleibt abschließend nur ein Punkt – die Strümpfe. Da kann es nur heißen: wenn schon, denn schon. Das ganze Arrangement ist so konservativ, dass es unbedingt eines Kontrastes bedarf, einer ironischen Brechung: rote Strümpfe, geringelte Strümpfe, gepunktete Strümpfe oder was auch immer. Sonst sieht der Jurist aus wie ein BWLer. Und das wollen wir ja nun wirklich nicht.
Ach so: Zu dem klassischen Top-Spider sind Strümpfe jeder Art natürlich ein absolutes No-Go.
Alexander Grau, Juristenmode - Der Bootsschuh: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13666 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag