Neben dem populären "Tag des offenen Denkmals" im September sieht der u. a. von der UNESCO initiierte "Internationale Denkmaltag" etwas blass aus. Unsichtbare Denkmale sind vielleicht überhaupt die besten.
Bismarck soll erst der Kopf abgetrennt werden, um ihn im Anschluss zeremoniell mit einem Pferde-Fuhrwerk fortzuschaffen. Gegenstand dieser Enthauptungsabsicht ist das mit 34 Metern Gesamthöhe tatsächlich etwas groß geratene Denkmal, mit dem die Stadt Hamburg zwischen 1901 und 1906 ihre Verehrung für den preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) in Stein meißeln ließ.
Die Pferde kommen übrigens nach der Idee des evangelischen Geistlichen und "Gedenkkultur-Experten" Ulrich Hentschel beim Abtransport deshalb ins Spiel, um eine rituelle Umkehr zu bewirken: Der Kopf war 1906 mit echten Pferde-Stärken herangeschafft worden.
So reizvoll solche Ideen auch sind, die Gutachten der für Denkmal- und Tierschutz zuständigen Juristen (d/m/w) werden sicher spannend: Die Auseinandersetzung mit Zeugnissen der Vergangenheit oder der amtlichen Erinnerungskultur war schon einmal subtiler.
Beispiele für (beinahe) unsichtbare Denkmale
Einen guten Überblick zu Denkmalen, deren Motiv gerade darin besteht, annähernd unsichtbar zu werden, gab der Kunsthistoriker Günter Metken (1928–2000) bereits 1994 in der Zeitschrift "Merkur" (Heft 543, S. 478–490).
Zu den Beispielen Metkens zählen etwa die vom deutschen Künstler Lothar Baumgarten (1944–2018) gestalteten Deckenfenster für die Skulpturenhalle des Carnegie Museums in Pittsburgh. Auf den Fluren der Halle sind Abgüsse von Figuren der griechischen und römischen Antike zu bewundern – ästhetische Mitbringsel der europäischen Einwanderer, kunsthistorisch verwandt mit der klassizistischen Staatsarchitektur in Washington. In den Deckenfenstern eingeprägt hingegen ist das eigenständige Alphabet der Cherokee, das im Jahr 1821 von Ssiquoya (1770–1843) entwickelt wurde, einem Angehörigen dieser indigenen amerikanischen Nation.
Das "Mahnmal gegen den Faschismus" in Hamburg-Harburg wurde von den Künstlern Esther Shalev-Gerz (1948–) und Jochen Gerz (1940–) in Gestalt einer zwölf Meter hohen Stahlsäule angelegt, die nach und nach im Erdboden versenkt wurde, nachdem das Publikum Gelegenheit hatte, seine Vorstellungen vom historischen Erinnern mittels Stahlstiften einzugravieren.
Auf dem Berliner Bebelplatz findet sich mit dem Denkmal zur Erinnerung an die dort 1933 inszenierte Bücherverbrennung ein weiteres Beispiel: Im Erdboden versenkt sind leere Bücherregale durch eine Glasplatte zu sehen – sofern diese nicht zu verkratzt und verschmutzt ist, weil sich die Stadt Berlin hier neben einem Ort zur Erinnerung an die Bücherverbrennungen augenscheinlich auch noch eine Gedenkstätte für die Kunst schaffen musste, wie stiftungsrechtliche bzw. Public-Private-Partnership-Verträge besser nicht aussehen sollten.
Denkmale mit juristisch erweiterungsfähiger Bedeutung wie Sand am Meer?
Es wird gegenwärtig zwar gerne bis zur Absurdität dafür gestritten, dass Zeichen eine mehr oder minder feststehende, keiner Auslegung mehr zugängliche Bedeutung haben. Ein derart stark an der Vielfalt von Deutungen interessiertes Fach wie die Jurisprudenz könnte aber gerade deshalb ihre Chancen entdecken, die Welt etwas weniger eindeutig zu machen.
Wenn es etwa – parallel zum Kampf um Eindeutigkeit ("Z-Wort", "N-Wort") – geboten sein soll, die Wahrnehmung der Geschlechter dahin zu verändern, dass ein Mensch als Frau oder als Mann nicht geboren, sondern "gelesen wird" – warum nicht auch das einst symbolisch gedachte Gerümpel, das im öffentlichen Raum herumsteht, anders und juristisch "lesen"?
Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen erkannte beispielsweise in dem Anliegen der Nationaldemokratischen Partei (NPD), im Juni des Jahres 1950 am Niederwalddenkmal eine Kundgebung abzuhalten, die Gefahr "nach innen hin den Boden für nationalistische Bestrebungen" zu "bereiten und nach außen hin den Gedanken einer Völkerverständigung" zu gefährden, weshalb sich diese NPD gemäß Artikel 17 Abs. 1 Hessische Verfassung nach einem Urteil vom 4. August 1950 (Az. P.St. 66) nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen durfte.
Damit "las" der Staatsgerichtshof das pompöse, Fürstenherrschaft und militärischen Ruhm feiernde Niederwalddenkmal unweit der Stadt Rüdesheim augenscheinlich noch so, wie es seine Erbauer gedacht hatten – also als Ausdruck ihrer Furcht vor französischer Fremdherrschaft und dem Stolz, sie überwunden zu haben.
Inzwischen ließe sich der Wilhelminische Kitsch zwischen Weinbergen anders "lesen": Beispielsweise daran, dass hier den Vertretern der hessischen NPD – die heutige wurde erst 1964 gegründet – explizit die Grundrechtsausübung im Geist der wehrhaften Demokratie untersagt wurde.
Erinnern sollte dieser Ort, ob durch Zeichen kenntlich gemacht oder nicht, auch daran, dass anlässlich der Einweihung des Niederwalddenkmals am 28. Oktober 1883 einige Anarchisten den erstaunlich unbeholfenen Versuch machten, den Festzug der erlauchten Gäste in die Luft zu sprengen. Das Reichsgericht urteilte im Jahr darauf hart.
Der Versuch, die gekrönten Häupter mit Hilfe einer selbst gedrehten, feucht gewordenen Lunte zu töten, und die nachfolgenden Todesurteile sind wenig präsent im historischen Bewusstsein – fast unsichtbar.
"Betender Landmann" in der westfälischen Provinz
Während es plausibel erscheint, dass an einem so prominenten Objekt wie dem Niederwalddenkmal zahlreiche Aspekte der deutschen Polizei-, Straf- und Staatsrechtsgeschichte zu "lesen" sind, wirkt dies für die üblichen Ausstellungsstücke in den Fußgängerzonen der deutschen Provinz weniger nahe liegend. Doch kann es sich lohnen, nach den Geschichten zu suchen, die sich mit harmloseren Gegenständen verbinden lassen.
Als Beispiel mag sich der "Betende Landmann" anbieten, eine Metallfigur auf einem Marktplatz der westfälischen Stadt Rheda-Wiedenbrück. Zu sehen ist die Skulptur eines Mannes, dessen Kleidung und Haltung seine Zugehörigkeit zum einfachen Volk ausdrücken soll. Statt – wie bei der ersten Aufstellung im Jahr 1903 vielfach obrigkeitlich befürchtet – von der Revolution zu träumen, wird der Mann im Gebet gezeigt.
Im Ersten Weltkrieg zwecks Verwertung in der Rüstung nur vorübergehend beseitigt, im Zweiten Weltkrieg dann tatsächlich eingeschmolzen, wurde der "Betende Landmann" 1952 wiederhergestellt – wobei die örtliche Überlieferung nur von einer "kleinen Kontroverse" um die Auftragsvergabe wissen will.
Mit Hilfe des Bundesgerichtshofs (BGH) lässt sich viel mehr in die harmlose Figur hineinlesen, die ursprünglich vom Künstler Bernhard Heising (1865–1903) im Auftrag des preußischen Karrierebeamten Ernst Osterrath (1851–1925) geschaffen worden war.
So war der Stadtdirektor von Wiedenbrück nicht nur aus den Kreisen eines Künstlers, der sich Hoffnungen gemacht hatte, den Nachguss des kriegsbedingt eingeschmolzenen "Betenden Landmanns" zu fertigen, wegen vermeintlicher Günstlingswirtschaft bei der Auftragsvergabe angefeindet worden. Ausführlich setzten sich das Landgericht Bielefeld und der BGH auch mit dem Vorwurf auseinander, der Beamte habe sich in betrunkenem Zustand unsittlich entblößt – eine ehrverletzende Behauptung, für die der Wahrheitsbeweis nicht angetreten werden konnte (BGH, Urt. v. 29.19.1953, Az. 4 StR 325/53). In diesem Licht betrachtet hat es die harmlose Figur also faustdick hinter den Ohren.
Schrecken und Profanisierung des Einschmelzens
Nicht allein in Gerichtsakten und Urteilen liegt eine zusätzliche Lesart für allerlei Kunstobjekte verborgen, die jeden afrikanischen oder asiatischen Ethnologen freuen müsste, sollte er Zeit für die deutschen Stammesbräuche aufbringen. Auch der Gesetzgeber leistete seinen Beitrag.
Mit Schreiben vom 13. März 1923 legte etwa Reichswirtschaftsminister Johann Becker (1869–1951) dem Reichstag einen Gesetzentwurf vor, der den Handel mit allen Metallen, abgesehen von Gold, Silber oder Platin, unter ähnliche Buchführungspflichten wie das Geschäft mit Opiaten stellte. Nach § 18 des "Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen" sollte zudem wegen "schweren Diebstahls" bestraft werden, wer "einen Diebstahl an einem Gegenstand aus unedlem Metalle begeht, der zum öffentlichen Nutzen dient oder öffentlich aufgestellt ist".
Während die Begründung zum Entwurf noch andeutete, dass neben dem Diebstahl von Drähten im Telegrafen- oder von Bolzen im Eisenbahnwesen auch der schockierenden Praxis begegnet werden sollte, öffentlich aufgestellte Denkmäler zu stehlen, dehnten das Reichsgericht und der BGH die Bedeutung von "aufstellen" auf jedweden unedlen Metallgegenstand aus, der unbeaufsichtigt im öffentlichen Raum zu finden war (RG, Urt. v. 14.02.1924, Az. II 88/24).
Juristen, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, können also in jedem unedlen Metallgegenstand im öffentlichen Raum ein kleines Denkmal für eine großzügige Auslegung des Strafgesetzes entdecken.
Kulturwissenschaftliche Aufklärung über Denkmale
Ob die aktuelle, oft heftige Kontroverse um die Bedeutung von Gegenständen im öffentlichen Raum dazu führen wird, dass sie auch vermehrt mit juristischen Deutungen angereichert wird? Man weiß nicht, ob das überhaupt wünschenswert wäre.
Wenn es aber zum Streit um sichtbare, vermeintlich eindeutige und meist halsstarrig "gelesene" Denkmale kommt – etwa den schrecklichen Bismarck in Hamburg – sollte eine Lesart erwogen werden, die der Kölner Schriftsteller Albrecht Fabri (1911–1998) vorschlug: "Die Gesellschaft stößt, was das Gewohnte überragt und durchbricht, nicht nur nicht aus, sie stellt es sogar auf einen Sockel. Sie sieht im wörtlichen wie im übertragenen Sinn zu ihm auf ... Oder wäre der Sockel nur eine andere Form der Ausstoßung?" – Ob Fürsten-Denkmal oder Juristenfestschrift, mit Fabri ließe sich vermuten: Im Akt des Rühmens könnte ein Vorgang des Abkapselns liegen, getragen vom Wunsch, sich im Alltag nicht mehr mit dem Gerühmten befassen zu müssen.
Internationaler Denkmaltag 2021: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44745 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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