Zombies greifen mit "Massenvernichtungswaffen" eine amerikanische Innenstadt an? Was wie ein schlechter Horrorfilm klingt, fand kürzlich ein glückliches Ende – eine Justizgeschichte aus den USA. Süße und saure Justizanekdoten aus dem Land der "Freien und Tapferen", nacherzählt anlässlich des schlimmsten Schreckenstages, den die USA je über die Erde brachten – Halloween.
Die Polizei ging vermutlich nicht davon aus, dass es sich um sieben echte Zombies handelte, die im Juli 2006 durch die Innenstadt von Minneapolis zogen, der größten Stadt des etwas hinterwäldlerischen US-Staats Minnesota. Die mit weißer Schminke und Kunstblut verschönerten Figuren wurden gleichwohl in Haft genommen, weil das mitgeführte Musikequipment – ein iPod mit Verstärker – den Eindruck erweckt habe, es handele sich um "Massenvernichtungswaffen".
Gegen "hirnlosen Konsumismus" hatten die sieben "Zombies" demonstrieren wollen. Sie hätten sich wohl lieber die Geistesverfassung der Gesetzeshüter zum Anlass ihres Protestes nehmen sollen: die Inhaftierung der Möchtegern-Untoten dauerte immerhin zwei Tage, angeklagt wurden sie nicht. Im Gegenteil: Nach einer zunächst gescheiterten Klage der "Zombies" wegen unrechtmäßiger Inhaftierung stellte das Appellationsgericht im Kern fest, dass die Festnahme der Sieben nicht legal war. Im August 2010 einigte sich nun das Rechtsamt der Stadt Minneapolis mit dem Anwalt der Demonstranten auf eine Entschädigungszahlung von 165.000 Dollar.
Ein weniger glückliches Schicksal droht derweil Kostümierten in New York: Seit dem 11. September 2001 und verstärkt seit Eintritt der Wirtschaftskrise tummeln sich in nordamerikanischen Großstädten vermehrt selbsternannte Gesetzeshüter – verkleidet als "Superhelden" der B- und C-Movies. So nimmt ein "Captain Prospect" für sich in Anspruch, über die Straßen von Washington D.C. zu wachen. Im kanadischen Vancouver macht sich ein "Thanatos", benannt nach dem griechischen Totengott, unter Obdachlosen nützlich; verkleidet mit schwarzem Mantel und grüner Maske verteilt er Hilfsgüter. Während Thanatos in Vancouver sogar unter Polizisten auf Respekt trifft, sind die New Yorker Ordnungshüter weniger begeistert. Potenzielle Nachahmer des neuen Comic-Heldenkults wurden dort, wie die "Financial Times Deutschland" berichtete, gewarnt: "Lasst es besser bleiben. Ihr werdet sonst erschossen."
Niqab vor Gericht – USA vs. Kanada
Apropos: "Verkleidung". Manche muslimische Frau verhüllt ihr Gesicht mit einem "Niqab" oder ähnlichen Textilien. Das ist religiös begründet und daher zweifellos viel ernster zu nehmen als jede andere (Ver-) Kleidungsmode.
In Kanada wie in den USA ist die Frage, ob sich diese Damen vor Gericht entschleiern müssen, zum Rechtsproblem geworden. Mit unterschiedlichen Lösungen: Das Appellationsgericht im kanadischen Ontario entschied unlängst, dass der "Niqab" regelmäßig nur dann abzulegen ist, wenn anderenfalls das Recht eines Angeklagten auf einen fairen Prozess gefährdet würde.
Weniger zart gewichtete derweil, geografisch fast nebenan, der Oberste Gerichtshof von Michigan: Es liege in der Autorität der Richter im jeweiligen Gerichtssaal, über die Kleidung der Anwesenden zu befinden – und muslimische Prozessbeteiligte anzuweisen, als Zeuginnen den Schleier abzulegen.
Brustfrei in Massachusetts?
In Europa köchelt derzeit die Volksseele, wenn es um den "Schleier" geht – jedenfalls, solange ihn keine Nonne, sondern eine Muslimin trägt. Vielleicht gut, dass die Volksseele hierzulande so selten zu Wort gerufen wird.
In vielen US-Staaten und –Gemeinden hingegen werden zusammen mit den Wahlen zum US-Kongress am kommenden Dienstag Volksabstimmungen abgehalten. In Kalifornien etwa wird über die Legalisierung von Cannabis-Konsum abgestimmt und über einen teilweisen Ausstieg aus der Klimaschutzpolitik.
Ähnlich viel Aufmerksamkeit wie die "Vox Cannabis" könnte eine lokale Volksabstimmung auf sich ziehen, die von einem textilen Problem handelt – allerdings nicht vom "Schleier", im Gegenteil: Ob Frauen das gleiche Recht wie Männer haben, sich öffentlich mit unbekleidetem Oberkörper zu zeigen – diese Frage dürfen die Bürger der Kleinstadt Pittsfield in Massachusetts beantworten. Die Initiatorin der Volksbefragung war vor drei Jahren mit dem Versuch gescheitert, das Recht von Frauen durchzusetzen, "oben ohne" baden zu gehen.
Das Ergebnis der neuerlichen Abstimmung hat zwar keine direkte rechtliche Verbindlichkeit, wohl aber Einfluss auf die juristische Diskussion um Nacktheit in der Öffentlichkeit. Das Thema scheint seit ein paar Jahren eine gewisse rechtspolitische Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – trotz der vermutlich eher widrigen Wetterverhältnisse im Nordosten der USA.
Bundesanwalt ohne Hosen, Richterinnen ohne Diskretion?
Widrige Wetterverhältnisse hatte der US-Bundesanwalt Sean Cronin weniger zu befürchten, als er vor einigen Wochen in Miami, Florida, dem Wasser eines öffentlichen Pools entstieg. Unproblematisch, zunächst, dass er beim Baden bloß Boxershorts trug. Die Hose hatte nur den Nachteil, ihren Träger beim Verlassen des Schwimmbeckens kurzzeitig im Stich zu lassen. Die besorgte Mutter eines anwesenden Mädchens erklärte, die Genitalien des US-Bundesanwalts seien zu sehen gewesen.
Zu einer Anklage vor der örtlichen Justiz genügte das derweil nicht, denn Cronin konnte kein Vorsatz unterstellt werden. Eine Untersuchung durch seinen Arbeitgeber, die US-Justizbehörde, soll aber noch folgen – wegen möglicherweise "ungebührlichen Verhaltens". In der Zwischenzeit wird Cronin beruflich mit Obszönitäten ganz anderer Art befasst sein: Er bearbeitet Haftprüfungssachen von Guantanamo-Gefangenen.
Gar nicht obszön, aber ungewöhnlich offen sind die Memoiren der US-Bundesrichterin Nancy Gertner, was ihr Probleme mit der Justizszene in Boston, Massachusetts, einbringt. Vor ihrer Berufung ins Richteramt war Gertner als Strafverteidigerin tätig gewesen – wie sie jetzt in ihren Memoiren preisgab, ging sie dabei leidenschaftlich zur Sache. Eine Leidenschaftlichkeit, die ihr nun den Vorwurf einbringt, auch im Richteramt eine allzu freundliche Tendenz zugunsten von Angeklagten gezeigt zu haben.
Nancy Gertners autobiografische Bekenntnisse ließen unter US-Richtern die Frage aufkommen, wie sinnvoll es sei, wenn sie sich, was ihre allgemeinen sozialen Ansichten betrifft, allzu sehr öffentlich die Blöße gäben. Ein Kollege Gertners mahnte mehr Diskretion an. Strafverteidiger hingegen wünschten sich mehr Offenheit über – nicht im engen Sinn prozessrelevante – Vor-Urteile der Richterinnen und Richter, weil es mehr Fairness verspräche, diese zu kennen.
Entweder "Richterin" oder "Salesch"
Ein bisschen enthüllender Narzissmus, so scheint es, kann zu produktiven Diskussionen über Inhalt und Grenzen von Richteramt und -persönlichkeit führen. Wird der Narzissmus aber allzu produktiv, kann das ein Richteramt kosten – eine Erfahrung die Gertners kalifornische Kollegin DeAnn M. Salcido vom Superior Court, San Diego, machen muss.
Der Richterin wird offiziell vorgeworfen, Prozesse als Casting-Show in eigener Sache missbraucht zu haben – für eine Karriere als Stand-up-Komödiantin. Beispielsweise habe sie sich vor laufender Kamera über Angeklagte lustig gemacht und sie wie Kandidaten bei "Wer wird Millionär?" behandelt.
Monsterjagd in Arizona?
Verstöße gegen die Rechte von Angeklagten könnten langsam und endlich auch dazu beitragen, einem inzwischen weltweit bekannten "Zombie" der US-Justiz den Sheriff-Stern abzunehmen: Joe Arpaio. Dieser "härteste Sheriff der USA" hat sich zweifelhafte Berühmtheit durch die unmöglichen Haftbedingungen unter seiner Verantwortung erworben. So nötigte er die Gefangenen, rosafarbene Unterwäsche zu tragen. Sie wurden außerdem in einem Zeltlager neben einer Müllkippe inhaftiert und zur Arbeit in "Chain Gangs", als Kettensträflinge, gezwungen – bei ortstypischen Temperaturen von 40 Grad Celsius.
Ein US-Bundesgericht hat zuletzt Anfang Oktober in solchen Haftbedingungen eine Verletzung der Bürgerrechte erkannt, unter anderem eine Verbesserung der Ernährung angeordnet. Auf längere Sicht könnten Klagen gegen Arpaio seinem Couty zu teuer werden.
Es bleibt also zu hoffen, dass nicht nur zu Halloween manches Monster auf der Strecke bleibt.
Der Autor Martin Rath ist freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Halloween für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1830 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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