Am 3. März 1954 entschied der Bundesfinanzhof, wann eine Baracke als Gebäude zu würdigen ist. In dieser Zeit zerstörter Städte und extremer Wohnungsnot berührte die Frage Millionen von Menschen. Seine Antwort ergab ordnungspolitisch Sinn.
Menschen in Baracken unterzubringen, ist wenig populär, solange man selbst betroffen sein könnte. Unlust bereitet nicht nur der Mangel an jenem Wohnkomfort, den fester gefügte Gebäude bieten. Hinzu kommt, dass die Baracke fast zwingend mit einer sozialen Institution verbunden ist, die im 20. Jahrhundert ganze Gesellschaften prägte: mit dem Lager.
Der europäische Archipel der Lager wurde in seiner Epoche unter anderem bevölkert von Flüchtlingen und versklavten Zwangsarbeitern, von Kriegsgefangenen und Ausgebombten, durchaus auch von regulären Arbeitern, die entsprechend nicht mehr Fremd-, sondern Gastarbeiter genannt wurden.
Sogar die Juristenausbildung kam in Deutschland für einige Jahre nicht ohne Lagerleben aus, Rechtsreferendare sollten damit zum Dienst für den totalen Staat ertüchtigt werden.
Die Baracke war hier die meist vorherrschende Form der Unterbringung. Der massenhafte Bedarf führte mitunter schon früh zu einer Standardisierung. Seit dem Ersten Weltkrieg kamen etwa die sog. Nissenhütten auf, Wellblech-Baracken mit rundem Dach, die der britisch-amerikanisch-kanadische Ingenieur Peter Norman Nissen (1871–1930) entworfen hatte.
Führender Kopf des deutschen Barackenbauwesens war der Bauingenieur Ernst Neufert (1900–1986), der im Jahr 1943 seine "Bauordnungslehre" veröffentlichte – mit dem Zweck "rationeller Baukonstruktionen auf die gefundenen Maßbeziehungen, wie sie der totale Krieg erfordert".
Hierzulande produzierte man Baracken – im technokratischen Deutsch der Epoche: "Unterkunftsbauten in deutscher Tafelbauweise" – nach Industriestandards, die auf Weisung von Albert Speer (1905–1981), einem für die Kriegs- und Sklavenwirtschaft wesentlichen Reichsminister, als verbindlich erklärt worden waren.
Die normierten, beinahe beliebig zusammensetzbaren Einzelteile erlaubten den Bau ganzer Siedlungen in Behelfsbauweise. Den Bedarf schufen Terror, Krieg und Flucht.
Der frühere Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann (1941–) merkt in der Fachzeitschrift Bauwelt an: "Mit diesem Typenspektrum sah sich Deutschland für die Aufrüstung und die nicht erwartete, aber doch befürchtete Wohnungsnot Bombengeschädigter wie auch für die Unterbringung der Zwangsarbeiter der Rüstungsindustrie bestens gewappnet."
Fortschritt in der Barackenwirtschaft – BFH entscheidet
Mit dem Kriegsende in Europa, am 8. Mai 1945, nahm der Barackenbedarf nicht ab, im Gegenteil. Die Bundesrepublik Deutschland, ihr heutiger Westen, zählte 1950 rund 51 Millionen Menschen, davon rund zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den früheren deutschen Ostgebieten. Die zwangsläufige Konjunktur der Barackenwirtschaft zeichnete sich natürlich auch in der Rechtsprechung ab.
Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied mit Urteil vom 3. März 1954 (Az. II 44/53 U) in einer Sache, die bereits einen beachtlichen qualitativen Fortschritt in dieser Industrie erkennen ließ.
Gegenstand des Verfahrens war eine als Geschäfts- und Büroraum genutzte Holzbaracke mit 94 Quadratmetern Fläche, von der Herstellerfirma ausgestattet mit einer Heizungs- und Toilettenanlage sowie einem mit Glaswolle wärmeisolierten Fußboden. Nicht nur im Vergleich mit den Unterkünften von Millionen gequälter Menschen, nur wenige Jahre zuvor, war das augenscheinlich beste Ingenieurskunst.
Ein Industriearbeiter verdiente 1954 durchschnittlich circa 1,65 Deutsche Mark (DM) in der Stunde. Die Baracke wechselte 1953 zum stolzen Preis von 15.000 DM den Eigentümer.
Das Finanzamt erhob, weil die Baracke auf fremdem Boden errichtet worden war, für diesen Vorgang die Grunderwerbsteuer.
Strittig war nun, ob es sich bei der Baracke überhaupt um ein Gebäude im steuerrechtlichen Sinn handelte, denn nach § 2 Abs. 2 Ziffer 3 Grunderwerbsteuergesetz (1940) war nur ein "Gebäude auf fremdem Boden" steuerrechtlich einem Grundstück nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gleichgestellt und damit, gesondert vom Transfer von Grund und Boden, zu besteuern.
Zur Frage, was ein Gebäude sei, konnte der BFH zwar eine Definition von klassischer juristischer Schönheit, aber eben auch klassischer Unschärfe zitieren: "Ein Gebäude ist nach der Rechtsprechung ein Bauwerk, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den Eintritt von Menschen gestattet, mit dem Boden fest verbunden und von einiger Beständigkeit ist."
Nun glaubte der Steuerschuldner im vorliegenden Fall, er könne die Grunderwerbsteuer mit dem Argument abwenden, dass seine Baracke ohne feste Verbindung auf einem Fundament ruhe, sie liege allein durch ihr Gewicht auf dem fremden Boden auf. Damit entspreche sie nicht der BFH-Definition eines Gebäudes.
Falsche Hoffnung durch vorangegangenes Urteil
Knapp zwei Jahre zuvor hatte der BFH tatsächlich die Hoffnung geweckt, dass es sich bei Baracken zumindest dann nicht um Gebäude im steuerrechtlichen Sinn handele, wenn es an dieser festen Verbindung mit dem Grund und Boden fehlte.
Das Objekt des Jahres 1952 war aber weit weniger im Schuss gewesen. Gewiss nicht untypisch für Baracken, die in den Kriegsjahren errichtet worden waren, beschrieb sie der BFH so:
"Es handelt sich um eine Büro- und eine Wohnungsbaracke. Beide Baracken sind alte Wehrmachtsbaracken, ungepflegt und verwahrlost. Das Holz ist an den mit dem Erdreich in Verbindung stehenden Pfählen angefault. Die Bürobaracke liegt teilweise auf dem Fundament eines im Kriege zerstörten Gebäudes. Jedoch ist dieses Fundament sehr viel kleiner als die Grundfläche der Baracke. Im Übrigen ist die Baracke mit dem Fundament nicht verbunden, sondern lose aufgesetzt. Beide Baracken ruhen auf Balken, die lose auf einzelne Ziegelsteine gelegt sind. Die Ziegelsteine sind nicht durch eine Zement- oder Mörtelschicht mit dem Boden verbunden, sondern nur in den Boden gelegt."
Das Finanzgericht hatte hier verneint, dass es sich um ein Gebäude handelt. Das Finanzamt meinte hingegen, es "sei die Verwendung des bisherigen Gebäudebegriffs bei der Entwicklung des Barackenbauwesens nicht mehr zeitgemäß" – auf die mehr oder weniger feste Verbindung in der Vertikalen sollte es daher nicht ankommen.
In diesem Fall, mit Urteil vom 24. April 1952 (Az. III 5/53 S), entschied der BFH schließlich zugunsten des Barackeneigentümers, dass die Baracke bei einer derart lockeren Verbindung wie hier allenfalls als bewegliches Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens gelten könne, nicht als Gebäude nach § 50 Abs. 1 Bewertungsgesetz (1934).
Auf eine allzu feste Verbindung kommt es doch nicht an
Schon zwei Jahre später, mit dem Urteil vom 3. März 1954, mochte der BFH von diesem Kriterium der Bodenhaftung aber nicht mehr allzu viel wissen.
Erstens sollte es im Fall der modernen Komfortbaracke nur darauf ankommen, dass es überhaupt ein irgendwie passendes Fundament gebe – ob die Baracke nun eher locker mit ihm verbunden war oder nicht.
Zweitens, erklärte der BFH, widerspreche es "der steuerlichen Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit", eine 94 Quadratmeter große Baracke wegen der vagen Verankerung des Holzbaus mit dem Fundament nicht als Gebäude zu bewerten. Denn im Jahr 1931 hatte der Reichsfinanzhof einen 3,5 Quadratmeter großen Zeitungskiosk zur Steuer herangezogen. Nun sah man einen Wertungswiderspruch, der 1952 noch nicht so wichtig gewesen war.
Mit seinem amtlichen Leitsatz: "Eine auf einem Fundament ruhende Baracke kann als Gebäude auch dann angesehen werden, wenn sie mit dem Fundament nicht besonders verbunden ist", erlaubte das Urteil vom 3. März 1954 den Finanzämtern wieder gründlicheren Zugriff. Denn "nicht besonders verbunden" betraf wohl die meisten Baracken, die nun neben der Grunderwerbsteuer auch von den damals noch weit verbreiteten Substanzsteuern auf Vermögenswerte betroffen waren.
Baracken und Behelfsbauten verschwinden, das Seelenleben hängt nach
Zu den Glanzleistungen finanzrichterlicher Unterscheidungskunst wird man den Umgang mit der Baracke in den 1950er-Jahren wohl nicht zählen können. Zuerst wurde mehr auf das physische Merkmal, dann auf die gerechte Vermögensbesteuerung abgestellt. Wirtschaftshistorisch und ordnungspolitisch ergab die Entscheidung vom 3. März 1954 gleichwohl einen guten Sinn.
Zwar war die Baracke nach wie vor auch der architektonische Ausdruck einer "Lagergesellschaft". Beim Sortieren und Ausgrenzen vor allem von Migranten bleibt sie bis in die Gegenwart vielfach das Maß einer politisch gewünschten Unterbringung.
Wo die Baracke jedoch nicht als Bauform des Lagers, sondern nur als schlimmstenfalls sozial anstößig oder rückständig wahrgenommen wurde, nutzten ihre Einwohner bis in die 1960er-Jahre und darüber hinaus oft die Chance, sie fleißig auszubauen und wohnlicher zu machen.
Die Motive dürften vielfältig gewesen sein. Der Markt für höherwertigen Wohnraum blieb bis weit in die Nachkriegszeit auch in Westdeutschland eng. Zudem erfüllte der aus eigener Kraft ausgebaute Behelfsbau das menschliche Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und erinnerte viele zugleich daran, dass sie ein prekärer Ort gewesen war, an dem man Hoffnungen und Träume, in eine "alte Heimat" zurückzukehren, aufgegeben hatte. Endlich wieder eingerichtet, zog man ungern schon wieder um.
Dass heute die Behelfsheime vielerorts vollständig aus dem Stadtbild verschwunden sind, hat natürlich auch damit zu tun, dass sie steuerrechtlich nicht gegenüber dem höherwertigen Wohnraum privilegiert wurden. Dabei nicht mehr auf die Bodenhaftung abzustellen, war funktional richtig gedacht.
Baracken-Urteil des BFH von 1954: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54013 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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