"Boykottiert den Holocaustleugner Irving!"

Ein Staats­examen im Som­mer­loch – Teil 2

von Roland SchimmelLesedauer: 5 Minuten
Die besten Sachverhalte für eine mündliche Prüfung finden sich doch immer wieder in der Zeitung. Heute: Der Boykott-Aufruf. Auf Initiative des Grünen-Politikers Beck forderte der DEHOGA seine Mitglieder auf, dem Holocaustleugner Irving für seinen geplanten Auftritt in Berlin keinen Raum zu vermieten. Was fällt Ihnen spontan dazu ein? Das Lüth-Urteil? Der BGH zu NPD-Politiker im Wellnesshotel?

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Letztes Jahr ging es in unserer simulierten mündlichen Prüfung um einen Bürgermeister in einem belgischen Badeort, der sich so sehr über die schlechte Wettervorhersage ärgerte, dass er vor Gericht zog. Auch diesen Sommer sind wir in den Zeitungen fündig geworden: Auf Initiative des Grünen-Politikers Volker Beck forderte der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA seine Mitglieder auf, dem Holocaustleugner David Irving für seine geplante Diskussionsveranstaltung in Berlin keinen Raum zu vermieten.

Zuerst den Sachverhalt komplettieren …

Zum Aufwärmen lässt Ihr Prüfer Sie Allgemeinbildung zeigen, indem Sie die Fakten rekapitulieren. Der DEHOGA ist der Branchenverband des Hotel- und Gaststättengewerbes. David Irving, so erinnert sich die Prüfungsgruppe nach kurzem Überlegen, ist ein britischer Historiker und Autor, der sich seit den 1960er Jahren mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigt und die massenhafte Ermordung von Menschen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern in Abrede stellt. Das ließ ihn bei Anhängern rechtsextremer Weltbilder beliebt werden, während er unter Historikern nicht mehr ganz ernst genommen wird. Angenommen, Irving will sich den Boykottaufruf des Verbandes nicht gefallen lassen: Was könnte er zivilrechtlich dagegen unternehmen?

… dann zeitlich differenzieren

Als erstes wird man überlegen müssen, ob Irving noch vor dem geplanten Veranstaltungstermin mit juristischen Mitteln etwas bewirken kann. Sofern der Saal und das Essen nicht längst gebucht sind (was zu vermuten steht), richtet sich sein Interesse in erster Linie darauf, einen Mietvertrag über geeignete Räume abzuschließen.

… und nach Anspruchsgegnern unterscheiden

Wenig aussichtsreich dürfte es sein, gegen Betreiber von Hotels und Tagungsstätten vorzugehen, die einen Mietvertrag nicht abschließen wollen. Denn diese machen ja nur von ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch – wie Sie einwerfen und damit den ersten juristischen Punkt erzielt haben. Ein Abschlusszwang ergibt sich weder aus dem Gesetz noch wird er sich über die Regeln des Deliktsrechts konstruieren lassen. Erst vergangenes Jahr entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass außerhalb bestehender Verträge der Hotelier nicht verpflichtet ist, einen Gast aufzunehmen (Urt. v. 09.03.2012, Az. V ZR 115/11). Auch die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind nicht anwendbar, wenn es um eine Ungleichbehandlung wegen einer politischen Meinung geht. Zudem dürfte es sich bei einem Mietvertrag für die geplante politische Veranstaltung nicht um ein Massengeschäft handeln, so dass das AGG ohnehin nicht einschlägig ist. Auch ein Vorgehen gegen der DEHOGA oder Volker Beck als den ursprünglichen Initiator des Boykottaufrufs erscheint nicht vielversprechend. Da diese zu Irving in keinerlei Vertragsbeziehungen stehen, kommt von vornherein nur ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Unterlassen oder auf Schadensersatz in Betracht.

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… weiter mit den Anspruchsvoraussetzungen

Eine auf Schadensersatz gerichtete Forderung würde zwar noch nicht daran scheitern, dass es an einem geschützten Rechtsgut fehlt. Ein Boykottaufruf kann durchaus das Allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen; auch das Recht am Unternehmen könnte betroffen sein, da Irving vermutlich gegen Honorar auftreten wird und aus dem Verkauf seiner Bücher ein Einkommen erwirtschaftet. In jedem Fall bedarf es dann aber einer Abwägung, um einen rechtswidrigen Eingriff in das jeweilige Recht feststellen zu können. Irving kann sich auf die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen, vielleicht auch auf die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG (auch wenn letzteres sicher noch näherer Begründung bedürfte, soweit es um die Leugnung historisch gesicherter Tatsachen geht). Die gleiche Meinungsfreiheit steht aber allen zu. Das heißt, nicht nur Irving, sondern auch seinen Gegnern, die zum Boykott aufrufen oder diesen unterstützen. Einen Mietvertrag nicht abzuschließen, ist verfassungsrechtlich von der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Eigentumsfreiheit geschützt. Das spricht dafür, auch den Aufruf, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, nicht als rechtswidrig einzustufen. Das wird erst recht gelten, wenn die zum Boykott Aufrufenden ihren Appell als Teil des politischen Meinungskampfs verstehen. An dieser Stelle weisen Sie wie nebenbei auf das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hin. An den Namen erinnert sich jeder. Worum es ging, haben die meisten schon längst wieder vergessen. Sie aber wissen: Der Hamburger Senatsdirektor Lüth rief über die Presse dazu auf, einen Film von Veit Harlan zu boykottieren, weil der Regisseur in der Nazizeit mit dem Film "Jud Süß" bekannt geworden war. Das BVerfG hielt diesen Aufruf später für von der Meinungsfreiheit geschützt und zulässig. Wie Lüth wird es auch Volker Beck und dem DEHOGA nicht um wirtschaftliche Vorteile gehen; ihre Motive liegen vielmehr auf ethischem Gebiet. Ist der Boykottaufruf aber zulässig, dann werden daran letztlich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche scheitern. Auf einem anderen Blatt steht, ob es Zeichen einer guten demokratischen Kultur ist, Andersdenkende durch Boykott gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen.

… hilfsweise weiterdenken

Auch wenn man die Frage nach der Rechtsgutsverletzung gegenteilig entschiede, wäre Irving juristisch nicht geholfen. Für einen Schadensersatzanspruch müsste er einen Schaden quantifizieren: Ob ihm tatsächlich ein in Geld messbarer Vermögensnachteil entstünde, wenn die Diskussionsveranstaltung mit ihm als vortragendem Historiker ausfiele, bedarf zumindest näherer Darlegung. Auch ein auf § 1004 BGB gestützter Unterlassungsanspruch erweist sich als heikel. Angesichts der Einmaligkeit der Veranstaltung und des bereits erfolgreich verbreiteten Boykottaufrufs ist die Wiederholungsgefahr nicht eben offensichtlich. Die Beseitigung der bereits eingetretenen Beeinträchtigung dürfte nicht ganz einfach zu bewerkstelligen sein: Anders als etwa bei einer presserechtlichen Gegendarstellung hat der vom Boykottaufruf Betroffene kaum ein Interesse daran, dass durch einen "actus contrarius" ("Vermietet massenhaft an Irving!") die Angelegenheit ein weiteres Mal mediale Aufmerksamkeit erhält. Alles in allem sind die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten Irvings also mäßig aussichtsreich. Ihm bleibt, sich unter einem anderen Namen einzumieten oder einen Dritten als Veranstalter auftreten zu lassen. Ob und wie sich ein Vermieter aus einem Vertrag lösen kann, den er mit einem harmlos wirkenden Vertragspartner geschlossen hat, wenn sich herausstellt, dass die geplante Veranstaltung vielleicht Anlass zu Protesten gibt, soll hier offen bleiben, damit Sie in Ihrer Examensprüfung mit ein paar interessanten Zusatzüberlegungen glänzen können.   Der Autor Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main. Er prüft gelegentlich im Ersten Staatsexamen.

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