Yonas Farag vom SG Berlin macht Punk

Dieser Richter rockt

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Tagsüber entscheidet er am SG Berlin, abends singt Yonas Farag für die  Band Montreal. So gut lief es nicht immer. Ein kaputter Tourbus verhinderte fast sein Examen, dem Staat musste er erst erklären, dass er kein Feind der Demokratie ist.

Mit seinen Jugendfreunden "Hirsch" und "Max Power" gründete Yonas Farag im Jahr 2003 in Hamburg die Band Montreal, mit der er als Sänger und Gitarrist nach Feierabend und am Wochenende auftritt. Für längere Tourneen nimmt der Richter am Sozialgericht (SG) Berlin Urlaub. Aber so reibungslos lief es nicht immer. Wenn der heute 34-Jährige von seiner Leidenschaft spricht, erklärt er, dass sie nicht im  Widerspruch zu seinem Beruf steht:  "Punk ist eine Musikrichtung mit typischen Merkmalen, wie sie jedes andere Genre auch hat. Damit geht nicht zwangsläufig eine politische Haltung einher."

Der Obrigkeit allerdings musste er das erst einmal beibringen: In seiner Zeit als Richter auf Probe bei der Staatsanwaltschaft musste er sich gleich zweimal rechtfertigen. Zwar hatte er bei der Bewerbung sein Mitwirken in der Band offen angezeigt, doch schien man zunächst nicht zu realisieren, was dahinter steckte – bis man auf das Spannungsverhältnis von Punk zur Justiz aufmerksam wurde. "Das erste Mal musste ich bei der Personalreferentin der Berliner Senatsverwaltung vorsprechen. Da war das Thema aber schnell gegessen", sagt Farag, der nach eigenen Angaben sein Amt nicht bekleiden würde, wenn er nicht von der Idee des demokratischen Staats überzeugt wäre. Mit "Deutschland verrecke"-Rufen habe die Band nichts zu tun.  An das zweite  Gespräch, diesmal mit dem Generalstaatsanwalt, denkt er weniger gern zurück. Über zwei Stunden habe es gedauert, am Ende habe man durchblicken lassen, "dass die Skepsis gegenüber meiner Nebentätigkeit alles andere als aus der Welt geräumt" war, erinnert sich Farag. Seitdem gab es aber keine weiteren Diskussionen, auch seiner Ernennung zum Richter auf Lebenszeit stand die Musik nicht entgegen. Dabei hätte sie ihn fast sein Erstes Staatsexamen gekostet.

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Auf Tour mit der Bloodhound Gang und dann Examen

Bereits drei Jahre nach der Gründung bietet sich für Montreal eine einmalige Gelegenheit: Ende Februar 2006 können die drei Musiker als Vorband der Bloodhound Gang international auf Tour gehen. Das Timing war allerdings ungünstig, Farag hatte sich für das Frühjahr 2006 zum ersten Examen angemeldet. Es sei auch mit den Bandkollegen abgemacht gewesen, dass er in den Wochen vor der Prüfung ungestört Zeit für die  Vorbereitung haben sollte, so der heute 34-Jährige. Aber "eine Chance wie diese gibt man nicht einfach so auf" – also tourte Montreal in voller Besetzung mit. Kurz vor dem Examen kam natürlich noch der Moment, in der der Musiker gedacht habe: "Jetzt ist es vorbei, alles umsonst."  Der Zeitplan war zwar knapp getaktet, aber eigentlich machbar – zumindest in der Theorie: ein letztes Festival an einem Samstag in Nürnberg, direkt im Anschluss die Rückreise und am Montag dann eine der Zivilrechtsklausuren in Hamburg, wo Farag studierte. Doch auf der Rückfahrt in die Hansestadt blieb der Tourbus liegen, die Lichtmaschine streikte. "Wir sind dann rechts rangefahren und haben im Bus auf den nächsten Morgen gewartet. Sonntags gegen Mittag sind wir nach vielen Unterbrechungen auf den Hof einer Hamburger Werkstatt gerollt, die verbleibenden 20 Stunden bis zur Klausur waren alles andere als entspannt", erinnert sich Farag. Er betrat den Prüfungssaal am Montag nicht gerade erholt, trotzdem wurde es die beste Klausur seines Examens. Als Erklärung dafür hat er seine langfristige Vorbereitung, denn mit dem Lernen für das Examen fange man ja nicht erst auf dem letzten Drücker an. Außerdem sei in den vielen Stunden auf der Straße viel Zeit zum Lesen gewesen.  Sein Tipp für alle Jurastudenten: "Auch wenn's zu den Ohren herauskommt: Schreibt Klausuren, rauf und runter, das gibt die nötige Routine. So spart man Zeit, die bei den strittigen Problemstellungen gebraucht wird." Fast 100 Auftritte spielten Montreal in Farags letztem Studienjahr. Ein wahnwitziges Pensum, das heute nicht mehr machbar ist. Aber: "Wir achten schon darauf, regelmäßig zu spielen. Der Spaß an der Arbeit in und mit der Band ist ungebrochen", sagt der Gitarrist, der sein erstes Instrument mit elf Jahren bekam.  Der Job als Richter nimmt dabei den finanziellen Druck: Zwar könne er von der Musik allein leben, müsste sich dafür aber auch sehr einschränken. So wie es jetzt ist, gebe es keinen Zwang und der Punkrock könne das bleiben, was er ist: eine Leidenschaft.

Sozialrichter eher aus Zufall

Nach dem ersten Examen folgten der Schwerpunkt im Öffentlichen Recht, eine Anwaltsstation im Pariser Ableger einer Großkanzlei und der Beginn seiner beruflichen Laufbahn bei der Staatsanwaltschaft in Berlin. Die Arbeit am Gericht gefalle ihm aber am besten: "Richter zu sein ist ein toller und sehr freier juristischer Beruf", so Farag. Das sagt ausgerechnet einer, für den Jura zunächst der Notnagel nach dem Abitur war und für den der Posten am Sozialgericht ursprünglich unvorstellbar gewesen ist. Denn erst nach einem Vorstellungsbesuch nebst Führung ließ sich der Musiker zum Ende seiner Richterzeit auf Probe beim Strafgericht auf das Experiment ein und begann damit, ALG-II- und Schwerbehindertenfälle zu prüfen. "Am Strafgericht hatte man sich etwas verkalkuliert, dort gab es doch keinen Posten mehr. Die Alternative war dann das Sozialgericht." Schon nach kurzer Zeit stand für ihn fest, dort bleiben zu wollen: "Im Rahmen der Hartz-Reformen ist das Personal großzügig aufgestockt worden, man rekrutierte viele frischgebackene Volljuristen auf einmal. Für ein Gericht dieser Größe ist das Sozialgericht Berlin vergleichsweise jung." Insgesamt herrsche ein sehr angenehmes Klima. Beruflich bemerke er - wie die übrige Justiz – die stetig steigende Belastung, Erledigungszahlen spielten selbstverständlich eine Rolle. Für ihn persönlich sei aber alles machbar. Alles ist also gut geworden für den Punkrocker. Das war zu Studienzeiten nicht immer so. Das Klischee des Jurastudierenden sah Farag zu seiner Zeit an der Universität Hamburg weitgehend bestätigt: "Der Personenkreis, mit dem man zu tun hatte, wenn die Lust auf Golf oder Segeln auf der Alster fehlte, war schon einschränkt." Mit den Leuten vom Sozialgericht könne er aber ohne Probleme auch "einfach mal ein Bier trinken". Die Gelegenheit dazu ergibt sich öfter: So mancher Amtskollege oder Gerichtsmitarbeiter besucht gern mal ein Montreal-Konzert.

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